Hässliche Entlein

Wer bestimmt eigentlich, ob jemand schön ist? Können wir uns davon frei machen? Und wenn ja, wie? Wenn doch gerade der eigene Körper in Veränderung begriffen ist und wir so gar nicht mit ihm klarkommen…Zur sehenswerten SchauspielRaum-Produktion im Jungen Schauspielhaus.

Foto: Sinje Hasheider

Schon wieder ein Pickel. Wie sieht das bloß aus? Bin ich vielleicht auch zu dick? Zu dünn? Müsste ich mir nicht die Beine rasieren, die Augenbrauen zupfen, die Wimpern verlängern, die Nägel lackieren, die Haare färben, die Lippen schminken undundund? Müsste ich? Muss ich? „Hässliche Entlein“ heißt die SchauspielRaum-Produktion in Anlehnung an Hans Christian Andersens Märchen. Zwölf junge Spieler:innen – Laien wie in jeder SchauspielRaum-Produktion – haben zusammen mit der Theaterpädagogin Marie Coring ein Stück über Körperbilder und Schönheitsideale entwickelt. 

„Mein Körper ist zu einem Thema geworden.“

Zu Beginn hocken sie in Zweier-, Dreier- und Vierergruppen verteilt auf der Studiobühne am Wiesendamm. Die Köpfe sind wie bei Vögeln unter den Armen versteckt, die Körper in bräunlichen Shirts und Hosen dem Publikum abgewandt (Kostüme: Theresa Dettmann). An der Rampe steht zentral und hell beleuchtet ein Eierbecher mit einem sehr großen Ei. Aus dem Off erzählt eine Stimme den Anfang des Andersen-Märchens bis zu dem Punkt, als die Küken aus dem Ei schlüpfen. Herzklopfen ertönt, dazu ein Knacken wie das Zerspringen der Eierschale. Die Spieler:innen beginnen ruckartig die Arme, dann den Kopf, schließlich den ganzen Körper zu bewegen und aufzustehen. Synchron drehen sie sich zum Publikum (Choreografie Pascal Schmidt).  In einem Halbkreis scharen sie sich um das Ei und wissen, dass es wie alle Eier „einsortiert, vermessen, kategorisiert“ und bewertet wird. Ähnlich begutachtet fühlen sich die Jugendlichen auch. Vor allem dann, wenn der Körper sich verändert. „Mein Körper ist zu einem Thema geworden“, stellen sie fest. Jede:r von ihnen nennt „echte Schamorte“, in denen der sich wandelnde Körper präsentiert werden muss: Umkleidekabinen, Sportplätze, Schwimmbäder, Arztpraxen. In einer Reihe marschieren sie mit jeweils einer weißen Personenwaage auf und steigen im Rhythmus auf und ab. In ein aufblasbares Planschbecken mit Schwanenhals (!) kippen sie eimerweise Kosmetikprodukte, denn: „Mein Körper ist eine wandelnde To-do-Liste“.  

„Können wir nicht einfach unseren Körper neutral annehmen, ohne ihn gleich zu lieben?“

Es bleibt aber nicht bei der Klage und dem möglichen Selbstmitleid. Marie Coring und ihr Ensemble haben gut daran getan, der Stückentwicklung auch eine ironische Note zu geben. Man kann dem Schönheitsideal nicht entsprechen, also versucht man es mit Bodypositivity, und alle vollziehen auf den Yogamatten synchron Atem- und Körperübungen. Bis jemand genervt fragt: „Können wir nicht einfach unseren Körper neutral annehmen, ohne ihn gleich zu lieben?“ Darin liegt für die Gruppe und das Stück letztlich die Lösung, dass nämlich jeder selbst bestimmen kann, wann und wie es sich schön fühlt. Das Ei wandert durch die Reihe und jede:r beginnt sein Bekenntnis mit „Ich fühle mich schön, wenn…“ Den engagierten und überzeugend spielenden Jugendlichen gelingt es, dass nicht nur ihre Altersgenosse:innen über dieses Thema nachdenken. 

