Wie viel Böses kann ein Mensch aushalten?Zur sehenswerten Inszenierung von John Hopkins‘ Psychodrama am Ernst Deutsch Theater.
DIE KRITIK
Dass die Polizeiarbeit, speziell die in der Mordkommission, einen Menschen verzweifeln oder zynisch werden lässt, wird selbst im „Tatort“ nicht mehr geleugnet. Kaum jemand, der unberührt bleibt von den unvorstellbaren Grausamkeiten, die es zu verfolgen gilt. Ist der eine Fall gelöst, liegt auch schon der nächste auf dem Tisch. Der Kampf gegen das Böse hört niemals auf. John Hopkins hat darüber in den 60er Jahren ein beklemmendes Psychodrama geschrieben mit dem Titel „Diese Geschichte von Ihnen“, das nach seiner Uraufführung 1968 in London vier Jahre später von Sidney Lumet mit Sean Connery in der Hauptrolle des Sergeant Johnson verfilmt wurde. Die Handlung ist schnell erzählt: Johnson hatte gemeint, einen Mädchenmörder und Vergewaltiger gefangen zu haben. Da der aber statt zu gestehen nur seine Unschuld beteuerte, hatte Johnson ihn krankenhausreif geschlagen. Sein Vorgesetzter holt ihn dafür zum Rapport und demütigt ihn. Zu Hause lässt Johnson seinen Frust an seiner Frau aus, ein Gespräch scheint kaum noch möglich. Hopkins erzählt die Handlung nicht chronologisch. Er beginnt mit Johnsons nächtlicher Heimkehr und endet mit dem Verhör.
„Irgendwas sollte doch schön sein.“
Wie fesselnd so ein Stück sein kann, zeigt Harald Weilers Inszenierung am Ernst Deutsch Theater. In zwei Stunden (inklusive Pause) bringt er die Geschichte auf den Punkt und zeichnet mit seinem Ensemble ein genaues, sensibles Psychogramm. Die Drehbühne (Peter Schmidt) stellt über Stellwände die drei verschiedenen Orte dar: das mit Puppen – leblose, glotzende Gestalten – vollgestopfte Wohnzimmer der Johnsons, das Büro seines Vorgesetzten und den Verhörraum.
Sergeant Johnson spielt der großartige Ulrich Bähnk. Er zeigt einen Mann am Rand, eine mächtige Urgewalt, die sich nicht mehr unter Kontrolle hat. Zu Hause tigert er rastlos zwischen Bar und Telefon hin und her. Die Sorge, ob Baxter, den er geschlagen hat, überlebt, macht ihn wahnsinnig. Gleichzeitig sind da die furchtbaren Bilder aus seiner dreißigjährigen Polizeiarbeit, die ihn nicht mehr schlafen lassen. Sie jagen ihn, lassen ihn keine Ruhe finden, treiben ihn in den Alkohol und weg von seiner Frau Maureen. „Warum bist du nicht schön?“, blafft er sie an und fügt beinahe verzweifelt und mehr zu sich hinzu: „Irgendwas sollte doch schön sein.“ Aber Schönes gibt es in seinem Leben schon lange nicht mehr. Katharina Abts Maureen ist zwar die unterwürfige Frau, die auf Widerspruch verzichtet. Andererseits erkennt sie die Verzweiflung und Einsamkeit, in die sich ihr Mann hineinmanövriert hat. „Rede mit mir“, bittet sie ihn immer wieder. Gegenüber seinem Vorgesetzten Cartwright, den Stephan Schad mit schneidender Arroganz als einen von sich überzeugten Machtmenschen spielt, knickt Johnson ein, wird demütig und leise. Ganz anders im Verhör mit Baxter. Der ist bei Boris Aljinovic sehr smart und dem aufbrausenden Johnson intellektuell haushoch überlegen. Er gesteht nicht, und vielleicht hat er tatsächlich nichts zu gestehen. Für Johnson wäre das eine Niederlage, also versucht er das Geständnis aus Baxter herauszuprügeln.
