Lysistrata

Auf den ersten Blick haben eine Game-Show und Aristophanes’ „Lysistrata“ nichts miteinander zur tun. Warum es doch eine Verbindung gibt, zeigt die frische und intelligente Inszenierung von Jona Manow im Theater Das Zimmer.

Foto: Patrick Bieber

Die Kritik

Eine Binse, aber leider wahr: Es sind immer die Männer, die Kriege anzetteln und nur schwer für eine Friedenslösung zu begeistern sind. Schon gar nicht dann, wenn sie Kompromisse schließen und ihre eigenen Interessen zurückstellen müssen. Gelernt hat die Welt seit mehr als 2400 Jahren nichts, da konnten und können sich Dramatiker noch so sehr die kritischen Finger wund schreiben. Schon 411 v. Chr. hatte Aristophanes versucht, mit einer Komödie den Irrsinn der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Athen und Sparta zu überzeichnen. „Lysistrata“ ist darin die titelgebende Heldin, die alle Frauen, selbst die der Gegner, dafür begeistert, ihren Männern einfach den Sex so lange zu verweigern, bis sie Frieden schließen. 

„Wie findet ihr den Text?“

Im Theater Das Zimmer hat der junge Regisseur Jona Manow  das Stück zusammen mit vier großartigen Schauspielerinnen, Sandra Kiefer, Lena Anne Schäfer, Elena Weber und Danja Rishany Emmanuel, inszeniert. Es ist tatsächlich eine gemeinsame Arbeit, ein Sich-Herantasten an den Text und seine Figuren. Barfuß betritt Lena Anne Schäfer in rotem langen Kleid die Bühne. Auf einem Tisch liegen vier Textbücher, dahinter hängen drei Magnetwände: die eine voll mit Tischtennisschlägern, die mittlere mit der Überschrift „Konfliktbarometer“, die dritte mit einer Dartscheibe (Bühne und Kostüme: Nicole Bettinger). Schäfer nimmt sich eines der Bücher und liest: „1. Szene. Lysistrata tritt aus ihrem Haus“ und weitere Regieanweisungen zu ihrer Figur.  Gleich darauf erscheint Elena Weber, weiß aber gerade gar nicht, dass schon das Stück gespielt oder geprobt wird. Auch Danja Rishany Emmanuel ist ebenfalls im falschen Film. Ihren Auftritt begleiten Fanfaren, Disko-Licht und die Begrüßung des Publikums zur Game-Show. Bis ihr gesagt wird, dass das Ganze erst später und jetzt erst einmal „Lysistrata“ dran ist. Sandra Kiefer müht sich, ihren offenbar Bayrisch gehaltenen Part vorzulesen, steigt aber immer wieder kopfschüttelnd aus („Was ist denn das für eine Sprache?“).  Nach und nach treten die vier Schauspielerinnen in den Text ein, Thema und Absicht der Frauen um Lysistrata werden deutlich, lassen aber immer wieder Raum für Überlegungen („Wie findet ihr den Text?“), kritische Anmerkungen oder Assoziationen. Vor allem Elena Weber als Kaliope  muss ab und zu zur Ordnung gerufen werden, weil ihr ständig irgendwelche versauten Ideen kommen, und sei es nur, dass sie begeister „I’m so  horny, horny“ anstimmt, weil: “Wir sind doch in Horn“. 

In der Game-Show „Horn to Know“ wird das Publikum in Athener und Spartaner aufgeteilt.

Die erfrischend unbekümmerte Herangehensweise geht aber gerade im zweiten Teil nach der Pause deutlich in die Tiefe. Dann findet endlich die Game-Show  „Horn to Know“ statt und das Publikum (keine Angst! Man muss nicht wirklich mitspielen.) wird in Spartaner und Athener eingeteilt. Fragen zur Situation von Frauen im Allgemein, in Theater und Film im Besonderen werden auf die mittlere Tafel projiziert, dazu mehrere mögliche Antworten. Die Gruppen müssen sich absprechen, welche sie wählen und bekommen dafür einen Punkt. Das lockert auf, schafft Gemeinschaftsgefühl,  löst aber gleichzeitig Erstaunen, teilweise auch Entsetzen über die richtigen Antworten in statistisch belegten Zahlen aus. Ist also immer noch nicht so weit her mit der Gleichstellung der Frauen – und dabei dachten wir doch…  

Ein kurzes Durchatmen, dann geht es weiter mit „Lysistrata“.  Die Frauen schaffen es tatsächlich, den notgeilen Kinesias (unglaublich komisch: Elena Weber), der seine Frau entführen will, auszutricksen und letztlich einen Frieden zwischen den verfeindeten Parteien zu erreichen.  Ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass  Frauen doch Möglichkeiten haben und ihre Macht einsetzen können.

Es ist diesem kleinsten Theater Hamburgs hoch anzurechnen, eine derart frische und unangestrengt aktuelle Inszenierung von „Lysistrata“ auf die Bühne gebracht zu haben. Nach knapp zwei kurzweiligen Stunden ohne schmallippige Belehrung geht das Publikum hinaus in den herbstlichen Abend  – und ist ein bisschen nachdenklicher geworden.

Weitere Vorstellungen noch bis zum 29. Oktober.

