Eine Familie baut ein Unternehmen auf. Es floriert, beschert der Familie beeindruckende Kontostände und hohes Ansehen in der Stadt. Aufgabe der kommenden Generationen ist es, den Standard zu halten, bestenfalls zu erhöhen. Geht das ohne Schaden? Zu Marc Beckers nuancierter Inszenierung von „Buddenbrooks – Eine Familiensaga“ im Ohnsorg Theater.

Die Kritik
Die Ahnen sind allgegenwärtig. Ihre übergroßen Konterfeis zieren nicht, sie dominieren das Haus der Familie, blicken streng und unbeweglich auf das, was dort passiert. Die Tradition als bestimmendes Prinzip hat Katrin Reimers vor allem über diese Fotos, aber auch durch das schwere, dunkle Mobiliar in ihrem Bühnenbild aufgegriffen. Verwinkelte Treppen im Hintergrund lassen kaum an ein Entkommen denken. Und das ist ja auch nicht gewünscht. Was zählt, ist das Wohl der Firma, die die Familie ernährt und zu dem gemacht hat, was sie ist. Dem haben sich auch die nachfolgenden Generationen unterzuordnen. „Wir sind nicht lose, unabhängige und für sich bestehende Einzelwesen“, wird Konsul Buddenbrook an seine Tochter Tony schreiben, „sondern wie Glieder einer Kette.“
In der plattdeutschen Übersetzung von Cornelia und Christiane Ehlers hat Marc Becker John von Düffels Bühnenfassung von Thomas Manns „Buddenbrooks“ am Ohnsorg Theater inszeniert und dabei dem familiär und vertraut wirkenden Plattdeutschen bis auf wenige Ausnahmen (etwas wenn offizielle Briefe verlesen werden) sehr viel Raum gegeben. Schließlich geht es bei Thomas Manns 1901 veröffentlichten Roman um eine Familie, genauer um den sukzessiven Verfall einer Kaufmannsfamilie. Die Dekadenz, das alles überlagernde Dunkel, die Strenge – all das wird aufgegriffen von Bühnenbild, den prachtvollen Kostümen (Stephanie Kniesbeck), aber auch der unaufdringlichen Musik (Stefan Hiller). Becker belässt die Geschichte in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Was er zu erzählen hat, trifft auch aktuell ins Schwarze, sind doch die Probleme genau die, mit denen sich so viele Dynastien, seien es die der Ottos, Blocks oder die Tchibo-Familie Herz, auseinandersetzen müssen: Wer führt die Firma fort? Wie kann das Vermögen in ständig wechselnden Zeiten gehalten, vielleicht sogar vermehrt werden? Wie geht man mit Mitgliedern um, die einen eigenen Weg wählen wollen?
Becker setzt mit von Düffels Vorlage seinen Fokus auf die beiden zentralen Generationen in Manns Roman.

Becker setzt mit von Düffels Vorlage seinen Fokus auf die beiden zentralen Generationen in Manns Roman: die des Konsuls Johann Buddenbrook und seiner Frau Betsy und die der Kinder Thomas, Christian und Tony. Der Konsul hatte von seinem Vater den äußerst erfolgreichen Getreidehandel übernommen und solide weitergeführt. Wie viel Freude er dabei empfindet, lässt Oskar Ketelhut offen. Er spielt ihn als leisen, in sich verschlossenen Mann, der weiß, wo seine Pflichten liegen. Birte Kretschmer als Betsy steht still und liebevoll hinter ihrem Mann und der Familie. Sie weiß, was von ihr als Mutter und Konsulin erwartet wird. Sie zuckt auch nicht mit der Wimper, als der Hamburger Kaufmann Grünlich (Colin Hausberg zeigt ihn als schleimigen Großkotz) um die Hand ihrer Tochter Tony anhält. Denn Grünlich hat angeblich Vermögen, könnte den Fortbestand des Buddenbrookschen Getreidehandels garantieren und für Tony eine gute Partie abgeben. Aber die hatte sich schon bei dessen ersten Besuch über ihn totgelacht und sich bei ihrem Urlaub am Strand von Travemünde in den schüchternen Medizinstudenten Morten (wieder Colin Hausberg, der diesen jungen Mann voller Selbstzweifel und Zartheit darstellt) verliebt. Laura Uhligs Tony ist ein lebensbejahendes Mädchen, das gerne herumalbert, aber dennoch den Satz ihres Vaters verinnerlicht hat, dass sie alle „Glieder einer Kette“ sind. Individualität zählt da nicht, insofern ist klar, dass sie Grünlich heiratet. Als der sich als Bankrotteur entpuppt (verlacht von Robert Eders zynischem Bankier Kesselmeyer), geht sie zur Rettung der Familienehre eine Ehe ein mit dem bayrischen Bierbrauer Permaneder (Colin Hausberg in dieser Rolle laut und ordinär).
