Endsieg

„Und es ist wahr geworden.“ Rassismus? Sexismus? Verurteilung als Straftäter? Egal. Trump ist erneut zum Präsidenten gewählt worden. Elfriede Jelinek hat in gewohnter Hellsichtigkeit mit „Endsieg“ blitzschnell auf die US-Wahl reagiert. Mindestens genauso schnell war Falk Richter. In nur zwei Wochen hat er das Stück auf die Bühne des Deutschen Schauspielhauses gebracht und das Ensemble die Textmassen bewältigt. Vor allem dafür gebührt ihm und dem Regisseur unsere Hochachtung.

Huldigung des Siegers als Heiligen (v.li: Christoph Jöde, Frank Willens, Sandra Gerling, Mirco Kreibich, Mehmet Ateşçi, Josefine Israel ) – Foto: Thomas Aurin

Die Kritik

Der Plan war anders. Eigentlich war für den 6. Dezember die Premiere von Erich Kästners „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ vorgesehen, doch die musste krankheitsbedingt verschoben werden. Glücklicherweise rief Falk Richter beim Schauspielhaus an mit dem Vorschlag, in diesen Zeiten doch „Am Königsweg“ wieder ins Programm zu nehmen. Elfriede Jelineks Stück zur ersten Wahl von Donald Trump hatte er selbst mit großem Erfolg an der Kirchenallee inszeniert. Statt der Wiederaufnahme bot man ihm jetzt aber an, Jelineks „Endsieg“ auf die Bühne zu bringen, das auf die neuerliche US-Wahl reagierte. Probenzeit: zwei Wochen. Richter sagte spontan zu und, man kann es nicht anders sagen, er hat das Stück mit seinem siebenköpfigen Ensemble bravourös gerockt. Zwar ist Richter ein Regisseur, der sich mit den Textflächen Jelineks auskennt und sie umzusetzen versteht. Dennoch sind zwei Wochen Proben eine sportliche Herausforderung. Sicherheitshalber nennt das Schauspielhaus die Aufführung ganz bescheiden „keine normale Inszenierung“, sondern eine „erste Skizzierung“, die eher zu verstehen sei als „politisch-künstlerische Aktion“. Dafür ist das, was da in 90 Minuten präsentiert wird, so ausgereift, dass es durchaus als Inszenierung durchgehen kann.

Aus drei verschiedenen Positionen im Mittelrang sprechen die Schauspielerinnen Julia Wieninger, Sandra Gerling und Josefine Israel zum Publikum oder besser: zum Volk. Das Blondhaar ist offen oder zum Zopf geflochten, die langen Kleider königlich (Kostüme und Bühne: Nina Wetzel): „Vorteil für Blond,“ sagen sie und „Was die Menge will, das kriegt sie.“ Wie immer bei Jelineks Textkaskaden sehnt man sich nach einem imaginären Textmarker, um all die Verknüpfungen, Anspielungen, Zitate aus Celans „Todesfuge“ und Wortspiele zu behalten. Scharfzüngig nimmt Jelinek die beinahe religiöse Verehrung Trumps aufs Korn, Richter und sein Ensemble stellen sie in bitterbösen Bildern aus. 

„Ich gebe euch meinen Frieden. Nur ich kann das.“

„Und es ist wahr geworden“ – eine Projektion, deren Layout an die Dreißigerjahre in Deutschland erinnert, prangt im Hintergrund der Bühne. Später werden hier in atemberaubender Geschwindigkeit Fotos von Reliquien, dem Attentat auf Trump oder faschistischen Diktatoren gezeigt (Video: Michel Auder, Sébastien Dupouey). Die im Text gezogene Verbindung von Hitler-Faschismus zum religiösen Kultstatus von Trump wird auf diese Weise verbildlicht.  

