Sonne/Luft

Die Luft wird knapp, aber die Natur lässt die Muskeln spielen. In Elfriede Jelineks jüngstem Stück versteht sich die Sonne als bitterböse Macht, die Länder und Menschen tötet. Zu Charlotte Sprengers Inszenierung im Thalia in der Gaußstraße.

Selene (Lisa-Maria Sommerfeld, li), die Sonne (Barbara Nüsse, Mitte) und Eos (Lisa Hagmeister, re) vertilgen die Erde – Foto: Birgit Hupfeld

Die Kritik

„Wissenschaftler erwarten Temperaturrekorde“, „Das wärmste Jahr“ – so weit allein die Schlagzeilen vom 9. November diesen Jahres. Die Klimakrise ist nicht mehr zu leugnen und beschäftigt auch die Kunst. Klar, dass eine hellwache Gegenwartsdramatikerin wie Elfriede Jelinek sich dazu ebenfalls mit einem Stück zu Wort meldet. „Sonne/Luft“ heißt es. Die Uraufführung fand im vergangenen Jahr in Zürich statt, jetzt hat es den Weg ins Thalia in der Gaußstraße gefunden, inszeniert von Charlotte Sprenger, die dafür zusammen mit Dramaturg Matthias Günther und dem Ensemble eine eigene Bühnenfassung erstellt hat. Ob das eine gute Idee war, sei einmal dahingestellt. Denn der mit 140 Minuten deutlich zu lange Abend kommt nicht recht voran, dreht sich im Kreis und dehnt sich durch manchmal die Handlung arg platt illustrierende Songs, wie z.B. durch das Medley aus „Sunshine“-Songs (Musik: Philipp Plessmann). Aber das mag auch an der wenig zupackenden Inszenierung liegen. 

Jelinek, die das Schreiben für sich als einen „leidenschaftlichen Akt, eine Art Rage“ (so die Zitate im Programmheft) reklamiert, kippt in „Sonne/Luft“ wie gewohnt Zorn und Spott über das gewählte Thema. Die Sonne beschreibt sich selbst als „Mutter, aus deren Hand ganze Länder den Tod empfangen.“ Jelinek dreht also die Verhältnisse um: Die Natur hat die Macht, den Menschen zu zerstören und der ist so blöd, dass er es nicht einmal merkt. Statt die Sonne zu meiden, setzt er sich ihr bewusst aus, und die Sonne lacht sich kaputt: „Ich bin da, um den Menschen Bräune zu geben. Und danach Schwärze.“ Verbrennen will sie, töten. Und die Luft wird auch noch knapp. 

Die Sonne und die beiden Göttinnen machen sich über die Erde und ihre Bewohner lustig.

Die Bühne ist mit schwarzer Folie ausgekleidet, von der Decke hängt ein überdimensionaler Lampenschirm. Alles ist dunkel, nur in der Mitte stehen angestrahlt in leuchtend pinken Kleidern und Plateau-Schuhen (Bühne und Kostüme: Aleksandra Pavlović) eng beieinander: die Sonne (Barbara Nüsse), Eos, die Göttin der Morgenröte (Lisa Hagmeister), und Selene, die Mondgöttin (Lisa-Maria Sommerfeld). Wobei hier kurz angemerkt sei, dass weder Hagmeister noch Sommerfeld in dieser Inszenierung eine individuelle Figur zugeschrieben bekommen, ebensowenig die später auftauchenden Zentauren Brontes (Tilo Werner), Steropes (Tim Porath) und Arges (Philipp Plessmann). Ihre Namen stehen im Programmheft, werden aber kein einziges Mal genannt. Es hätte gereicht (und niemanden verwirrt), wenn die drei Rennradfahrer, denen die Luft in Reifen und Lungen ausgeht, lediglich als „Chor der arglosen Männer“ geführt worden wären. 

Doch zurück zum Anfang: Die Sonne und die beiden anderen Göttinnen blicken auf den Bühnenboden, wo sie die Erde und ihre Bewohner wahrnehmen, und machen sich über sie lustig. Dann klettert Barbara Nüsse auf ein Gestell mit überdachtem Sessel, aus dem sie ein altmodisches Radiogerät oder eine Sonnenbrille hervorzaubern kann, je nach  Schwerpunkt des gut halbstündigen Sonnen-Monologs. Dabei spricht sie das Publikum immer wieder direkt an.

„The air that I breathe“ in voller Länge.

