A perfect Sky

Die KI kann alles, sie ist perfekt. Aber sie hat keine Gefühle, kennt keine Empathie, kann sich nicht in andere hineinversetzen. Ist sie besser als der Mensch? Regisseur und Autor Falk Richter und Choreografin Anouk van Dijk haben in ihrem intelligenten und charmanten Projekt „A Perfect Sky“ am Hamburger Schauspielhaus darüber nachgedacht.

Schöne digitale Welt? Ensemble – Foto: Thomas Aurin

Die Kritik

Da ist diese eine Szene: Eine junge Frau (Alberta von Poelnitz) singt „Here Comes The Rain Again“,  einen Song der Eurythmics von 1983, dazu spielt ein Mann (Christoph Jöde) Gitarre. Das sei doch damals eines seiner Lieblingslieder gewesen, stellt die Frau fest und fragt, wie es denn Anfang der 80er gewesen sei so ganz ohne digitale Medien. Wenn man zum Beispiel in einer unbekannten Stadt eine Eisdiele finden wollte, „die beste!“ Man habe jemanden gefragt, erklärt der Mann, und dann habe derjenige den Weg zu der Eisdiele anhand von markanten Merkmalen beschrieben. Noch hört die junge Frau gespannt und ein wenig ungläubig zu, doch als der Mann ausführlich und mit viel Wärme in seinen Erinnerungen kramt, verschwindet sie mit dem Handy am Ohr. Ihre Aufmerksamkeitsspanne ist erschöpft. 

Der Mensch an sich ist umperfekt, fehlerhaft, zerbrechlich.

Die Szene ist ungefähr im zweiten Drittel von „A Perfect Sky“ angesiedelt, einem Projekt von Falk Richter und Anouk van Dijk, das jetzt am Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt wurde. Sie ist deshalb so herausragend, weil hier das Analoge unverfälscht und in seiner ganzen Unzulänglichkeit (viel zu lange Erklärungen) und Warmherzigkeit (das freudige Lachen beim Erinnern) zu Wort kommt und sich wie ein seltsamer Schatz in einer digitalisierten Welt ausnimmt. Richter (Text und Regie) und van Dijk (Choreografie) setzen sich in ihrem 90minütigen Projekt mit dem Spannungsverhältnis zwischen der Digitalisierung, die Perfektion auf den verschiedensten Gebieten ermöglicht, und der Sehnsucht des Menschen nach Wärme und Nähe auseinander. Denn der Mensch an sich ist unperfekt, fehlerhaft, zerbrechlich. Er sehnt sich nach Selbstoptimierung, nach größtmöglicher Sicherheit. Zufälliges, das ihn vielleicht auf einen falschen Weg führt, will er ausschließen. Deshalb hat er die Digitalisierung mit ihren Algorithmen erfunden, damit  Google Maps, Dating-, Gesundheits- und unzählige andere Apps ihm das Leben erleichtern. 

Zu vIel Nähe? Maximilian Scheidt, Tiemen Stemerding – Foto: Thomas Aurin

Die Bühne (Wolfgang Menardi) ist von metallenem Weiß beherrscht: Wendeltreppe, Doppelbett, Pulte und Sitzgelegenheiten – alles wirkt kalt und funktional, vor allem dann, wenn es in bläuliches Licht (Annette ter Meulen) getaucht ist. Eine KI-generierte Frau (Sandra Gerling) eröffnet den Abend und stellt sich mit elektronisch verzerrter Stimme als „die Intelligenz“ vor, der man vertrauen könne. „Ich möchte werden wie du – nur ohne Fehler“, gesteht sie und ergänzt: „Mich gibt es auch als Hund. Wuff. Wuff.“ Selbstironie liegt ihr als KI fern, ebenso wie jede Art von Emotion oder gar Empathie. Dafür erheitern derartige ummodelliert vorgetragene Statements das Publikum umso mehr. Richter und van Dijk vermeiden in ihrer Inszenierung jede Art von schmallippiger Schulmeisterlichkeit. Ihre intelligenten Betrachtungen einzelner Themen wie der verzweifelte Versuch, ein Buch mit Hilfe eines Creative-Writing-Tools zu schreiben, oder mit einem ehrlich gemeinten „Ich liebe dich“ umzugehen, haben neben aller Tiefe eine gewisse Leichtigkeit, Charme und Witz, nicht zuletzt durch van Dijks akrobatisch anmutende Choreografien, die einzelne Szenen kommentieren oder Übergänge gestalten.  Sie zeigen aber auch die Verletzlichkeit und Einsamkeit des Menschen, der abhängig ist von der digitalen Welt und in ihr unterzugehen droht. 