Weitere Informationen unter: https://www.theater-das-zimmer.de

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Sexuelle Verweigerung der Frauen als Mittel des Protests
  • Macht der Frauen gegenüber den Männern
  • Kriege als von Männerinteressen geleitete Form der Auseinandersetzung 
Formale Schwerpunkte
  • Postdramatisches Theater: Anreicherung und Überschreibung des Originals mit Fremdtexten und eigenen Assoziationen
  • Einbeziehung des Publikums in Form einer Game-Show
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe

ab 16 Jahre; ab Klasse 10/11

für Geschichts-, Deutsch – und Theaterunterricht 

Zum Inhalt

Jona Manows Inszenierung ist eine postdramatische Bearbeitung und Überschreibung der ursprünglichen Komödie von Aristophanes. Im antiken Original geht es um Folgendes: Es herrscht Krieg zwischen Athen und Sparta. Männer sterben, Familien leben in Angst, aber die Kämpfe gehen unvermindert weiter. Den Frauen platzt der Kragen, sie wollen endlich Frieden. Unter Führung der Athenerin Lysistrata beschließen die Frauen, sich solange ihren Männern sexuell zu verweigern, bis diese endlich Frieden geschlossen haben. Selbst die Frauen der Gegner, die Spartanerinnen, erklären sich damit einverstanden. Um den Männern auch den Zugang zur Kriegskasse zu verwehren, besetzen die Frauen die Akropolis und versperren den Zugang zu deren Vorhalle, den Propyläen. Ihre Solidarität zeigt sich, als sie die Brände einer Gruppe von Greisen, die die Frauen ausräuchern wollen, gemeinsam mit Wasser niederschlagen. Allerdings bröckelt es in den eigenen Reihen. Immer mehr Frauen leiden darunter, nicht mehr mit ihren Männern das Bett teilen zu können. Unter fadenscheinigen Vorwänden versucht die eine oder andere die Akropolis zu verlassen und sich nach Hause zu schleichen. Lysistrata gelingt es jedoch, den Kampfgeist unter den Frauen aufrechtzuerhalten. Als der Krieger Kinesias versucht, seine Frau zu entführen, scheitert er an der List der Athenerin Myrrhine. Tatsächlich gelingt es den Frauen, sowohl die Männer Athens als auch die Spartas zum Frieden zu bewegen und damit beide Lager wieder zu versöhnen.  

Mögliche VorbereitungeN

Als Referat und/oder vorbereitende Hausaufgabe:

  • Aristophanes: Lysistrata (Inhalt)
  • Die Situation zwischen Athen und Sparta 410 v. Chr.
  • Sexuelle Verweigerung der Frauen im 21. Jahrhundert: In welchen Ländern wird sie benutzt? Aus welchem Grund? Mit welchem Ziel?
  • Die Gleichstellung der Frau – Wo ist sie Realität?
Speziell für den Theaterunterricht:

Die Inszenierung kann in Zusammenhang mit Regiestilen vorbereitet werden.

Als vorbereitende Hausaufgabe: 

Recherche zu Grundzügen des postdramatischen Theaters im Vergleich zum klassisch-dramatischen Theater.

Die nachfolgende Aufgabe kann für die laufende Szenenarbeit verwendet werden. Dafür müsste die Lehrkraft einen entsprechenden nicht-literarischen Text auswählen und zur Bearbeitung verteilen. Die Erarbeitung geschieht in Vierer- oder Fünfergruppen.

Aufgabe:

Erarbeiten Sie aus dem vorgegebenen Textauszug eine postdramatische Szene für das laufende Projekt. Berücksichtigen Sie dabei die Aufteilung und Gestaltung des Textes  für die handelnden Figuren (Sätze und Wörter können gestrichen, wiederholt, umgestellt werden) und schreiben Sie Handlungsanweisungen und führen Sie die Szene auf.

Speziell zu „Lysistrata“:
Vorlesen – Gehen – Stehen – Bleiben

Die Spieler:innen stehen in einer Reihe; die Spielleitung liest die Inhaltsangabe zu „Lysistrata“ vor; die Reihe geht langsam auf die gegenüberliegende Seite des Raumes zu; wann immer dem /der einzelnen Spieler:in etwas interessant vorkommt, bleibt er/sie stehen; nach dem Vorlesen nennt jede:r seinen/ihren Themenschwerpunkt, der auf je einer Karten gesammelt wird; bei einem zweitem Durchgang können weitere hinzukommen. Über diese Themen lässt sich diskutieren. Im Anschluss daran kann mit Hilfe der Karten ein eigener Handlungsbogen festgelegt werden. 

Anhand dieser Schwerpunktsetzung werden einzelne Gruppen eingeteilt. Diese können die zu ihrem Thema nicht-literarische Texte zur nächsten Stunde mitbringen. Dann wird ausgewählt, welcher Text bzw welche Auszüge aus verschiedenen Texten und welche zusätzlichen Ideen diesen Themenschwerpunkt ergänzen. Wenn möglich, sollte die Grippe versuchen, daraus eine postdramatische Szene zu entwickeln. Die Aufgabe lautet dann wie oben:

Aufgabe

Erarbeiten Sie aus dem vorgegebenen Textauszug eine postdramatische Szene für Ihren Themenschwerpunkt. Berücksichtigen Sie dabei die Aufteilung und Gestaltung des Textes  für die handelnden Figuren (Sätze und Wörter können gestrichen, wiederholt, umgestellt werden) und schreiben Sie Handlungsanweisungen und führen Sie die Szene auf.