Donner und Regen grollen aus dem Off, das Licht flackert, ab und zu giftet die Nebelmaschine ein paar Schwaden über den Bühnenboden. Hagmeister und Sommerfeld erscheinen später verkleidet als sonnenhungrige Menschen, die Rennradfahrer bauen unter den Augen der Sonne ein bereits kaputtes Haus  auf (dessen Funktion unklar bleibt) und denken über die mangelnde Luft nach. Dazu singt Lisa Hagmeister stimmstark „The air that I breathe“ in voller Länge, später zusammen mit Plessmann mit Kleinkind-Stimme Edith Piafs „Non, je ne regrette rien“, ebenfalls in voller Länge. Denn der Mensch, so die Botschaft, ist naiv wie ein Kind und bereut nicht, was er getan hat. Am Ende erscheint in Schutzanzug und blonder Langhaar-Perücke Victoria Trauttmansdorff als Seherin (so steht es im Programmheft, aber klar ist diese Funktion nicht) und kippt zwei Müllsäcke aus, über die sich die anderen, nunmehr in bunten Eisbär-Kostümen, hermachen. Mit der Seherin gemeinsam stimmen sie einen Song  im Stil der Neuen Deutschen Welle (80er Jahre!) mit der Zeile „Wir müssen sterben“ an, tanzen dazu und fallen dann um.  Aber dann ist noch nicht Schluss. Die Sonne bekommt noch einmal das Wort und verschwindet schließlich Arm in Arm mit der Seherin. Ja, der Abend ist zu lang, zu ungenau und irgendwie verschenkt. Dem Ensemble aber kann man keinen Vorwurf machen. Es lieferte wie gewohnt hohe Qualität.

Weitere Informationen unter:https://www.thalia-theater.de/stueck/sonne-_-luft-2023

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche SchwerpunkTe
  • die Klimakrise
  • die Macht der Natur
  • die Naivität und Dummheit der Menschen
Formale Schwerpunkte
  • direkte Ansprache an das Publikum
  • Choreografien
  • illustrativ verwendete Songs
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 16 Jahre, ab Klasse 10/11
  • für WiPo-, Geografie-, Deutsch- und Theaterunterricht 
Zum Inhalt

Wie so oft bei Jelinek Stücken gibt es in „Sonne/Luft“ keinen Handlungsbogen. Der Text ist eine sprachlich anspruchsvolle, mit für Jelinek typischen Wortspielen und -verbindungen gespickte Betrachtung zur Klimakrise. Dabei dreht sie den Spieß um und erzählt zunächst aus der Perspektive der Sonne, später aus der Sicht der arglosen, naiven Menschen. Denen geht die Luft aus, trotzdem machen sie weiter mit ihrer Zerstörung und bereuen ihr Handeln nicht. Dieser reflektierende Schritt wird ihnen abgesprochen. Die Sonne dagegen hat die Macht: Sie beschreibt sich als den eigentlichen Fixstern, der die Macht über die Erde und die die Menschen hat und ganze Länder und Völker auslöscht. 

Mögliche VorbereitungeN
Über Referate, in Gruppenarbeit oder als vorbereitende Hausaufgabe:
Im Unterrichtsgespräch:
  • Was kann der/die Einzelne für die Verbesserung des Klimas tun? Wo gibt es Hindernisse? Wie lassen sie sich bewältigen?
  • Rolle und Funktion von „Fridays for Future“, „Die letzte Generation“, „Extinction Rebellion“ und ähnlichen Gruppierungen
Speziell für den Theaterunterricht
Erstellen einer Szene auf der Textvorlage von Elfriede Jelinek

Aufteilung in Vierer-Gruppen:

Die Spielleitung verteilt nachfolgende (dem Programmheft entnommene) Passagen aus „Sonne/Luft“.

Aufgabe:

Erstellen Sie eine Szene zu dem Textauszug, bei der alle Mitglieder Ihrer Gruppe beteiligt sind. Sie können sich Passagen auswählen oder auch alle bearbeiten. Die Szene soll

  • alle Gruppenmitglieder beteiligen
  • eine Choreografie (Tanz, simultane Bewegungen o.ä.)
  • einen Anteil chorisches Sprechen (möglichst mit unterschiedlichen Lautstärken und Emotionen) enthalten
Text

Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang. Die Reise ist mir vorgeschrieben, obwohl ich an meiner Wanderung nicht schuld bin. Ich bin ein fixer Stern. Im Donnergang arbeite ich mich voran und werfe mit Flammen. Jeder Flammenwerfer sieht alt aus neben mir. Ich bin die Mutter, aus deren Hand ganze Länder den Tod empfangen. (…)

Gestern hatte ich einen Augenblick das Gefühl zu sterben. Als hätte es einen Kurzschluss in meinem Hirn gegeben. (…)

Ich bin da, um den Menschen Bräune zu geben. Und danach Schwärze. Mein Feuer wird Sie zwingen, vorzeitig aus ihrem Urlaub abzureisen, auf den Sie sich so gefreut haben. Ja, mit Kleinigkeiten fängt es an. Fahre wohl, du süßes Licht! (…)

Selbst ist die Frau. Den Tod weise ich ab, ich bin das Leben, indem ich töte, und ich gebe mich aus, ich verausgabe mich, ich bin, indem ich mich verausgabe. Ich bringe mich zum Opfer, und ich bringe Opfer auch selbst. Ich bin Strahlengöttin, ich weihe mich mir selbst, keine andre ist würdig, mir zum Opfer zu fallen. (…)

Es wird gesagt, dass irgendwo an der Peripherie des Weltalls mein Haus stehen soll, ganz am Rand krallt es sich fest, sonst würde es ins Nirgendwo hinausfliegen. Doch ich weiß ja nicht einmal, wo das Weltall endet und das Alles beginnt. Ich bilde mir das alles vielleicht nur ein.

aus: André Müller: Sie sind ja wirklich eine verdammte Krähe! Letzte Gespräche und Begegnungen. Langen-Müller, München 2011 (zitiert im Programmheft des Thalia Theaters)

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