Schöne neue Welt. Mit einem einzigen Klick können sämtliche Dienste in Anspruch genommen werden, nichts bleibt verborgen, alle können alles sehen und miterleben. Dystopie oder sehr nahe Wirklichkeit? Zu Georg Münzels Bühnenfassung und Inszenierung von „Der Circle“ nach dem Roman von Dave Eggers am Altonaer Theater.

Die Kritik
„Wahnsinn! Ich bin im Himmel! Wahnsinn!“ Mae Holland (Miriam Schiweck) ist völlig aus dem Häuschen. Zum ersten Mal betritt sie die „Alles-gratis“-Welt des „Circle“, einem weltweit operierenden Konzern, der jedwede Dienstleistung auf einer einzigen Plattform konzentrieren will – und sie ist angenommen worden. Frisch und unverfälscht wirkt sie neben all den super netten, mega zugewandten Mitarbeitern. Deren anstrengend gute Laune verströmt etwas Künstliches, ihre einheitlichen Choreografien (Marie Stieper) lassen sie wie Roboter erscheinen, obwohl sie nicht häufig genug betonen können: „Hier arbeiten Menschen“. Kaum dass Mae angenommen ist, bekommt sie ein schickes Tablet und – schwupp! – ist auch schon ein Chip in ihrem Körper implantiert, der für Transparenz sorgen soll. Geheimnisse soll es nicht mehr geben, „denn alles, was passiert, muss bekannt sein“. „Sharing is Caring“ gehört zur Firmen-Losung mit dem Ziel, die Kriminalitätsrate zu senken und überhaupt den Menschen zu einer besseren Welt zu verhelfen. Bei den massenhaft auf Mae einprasselnden Selbstdarstellungen und Versprechungen des „Circle“ wird einem schon beim Zuhören ganz schwindelig.
2013, als Dave Eggers seinen Roman „The Circle“ veröffentlichte, mag das noch Zukunftsmusik gewesen zu sein. Google hatte sich zwar schon als gierige Krake etabliert, dennoch schien Eggers’ Vision wie eine finstere Dystopie, ein Weiterdenken von George Orwells „1984“. Allerdings, eine mächtige Internet-Firma, die durch umfassende Transparenz und Überwachung die Gesellschaft kontrolliert – der Schritt zum gläsernen Menschen (Standortbestimmung, Bezahlsystem, Online-Einkauf, soziale Netzwerke) wird immer kleiner.
„Ihr lasst euch freiwillig an die Leine legen.“
Am Altonaer Theater witterten sie die Aktualität des Stoffes, Georg Münzel hat deshalb den Roman für die Bühne bearbeitet und Regie geführt. Keine einfache Aufgabe, diese künstliche digitale Welt ins behäbige Medium Theater umsetzen. Die Kälte des Konzerns (trotz dessen gegenteiliger Behauptung) fängt die Bühne (Jörg Kiefel) auf mit spiegelblankem Boden, verschiebbaren weißen Elementen und der Projektion des „Circle“-Logos, pantomimenhaftes Wischen und Tippen, einheitliche Freizeitbewegungen spiegeln das Roboterhafte der Mitarbeitenden wider. Das steht in krassem Gegensatz zu der Welt, aus der Mae ursprünglich kommt. Da gibt es den an MS erkrankten Vater (auch in weiteren Rollen: Ole Schloßhauer), den Mae bei ihrem zweiten Besuch ohne Kamera, also ganz privat, besucht und der sich dem Konzern nicht unterwerfen will („dann kratz ich lieber ab“). Oder Mercer, der Freund aus Kindertagen (in weiteren Rollen: Celio-Silvestre Tamele). „Ihr lasst euch alle freiwillig an die Leine legen“, warnt er, allerdings ohne Erfolg. Die Gegenüberstellung von Firma und wirklicher Welt gelingt der Inszenierung gut, allerdings tritt sie in der Darstellung dessen, was der „Circle“ alles kann und will gerade im ersten Teil zu sehr auf der Stelle. Spannend wird sie mit der Figur des Ty Gospodinov, dem Gründer der Firma. Jascha Schütz zeigt diesen Ty als einen, der sich am „Circle“ verhoben hat. Desillusioniert will er ihn am liebsten zerstören und/oder mit Mae zusammen fliehen. „Die Geister, die ich schuf, werd’ ich nun nicht mehr los“. Wann ließ das Goethe seinen Zauberlehrling nochmal ausrufen? Knapp 230 Jahren später ist die Welt leider nicht klüger geworden.