Christian lebt ein Leben als hypochondrischer Bohemien.

Für die Firma, für die Familie und ihr Ansehen opfert sich Tony auf, ihr Leben ist fremdbestimmt und unglücklich. Bei Thomas ist es kaum anders. Nach dem Tod des Vaters übernimmt er den Getreidehandel, wird sogar zum Senator gewählt, doch Marco Reimers zeigt, wie viel Anstrengung ihn das alles kostet, dass der Peak schon längst erreicht und er selbst „nur ein Schauspieler“ ist, der sich mit seiner Rolle als Geschäftsmann und Senator nicht identifizieren kann und eine unglückliche Ehe mit der schöngeistigen Gerda (kühl und herablassend: Julia Kemp) führt. Während Thomas und Tony sich der Tradition beugen, schert Flavio Kiefers Christian aus. Er tanzt in Londons Theatern, verjubelt sein Geld in Valparaiso, lebt ein Leben als hypochondrischer Bohemien. Glücklich wird auch er nicht. Das Erbe, die Familientradition ist eine Last geworden, die den Einzelnen erdrückt. In der Familienchronik zieht Hanno, der Sohn von Thomas und Gerda, einen Doppelstrich unter seinem Namen. Er dachte, nach ihm komme nichts mehr.
Mit „Buddenbrooks – Eine Familiensaga“ wagt sich das Ohnsorg in eine nachdenklichere, stillere Richtung und gewinnt. Der gut zweieinhalbstündige Abend ist absolut sehenswert.
Weitere Informationen unter: https://www.ohnsorg.de/events/buddenbrooks-eine-familiensaga/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Hinweis
Die Aufführung ist für Schulklassen der Oberstufe unbedingt zu empfehlen, gerade weil „Buddenbrooks“ ein wichtiger Roman ist, der aber leider im Unterricht nicht mehr gelesen wird. Da der Plattdeutsch-Anteil recht hoch und vielleicht nicht von allen Schüler:innen gut zu verstehen ist, sollten interessierte Lehrkräfte möglichst die Vorstellungen am 8., 9. oder 11. Mai buchen, bei denen hochdeutsche Obertitel eingeblendet werden.
Inhaltliche Schwerpunkte
- Erfolg und Fortbestand des Familienunternehmens als oberstes Prinzip
- Unterordnung individueller Wünsche und Lebenswege unter dieses Prinzip
- Konsequenzen, die sich für den Einzelnen daraus ergeben
Formale SchwerpunKte
- Realismus in Spielweise und historisch orientierte Ausstattung
- Hochdeutsche, teilweise chorisch gesprochene Passagen bei offiziellen Texten (Briefe u.ä.)
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 15/16 Jahre, ab Klasse 10/11,
- Empfohlen für den Geschichts-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Im Gegensatz zu Thomas Manns Roman, der die Geschichte der Familie Buddenbrook über vier Generationen erzählt, konzentriert sich John von Düffels Bühnenfassung auf ungefähr zwanzig Jahre, in denen der Firmenwechsel vom Konsul Buddenbrook auf seine Sohn Thomas geschieht. Insofern stehen hier hier nur zwei Generationen im Fokus.
