GipsyLand

Wie ist das so als junger Sinto in Hamburg? Lebt einer wie Wolkly anders als seine Mitschüler*innen? Und wie steht er überhaupt zum System Schule?  Zu Christiane Richers „GipsyLand“, dem neuen Klassenzimmerstück des Thalia Theaters in Kooperation mit Theater am Strom.

Wolkly (John Winston Berta) träumt von der Musik. – Foto: Fabian Hammerl

Die Kritik

Wolkly hat keinen Bock auf Schule. Sie engt ihn ein, hindert ihn am Wesentlichen. „Das Leben“, sagt er, „hört jeden Tag um 7 Uhr 45 auf.“ Denn das, was für ihn Leben bedeutet, ist die Musik. Deshalb hat er seine Gitarre immer dabei, auch im Unterricht.

Aber wo genau Wolklys Unterricht aus Herbert Enges Inszenierung von „GipsyLand“ aufhört und der in einem Klassenzimmer an einer Hamburger Schule beginnt, ist gar nicht so einfach festzustellen. Wolkly (John Winston Berta) stellt sich nämlich vor eine Klasse, die genauso gut die sein könnte, aus der er ausbricht. Er erzählt von sich, „damit ihr ahnt, worum es bei mir geht“. Dazu singt er und spielt Gitarre (Musikalische Leitung: Kako Weiss). Dann geht Bertas Wolkly durch die Sitzreihen oder setzt sich einfach auf den Boden. Manchmal aber steht er vorne am Lehrertisch und erklärt, woher er kommt, mit welchen Vorurteilen die Sinti als Minderheit immer noch umgehen müssen und wovon er träumt.

Er wohnt in Georgswerder – „Da gehör ich hin.“

„GipsyLand“ ist ein biografisch-fiktives Stück von Christiane Richers. Die im Juni 2022 verstorbenen Autorin, Regisseurin und Mitbegründerin des Theaters am Strom mit künstlerischer Heimat im Stadtteil Wilhelmsburg interessierte sich besonders für Randgruppen und stadtspezifische Themen. Für „GipsyLand“ führte sie lange Gespräche mit der Familie Weiss aus Wilhelmsburg, deren Mitglied Giovanni Weiss zu den ganz großen Gitarrenspielern im Gipsy-Jazz gehört.

Viele Schauspiel-Möglichkeiten bietet dieses als Solo inszenierte Klassenzimmerstück allerdings nicht. Wenn Berta den Raum betritt und sich und den Titel des Stücks vorgestellt hat, übernimmt er mit zurückgebundenen Haaren und Brille die Rolle des Sozialarbeiters, der Schulverweigerern mit Boxtraining helfen will, über ihre Probleme hinwegzukommen („Wer boxt, ist runter von der Straße.“). Eine kurze, nicht unbedingt erhellende Einleitung in das eigentliche knapp 50minütige Stück. Berta zieht sich mit dem Rücken zum Publikum um, steht jetzt mit ungebändigten Locken, Sonnenbrille und Gitarre da als Wolkly und sieht aus wie ein Popstar. Als Sinto bezeichnet er sich, nicht als Zigeuner, was wohl von „Zieh Gauner“ kommt, wie er vermutet. Die Bezeichnung „Gipsy“ findet er aber auch ganz cool. Und dann erzählt er, wie gerne er „einer von euch“ wäre, die Sinti aber seit mehr als 600 Jahren die „ewige Minderheit“ ausmachten und nie ein eigenes Land besessen hätten. Er wohnt mit seiner Familie in Georgswerder („da gehör ich hin“) und muss zur Schule gehen. Nur bringt ihm dieses System gar nichts. Er träumt von Grooves und Riffs, macht abends Musik mit seinen Onkeln, die ihm die traditionelle Musik der Sinti  und hier vor allem die von Django Reinhart nahebringen: „Django ist die Königsklasse“.  Das ist seine Art von Schule, hier sieht er seine Zukunft. Auf der Bühne stehen, Menschen berühren – so sieht er aus, sein Masterplan. 

Wenngleich sich in Wolklys Erzählung einige Wiederholungen hinsichtlich der Situation der Sinti finden, liegt ihre Stärke jedoch auch in den kritischen Überlegungen zur eigenen Sippe, wodurch das Stück eine zusätzliche Perspektive erhält. Wolkly beklagt die mangelnde Offenheit und das Festhalten an alten Gesetzen, das akademische Karrieren blockiert. Er wünscht sich neue Ideen, will „die Enge in den Köpfen und den Herzen“ brechen. Auf der einen wie auf der anderen Seite. 

„GipsyLand“ ist trotz kleiner Längen ein erhellendes Stück, das Fragen aufwirft und Überlegungen anregt.

Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/stueck/gipsyland-2023

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • die Situation der Sinti in Deutschland, ihre Geschichte, die Vorurteile
  • die Auseinandersetzung mit dem Schulsystem 
  • die Träume und die kritische Auseinandersetzung eines jungen Sinto mit seiner Sippe
Formale SchwerpunKte
  • Erzähltheater mit Musik
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 14 Jahre, ab Klasse 8
  • empfohlen für den Geschichts-, Ethik- und Deutschunterricht
Zum Inhalt

Wolkly ist Sinto. Auf Schule hat er keinen Bock und das Boxtraining sagt ihm auch nur mäßig zu. Er spielt am liebsten Gitarre, mit seinen Onkeln, die ihm die traditionelle Musik der Sinti beibringen, und alleine. Dann erweitert er die Musik um aktuelle Einflüsse und träumt davon, sie eines Tages der ganzen Welt zu präsentieren. Während er auf der Gitarre spielt, erzählt er von seiner Sippe, die seit 600 Jahren zur Minderheit gehört. Von seiner Familie, die eben kein fahrendes Volk ist, sondern seit Jahrzehnten einen festen Wohnsitz in Wilhelmsburg hat. Von dem, was ihm wichtig ist wie Glaube, Musik, Sport und Familie. Von den Vorurteilen, die den Sinti begegnen, und von den starren Regeln, die sie sich selbst auferlegen. 

   

Mögliche VorbereitungeN
Als Hausaufgabe oder über Referate
  • Wer sind die Sinti und Roma? 
  • Woher stammen die Begriffe?
  • Welche Sprache sprechen sie? Welche Wertvorstellungen, Regeln und Geschichte haben sie?
  • Welche Vorteile begegnen ihnen? Warum?
  • Wie ist ihre Situation heute?

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