Weitere Informationen unter:https://www.altonaer-theater.de/programm/der-circle/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Vollkommenen Transparenz
- Aufgabe der Privatsphäre
- Totale Kontrolle durch eine Internet-Firma
Formale SchwerpunKte
- Choreografien
- Wiederholende patomimenhafte Bewegungen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 15/16 Jahre, ab Klasse 10
- Empfohlen für den Politik-, Wirtschafts-, Ethik,- Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Mae Holland hat sich auf Anraten ihrer Freundin Annie Allerton beim weltweit operierenden Konzern „Der Circle“ beworben und ist tatsächlich angenommen worden. Hier eröffnet sich ihr eine auf den ersten Blick sagenhaft schöne Welt: Alles ist gratis, sogar die Freizeitaktivitäten, alle sind zu allen immer super nett, niemals ist man allein, alles wird geteilt, denn „Sharing is Caring“. Mae kann gar nicht so schnell gucken, wie ihr mit dem Aushändigen von Handy, Laptop und Mini-Kamera ein Chip eingepflanzt wird und sie schon fast zu einem gläsernen Menschen macht. Allerdings hat sie manchmal noch die Möglichkeit, die Kamera auszuschalten und für sich privat zu sein. Das tut sie tatsächlich auch, als sie ihre Eltern mit dem an MS erkrankten Vater besucht (beim ersten Mal hatte sie die Kamera eingeschaltet und so den Zorn der Eltern auf sich gezogen). Auch den Sonnenuntergang genießt sie alleine ohne Kamera, weil sie eine Pause braucht und nachdenken muss. Das aber bringt ihr Kritik von der Firma ein, die dieses Verhalten als egoistisch tadelt. In Mae regen sich nicht zuletzt durch die Bemerkungen ihres Jugendfreundes Mercer Zweifel an der Firma, deren Ziel die vollständige Kontrolle ist. Überraschend wird sie darin durch Ty Gospodinov bestärkt. Der hat die Firma gegründet, erkennt aber jetzt ihre Macht und hat nur noch vor, sie zu zerstören.
Mögliche Vorbereitungen
- Recherche zur Macht von Social-Media- und Internet-Firmen wie Google, Facebook, X Inhalt von Deve Eggers: The Circle
- Goethe: Der Zauberlehrling
Im Unterrichtsgespräch:
- Auswertung der Recherche
- Welche Möglichkeiten gibt es, die Kontrolle zu stoppen oder ihr zu entgehen? Wie realistisch ist das? Welche Konsequenzen hätte das?
Speziell für den Theaterunterricht
Roboterhaftes Gehen (am besten mit Musik)
Die Gruppe geht durch den Raum. Die Spielleitung gibt vor:
- das Gehen in einzelne Bewegungen zerlegen (Bein angewinkelt haben, strecken, Fuß aufsetzen, nächstes Bein genauso etc)
- die Bewegung der Arme beim Gehen ebenfalls zu zerlegen (beim linken Bein, rechten Arme nach vorne, beim rechten Bein linken Arm nach vorne)
Zwei Spieler:innen als Zuschauer:innen rausnehmen, um die Wirkung zu besprechen.
Automatisierte Abläufe
Die Spielleitung teilt die Gruppe in Vierer-Gruppen auf.
Aufgabe:
Überlegt euch für die Darstellung von Mitarbeitenden einer Internet-Firma vier verschiedene Bewegungen und probt sie
- als synchrone Abläufe (von 1 bis 4 und wieder von vorne)
- versetzt, so dass Spieler:in 1 mit Bewegung 1 beginnt, Spieler:in 2 mit Bewegung 2 etc, aber jede:r alle vier Bewegungen hintereinander und wiederholend ausführt.
- Präsentation der beiden Varianten und Feedback