Wird sich die KI irgendwann verselbstständigen? Müssen wir Angst haben? Noch ist es der Mensch, der sie mit Daten füttert. Aber was sind unsere Werte? Und wie erklären wir sie der KI?

Fragen, die uns auch nach diesem klugen, unbedingt sehenswerten Abend dringend beschäftigen sollten.

Weitere Informationen unter: https://schauspielhaus.de/stuecke/perfect-sky

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Analoger Mensch in digitaler Welt:
  • Abhängigkeit 
  • Sehnsucht nach Nähe
  • Selbstoptimierung
  • Verantwortung für Daten
  • Macht der KI
Formale SchwerpunKte

Choreografien als Kommentare zu Inhalt

Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • Ab 16 Jahre, ab Klasse 10/11
  • Empfohlen für Ethik-, Philosophie-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Das Projekt beschäftigt sich mit einzelnen Themen zum Thema KI und Mensch in der digitalen Welt. Statt eines Handlungsablaufs gibt es einzelne Szenen, z.B. zu Thema Einsamkeit und Nähe, zur Selbstoptimierung, zum Creative Writing, zur Gegenüberstellung  der Gegenwart mit einer Welt vor der Digitalisierung. Die einzelnen Szenen werden durch 

Choreografien miteinander verbunden.

Mögliche Vorbereitungen
  • Recherche zum Einsatz von KI (Welche Bereiche?)
  • Recherche zur Entwicklung von KI
  • Erstellen eines Fragenkatalogs für die Großeltern- und Elterngeneration: Wie habt ihr miteinander kommuniziert? (Telefon, Briefe, evtl. Telegramme)? Wie habt ihr Urlaube gebucht? Wie habt ihr euch orientiert in unbekannten Orten? usw
  • Weitere Themen/Fragen können auch im Unterrichtsgespräch erarbeitet werden.

 

Im Unterrichtsgespräch:
  • Vorstellen der Ergebnisse aus der Befragung.
  • Vergleich mit der Vorgehensweise in der digitalisierten Gesellschaft.
  • Problematisieren: Welche Vorteile bringt die Digitalisierung? Welche Nachteile?
Speziell für den Theaterunterricht
Übungen zu Nähe und Abstand

Die Spielleitung teilt den Kurs in zwei gleich große Gruppen (A, B). Mitgliedern der Gruppe A stehen Mitgliedern der Gruppe B so gegenüber, dass jede Spielerin/ jeder Spieler ein Gegenüber hat.  Beide Reihen stehen an einander entgegen gesetzten Wänden im Raum.

Auf der Linie gehen

Spieler*innen der Gruppe A locken ihr Gegenüber mit einer Handbewegung zu sich, machen eine „Stop!“-Bewegung, wenn das Gegenüber zu nahe ist, lassen es mit einer entsprechenden Handbewegung zurückweichen, stoppen es, lassen wieder Nähe zu usw. Wichtig ist, dass sich beide Partner immer anschauen und nicht miteinander sprechen. B darf auch beim Zurückgehen A nicht den Rücken zu kehren. Nach einer gewissen Zeit (ca 5 – 10 Min.) wird gewechselt, d.h. B verfährt mit dem Gegenüber wie vorher A.

Kommunikation?

Auf der gleichen Linie begegnen sich Spieler:innen von A und B. Dabei können die Spieler:innen sich hinsetzen, hinlegen, stehen bleiben. Sie dürfen nicht an dem Gegenüber vorbei gehen oder darüber hinweg steigen, sie dürfen sich auch nicht (s. oben) den Rücken zuwenden. Möglichst 10 Min. durchhalten.

Eventuell kann die Spielleitung zwei oder drei Zuschauer:innen bestimmen.

Im Anschluss Gespräch:

Wie habt ihr die erste Übung empfunden? 

Wie die zweite? Was haben die Zuschauer gesehen? Können daraus Geschichten entstehen? 

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