Konsul Johann Buddenbrook, verheiratet mit der später immer mehr der Kirche zugewandten Betsy, hat einen florierenden Getreidehandel von seinem Vater geerbt und erfüllt seine Pflicht als Firmenchef gewissenhaft. Die Zeiten sind jedoch nicht einfach, so dass er recht erfreut ist über die Heiratsabsichten des Hamburger Kaufmanns Grünlich, der laut eigenen Aussagen über ein beträchtliches Vermögen verfügt. Grünlich ist zwar ein Aufschneider und zutiefst unsympathisch, dennoch redet der Konsul seiner Tochter Tony zu, ihn zu heiraten, denn mit der Eheschließung verspricht er sich einen Gewinn für die Firma und eine gute Versorgung der Tochter. Tony, die sich bei einem Aufenthalt an der Ostsee in den Medizinstudenten Morten verliebt hat und Grünlich widerlich findet, schickt sich dennoch aus Pflicht- und Traditionsbewusstsein in diese Ehe. Auch nachdem diese wegen Grünlichs Bankrott geschieden wird, versucht sie mit der Heirat des bayrischen Bierbrauers Permaneder die Ehre wiederherzustellen. Allerdings scheitert auch diese Ehe und Tony kehrt als alleinstehende Frau zurück in das Haus ihres Bruders Thomas. Der hat nach dem Tode des Konsuls die Firma übernommen, das Elternhaus verkauft und ein neues, seinem Stand als Senator angemessenes bauen lassen. Er hat mit der schöngeistigen Gerda eine Frau aus begüterter Familie geheiratet und mit ihr einen oft kränkelnden Sohn Hanno bekommen, aber er kann sich mit seiner Rolle als Firmenchef, Senator und Vater nicht identifizieren. Probleme bereitet ihm nicht nur die wirtschaftliche Lage seiner Firma, die u.a. durch die verschiedenen Mitgiften geschwächt ist, sondern auch sein Bruder Christian. Der kann sich mit dem Kaufmannsdasein überhaupt nicht anfreunden, ihm steht der Sinn nach Theater, Musik und schönen Frauen. Sein Erbe verpulvert er in London und Valparaiso, ist aber letztlich unglücklich und fühlt sich krank. Hanno hat in der Familienchronik unter seinem Namen einen Doppelstrich gezogen, weil er meinte, nach ihm komme nichts mehr – und so wird es sein.
Mögliche Vorbereitungen
- Lektüre oder Inhaltsangabe zu Thomas Mann: Buddenbrooks.
- Recherche zur Bedeutung und Rezeption des Romans
- Recherche zu Dekadenz
Im Unterrichtsgespräch:
Möglichkeiten und Konsequenzen beim Ausscheren aus der Familientradition
Speziell für den Theaterunterricht
Die Spielleitung verteilt unten stehenden und auf die Figurenrede gekürzten Textauszug Aufteilung des Kurses in Vierer-Gruppen ein.
Aufgabe:
- Lest den Text und kürzt die Dialog auf das für euch Wesentliche ein
- Überlegt euch Körperhaltung, Bewegung und Gestik zum Konsul, zur Konsulin und zu Tony.
- Erstellt dann mit dem von euch eingekürzten Dialog eine Szene
Text:
Der Konsul erklärt Tony beim Frühstück, dass der Hamburger Kaufmann Bendix Grünlich Tony heiraten möchte.
Konsul: Thilda ist schon in der Küche tätig, und ich wäre ebenfalls bei meiner Arbeit, wenn deine Mutter und ich nicht in einer ernsthaften Angelegenheit mit unserem Töchterchen zu sprechen hätten.
Konsulin: Iss nur zuvor, mein Kind.
Tony: Nur gleich heraus damit, bitte, Papa!
Konsul: Mein liebes Kind (…), um kurz zu sein: Herr Bendix Grünlich, den wir alle als einen braven und liebenswürdigen Mann kennen gelernt haben, schreibt mir, dass er während seines hiesigen Aufenthaltes eine tiefe Neigung zu unserer Tochter gefasst habe, und bittet in aller Form um ihre Hand. Was denkst du gutes Kind darüber?
Tony: Was will dieser Mensch von mir – ! Was habe ich ihm getan?
Konsulin: Liebe Tony, (…) du kannst sicher sein, nicht wahr, dass deine Eltern nur dein Bestes im Auge haben, und dass sie dir nicht raten können, die Lebensstellung auszuschlagen, die man dir anbietet.
Tony: Ich verstehe es nicht…ich verstehe es nicht… wie kommt er dazu.. was habe ich ihm getan?!
Konsul: Das hast du schon einmal gesagt, Tony, und es zeigt deine kindliche Ratlosigkeit. Mein Töchterchen muss durchaus nicht glauben, dass ich es drängen und quälen will … Das alles kann mit Ruhe erwogen werden, muss mit Ruhe erwogen werden, denn es ist eine ernste Sache.
(…)
Tony: Und du, Mama? Du rätst mir also auch, mein…Jawort zu geben?
(…)
Konsulin: Wie dein Vater dir sagte: du hast Zeit zur Überlegung. Aber wir müssen dir zu bedenken geben, dass sich eine solche Gelegenheit, dein Glück zu machen, nicht alle Tage bietet, und dass diese Heirat genau das ist, was Pflicht und Bestimmung dir vorschreiben. Ja, mein Kind, auch das muss ich dir vorhalten. Der Weg, der sich dir heute eröffnet hat, ist der dir vorgeschriebene, das weißt du selbst recht wohl…“
aus: Thomas Mann: Buddenbrooks, Fischer TB, Frankfurt am Main, 51. Auflage, 2001, S.102 – 105