„Un es ist wahr geworden.“(v.li: Julia Wieninger, Christoph Jöde, Sandra Gerling, Mehmet Ateşçi, Josefine Israel) – Foto: Thomas Aurin

Einer wie Trump, „ein Auserwählter, ein Gott in Menschengestalt“ hat nichts anderes verdient als eine kirchenähnliche Bühne: In deren Mitte steht ein mit weißem gefalteten Tuch bespanntes Podest, dahinter ein Kreuz und ein Rednerpult, das ebensogut als Kanzel durchgeht. Eine Schar von Jüngern (Christoph Jöde, Frank Willens, Sandra Gerling, Mehmet Ateşçi, Josefine Israel) trägt den Erlöser (Mirco Kreibich) herein, legt sich ihm andächtig zu Füßen und lauscht einer Rede, die nicht vom Fleck kommt: „Ich gebe euch meinen Frieden. Nur ich kann das“, wiederholt er gebetsmühlenartig und steigert sich in ein immer lauter werdendes „Ich. Ich. Ich“, bis den Zuhörern die  Anbetungsgesten erlahmen. 

Es geht darum, das Volk einzuwickeln, ihm eine Nähe vorzugaukeln. Großartig ist hier die Szene von Frank Willens. Wie im Video zu sehen, tanzt Trump ausschließlich mit den Händen, am liebsten zu dem Song „Y.M.C.A.“ der Village People. Willens, übrigens ein ausgebildeter Tänzer, ahmt diese Gesten nach, preist ihre Einfachheit als Volksnähe und animiert das Publikum zum Mitmachen („Ich will meine Patrioten sehen.“). Was tatsächlich auch geschieht. So einfach kriegt man die Menschen rum. 

Richter gelingt eine bildstarke, zum Teil amüsante und dennoch aufrüttelnde Inszenierung (ja, man darf sie durchaus so nennen). Die letzten Video-Einspielungen zeigen Hitler, Orban, LePen, Trump, Weidel. Das mag manchem platt erscheinen, aber Jelinek schreibt: „…das alles handelt von uns.“ Statt den Kopf über die USA zu schütteln, wäre ein Blick ins eigene Land angebracht.Die AfD ist momentan zweitstärkste Partei.

Weitere Informationen unter: https://schauspielhaus.de/stuecke/endsieg

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Manipulation eines Volkes
  • religiöse Verehrung eines Politikers
Formale SchwerpunKte

Postdrastisches Theater durch Umsetzung einer Textfläche:

  • Auflösung von Zeit, Ort und Figuren
  • Gleichrangigkeit von Video-Einspielungen, Text und Spiel
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 17/18 Jahren, ab Klasse 11/12
  • empfohlen für den Politik-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Eine Handlungsstruktur gibt es nicht. Jelinek schafft eine Textfläche, in die sie Wortspiele, Anspielungen, Zitate aus Gedichten oder der Pop-Kultur mischt. Thema ist am Beispiel von Trump die religiös-kultische Verehrung eines Politikers und die Art, wie er seine Wähler beeinflusst. 

Mögliche Vorbereitungen

Recherche zu folgenden Themen:

  • Welche Teile der Bevölkerung haben Trump gewählt?
  • Welche Rolle spielt die (evangelikale) Kirche?
  • Welche Rollenbilder werden propagiert?
  • Welches Wahlprogramm vertritt die AfD?
  • Wo finden sich Parallelen zwischen dem Programm der AfD und der MAGA- Bewegung Trumps?

Untersuchung einer Rede von Trump (Wortwahl, Syntax)

Recherche zu Elfriede Jelinek (Leben, Werk)

Speziell für den Theaterunterricht

Im Zusammenhang mit einer Einheit zu Regiestilen:

  • Recherche in Gruppen oder Referat zu den Grundzügen des postdramatischen Theaters.
  • Notieren der wichtigsten Aspekte dieser Theaterform.
  • Vergleich zwischen postdramatischen und klassisch-realistischem Theater.

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