Das letzte Bild zeigt Johnson in der Tür zu seinem Wohnzimmer. Hängende Schultern, das Gesicht entgleist – ein Mann am Abgrund. Ein fantastischer, unbedingt sehenswerter Abend.
https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/veranstaltung/diese-geschichte-von-ihnen-284
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
Traumatisierung eines Polizeibeamten und deren Auswirkungen wie
- Frustration
- Aggression gegenüber anderen
- Fehlende Kontrolle
- Rückzug in Einsamkeit
- Sprachlosigkeit/ Unfähigkeit zu kommunizieren
- Flucht in Alkohol
Formale Schwerpunkte
- Aneinander Vorbeireden der Figuren
- psychologisches Spiel
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
- ab 16 Jahre, ab Klasse 10
- empfohlen für Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Die hier dargestellte Chronologie wird in dem Drei-Akter von hinten erzählt. Es beginnt also mit Johnsons Rückkehr nach Hause und endet mit dem Verhör.
Johnson ist seit 30 Jahren Polizist. Er hat hart gearbeitet und in Abgründe gesehen, ist aber niemals befördert worden. Die Grausamkeit, zu denen Menschen fähig sind, haben Bilder in seinem Kopf hinterlassen, sie verfolgen ihn auf Schritt und Tritt. Sie sind der Grund dafür, dass er besessen ist von der Idee, Verbrecher zu bestrafen. Als für das Sexualverbrechen an einer Zwölfjährigen der Verdacht auf Baxter fällt, setzt Johnson alles daran, ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Doch Baxter, der ihm intellektuell deutlich überlegen ist, beteuert seine Unschuld. Johnson verliert die Kontrolle und schlägt ihn krankenhausreif. Johnson wird darauf zu seinem Vorgesetzten zitiert, der nicht müde wird, ihn als Versager darzustellen. Frustriert und voller Aggressionen kehrt er nachts nach Hause zurück. Schlafen kann er nicht, Alkohol scheint nach wie vor das einzig probate Mittel zum Überleben. Als seine Frau Maureen ihn zum Reden bewegen will, beschimpft und beleidigt er sie. Deutlich wird, dass die Ehepartner sich seit Jahren auseinander gelebt und vergessen haben, wie man miteinander spricht. Dann klingelt das Telefon. Johnson erfährt, dass Baxter seinen Verletzungen erlegen ist.
Mögliche VorbereitungeN
In Gruppenarbeit:
- Recherche zur Polizei (Mordkommission): Verdienst, Arbeitszeit, psychische Belastung
- Recherche zur Bedeutung von Kommunikation
Speziell für den Theaterunterricht:
Übungen zur Kommunikation bzw. Nicht-Kommunikation (aneinander vorbei reden):
Positionen der Figuren im Raum:
Die Spielleitung demonstriert an zwei Spieler*innen folgende Positionen zur Kommunikation:
- A und B stehen einander gegenüber, sehen sich an.
- A dreht B den Rücken zu, B sieht in den Rücken von A.
- A und B drehen beide einander den Rücken zu.
Die Spielleitung demonstriert an einer Gruppe aus ca 8 – 10 Spieler*innen Formationen zur Kommunikation:
- Die Gruppe bildet einen Kreis, A steht außerhalb mit dem Rücken zur Gruppe
- Variation: A wendet sich zur Gruppe.
- Die Gruppe bildet einen Halbkreis, A wendet sich zur Gruppe.
- Variation: A dreht der Gruppe den Rücken zu.
- Die Gruppe bildet eine Reihe mit dem Blick zu A, A steht davor, blickt die Gruppe an.
- Variation: A dreht der Reihe den Rücken zu.
Wirkung besprechen.
Position der Figuren im Raum mit Text:
Einteilung in Fünfer-Gruppen
Aufgabe: Teilt den nachfolgenden Dialog unter euch auf. Wählt zwei verschiedene Formationen und versucht den Text
a) nacheinander zu sprechen
b) alle auf einmal; d.h. jeder spricht seinen Text
Präsentation der beiden Variationen und Wirkung besprechen
Text:
A: Ich bin empört, dass ihr Karl gestern so brutal geschlagen habt. Ich erwarte, dass ihr zu ihm geht und das wieder in Ordnung bringt! Also entschuldigt euch und macht ein paar Vorschläge, wie ihr wieder vernünftig miteinander umgehen könnt.
B: Da war doch gar nichts los!
C: Der soll soll bloß nicht so anstellen. Die paar Knuffe können doch gar nicht weh getan haben!
D: Der Idiot hält doch nie seine Klappe, wenn er nicht ab und zu eine gezimmert kriegt!
E: Ja. Wenn der sein Maul aufreißt, muss ich ihm einfach eine reinhauen!