Weitere Informationen unter: https://junges.schauspielhaus.de/stuecke/haessliche-entlein-11

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Was ist hässlich?
  • Was ist schön?
  • Umgang mit dem eigenen Körperbild
Formale Schwerpunkte
  • Choreografien
  • Formationen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe

ab 11 Jahre, ab Klasse 6

empfohlen für den Biologie-, Ethik-, Deutsch- und Theaterunterricht

Zum Inhalt

Hans Christian Andersen erzählt in seinem Märchen „Das hässliche Entlein“ von einem anfangs von allen als hässlich empfundenen Küken. Alle anderen sehen niedlich aus, also so, wie man sich Entenküken vorstellt, nur dieses eine ist anders und wird deshalb verlacht und ausgestoßen. Später  wird es sich zu einem von allen beneideten wunderschönen Schwan entwickeln, aber bis dahin ist es noch ein steiniger Weg. 

Die zwölf Spieler:innen der SchauspielRaum-Produktion haben das Märchen zum Anlass genommen, um über ihren Körper und dessen Veränderungen nachzudenken. Sie gehen folgenden Fragen nach: Was sagt mir mein Spiegelbild? Welche Bilder sehe ich auf Instagram? Was schreibt mir die Werbung vor? Kann ich mich so, wie ich bin, akzeptieren? Tatsächlich bietet sich am Ende durchaus eine Lösung.

Mögliche VorbereitungeN
Über Referate oder als vorbereitende Hausaufgabe:
  • Lesen des Märchens von Hans Christian Andersen: „Das hässliche Entlein“
  • Wie verändert sich unser Körper in der Pubertät?
In Gruppenarbeit:
  • Was ist „schön“? 
  • Wer bestimmt unser Schönheitsbild?
  • Was ist „unperfekt“?
  • Gibt es Strömungen (z.B. in der Mode), die gerade das Unperfekte hervorheben?
Im Unterrichtsgespräch:
  • Welche Möglichkeiten habe ich, mit vorgefertigten Schönheitsbildern umzugehen?
  • Wie lerne ich mich und meinen Körper zu akzeptieren?
  • Ist „anders sein“ immer gleich negativ?
  • Interpretation des Märchens (z.B.: Ausgrenzung des Andersartigen/Hässlichen; das eigentlich Schöne im Verborgenen/nicht Sichtbaren, das erst später erkennbar wird).
Speziell für den Theaterunterricht
Formationen und ihre Wirkung

Die Gruppe geht durch den Raum in neutraler Haltung und führt auf Signale der Spielleitung die nachfolgenden Formationen aus. Dabei ist es sinnvoll, im Wechsel zwei oder drei Spieler:innen an den Rand zu setzen, damit sie die Wirkung sehen und anschließend rückmelden können. Die Zuschauenden können sich nach jeder Formationen wieder „einklatschen“ und zwei bzw drei andere Spieler:innen an den Rand setzen. 

Folgende Formationen bieten sich an:

  • Reihe (Gesicht zum Publikum)
  • Reihe (abgewendet vom Publikum)
  • Kreis
  • Halbkreis (Gesicht zum Publikum)
  • Halbkreis (Gesicht zum Publikum), ein:e Spieler:in stellt sich etwa zwei Meter seitlich vom Halbkreis weg (Gesicht zum Publikum)
  • Halbkreis mit einer Person außerhalb (s.o.), der Halbkreis blickt auf die Person und zeigt mit dem rechten Arm auf sie
  • Halbkreis mit außenstehender Person, Halbkreis blickt auf die Person, streckt beide Arme aus, Person wendet dem Halbkreis das Gesicht zu.
  • weitere Variationen sind möglich
Museumsbesuch

Bei dieser aus der Performance stammenden Übung geht es darum, sich aus einer sicheren Position heraus betrachten zu lassen.

Die Gruppe wird in A und B geteilt. A geht durch den Raum. Jede:r sucht sich auf der Spielfläche einen Platz und eine ihm/ihr angenehme Position. Die Spielleitung sollte darauf achten, dass nicht alle Spielenden am Boden liegen, sondern unterschiedliche Ebenen einnehmen. Wenn alle ihren Platz und ihre Position gefunden haben, geht B wie im Museum an den einzelnen Personen vorbei, betrachtet sie genau, ohne dabei albern zu werden. Die betrachteten Personen sollen Haltung und Mimik behalten und sich nicht ablenken lassen.

Hilfreich ist es, wenn die Spielleitung dazu Musik einspielt.

Nach ca 5 Minuten wird gewechselt.