Die Schattenpräsidentinnen

„Oder: Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu halten.“ Mit dem Untertitel zu Selina Fillingers Farce ist im Grunde schon alles gesagt. Der Idiot kann wie hier ein Präsident sein, aber diese Typen findet man auch anderswo.  Claudia Bauers gelungene deutsche Erstaufführung am Hamburger Schauspielhaus macht aus der Vorlage einen schrillen Comic.

Sie versuchen den Präsidenten zu halten – Foto: Thomas Aurin

Die Kritik

„Fotze!“ Wieder mal ein sprachlicher Schlag unter die Gürtellinie und klar, wieder trifft es Frauen. Gesagt hat es „Er“, der Präsident, dem es scheißegal ist, welche Konsequenzen seine Worte und sein Handeln haben. Denken muss Harriet, seine Stabschefin. Sie muss ausbügeln, was er verpatzt hat, sich um die Schadensbegrenzung kümmern. Man muss nicht besonders um die Ecke denken, um zu erkennen, welcher reale Präsident Pate gestanden hat für Selina Fillingers Farce „Die Schattenpräsidentinnen“. Das Stück heißt zwar im Original „POTUS“ (eine Abkürzung für President of the United States) und wurde bei seiner Uraufführung am Broadway 2022 gefeiert, gerade weil die Parallelen zu dem um die „gestohlene Wahl“ greinenden Trump so deutlich waren. Dennoch sieht die knapp 30jährige US-Autorin in dieser Figur nur ein Beispiel für Männer in Politik oder Unternehmen, deren Macht sich auf die Menschen dahinter – und das sind überwiegend Frauen – stützt. Nicht umsonst heißt ihr Stück im Untertitel „Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen ihn am Leben zu halten.“ Am Hamburger Schauspielhaus hat Claudia Bauer die deutsche Erstaufführung mit einem fantastischen Ensemble als schrillen Comic inszeniert und damit der Farce noch eine weitere Umdrehung hinzugefügt. Unterstützt wird diese Idee durch die grell-bunten, geometrisch anmutenden Kostüme (Vanessa Rust) und Frisuren sowie die eingespielten Geräusche, wenn aus einer der Papppistolen geschossen oder eine Ohrfeige verteilt wird. Hinzu kommen die Videoprojektionen von Gesichtern (Videodesign: Riccarda Russo, Antje Haubenreisser, Lukas Koopmann), Bewegungen in Zeitlupe oder Zeitraffer und die Sprechweise, meist hochgetuned, dann wieder extreeeeem verlaaangsaaamt. Der Wechsel von Hyperventiliertem zu Langsamkeit und Stille rhythmisiert den knapp zweistündigen pausenlose Abend, ebenso wie die wunderbar gesungenen, abwechslungsreichen Songs  (Musik: Peer Baierlein). 

Abschwächen, kitten, geradebiegen – darin besteht die Hauptaufgabe von Harriet, Jean und Stephanie.

„Fotze!“ Die sprachliche Entgleisung steht am Anfang. Sandra Gerling als Stabschefin Harriet tritt wie das leibhaftige schlechte Gewissen vor den Vorhang, als sie das Wort ausspuckt. Die Pressesekretärin Jean (Josefine Israel) macht ihr die Hölle heiß, denn irgendwie muss die Öffentlichkeit beruhigt werden, also einigt man sich darauf, dass „wir alle doch mal einen hinterfotzigen Morgen“ haben. Abschwächen, kitten, geradebiegen – darin besteht die Hauptaufgabe von Harriet, Jean und der Pressesekretärin Stephanie (Angelika Richter). Fillinger hat für das Stück ausschließlich weibliche Rollen geschrieben, der Präsident selbst kommt gar nicht vor. Er versteckt sich hinter einer riesigen Flügeltür auf der linken Bühnenseite, die Frauen treten frontal aus eigenen kleineren Türen auf. Die Drehbühne zeigt hinter der Palastfassade die Damentoiletten (Bühne: Andreas Auerbach), inoffizielle Räume also, in denen die Frauen Tacheles reden können. Hier hat Biene (Linn Reusse)  ihren ersten Auftritt. Sie ist die Geliebte des Präsidenten und kotzt blau (Brombeer-Smoothie), weil sie schwanger ist. Biene steht in Konkurrenz zur Präsidentingattin Margaret (Sashiko Hara), die wiederum muss sich mit Bernadette, der plötzlich auftretenden Schwester des Präsidenten (Bettina Stucky) auseinandersetzen, die wegen Drogenhandels verurteilt worden ist und jetzt eine Begnadigung erwartet. Und zu allem Überfluss kreuzt auch noch die ständig eine Story witternde Journalistin Chris (Amal Keller) auf. Die sieben Frauen haben alle unterschiedliche Interessen. Sie konkurrieren um die beste Stellung, ihre gegenseitigen Beleidigungen haben durchaus Präsidentenniveau, und dennoch erkennen sie irgendwann, dass sie eigentlich nur gemeinsam Macht ausüben können. Mehr oder weniger aus Versehen haben sie den  Präsidenten erschlagen, aber seine Termine mit den Großen der Welt und wichtigste Aufgaben müssen erfüllt werden. Eine gemeinsame Beratung ergibt: „Die Leute haben Angst vor Alternativen. Die Alternative sind wir.“ Könnte stimmen. 

Weitere Informationen unter: https://schauspielhaus.de/stuecke/die-schattenpraesidentinnen-oder-hinter-jedem-grossen-idioten-gibt-es-sieben-frauen-die

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

  • Kritik an männlich dominierten Hierarchien und Machtpositionen
  • Übernahme von kritisierten männlichen Strukturen bei Frauen
  • Solidarität als Mittel zur Machterhaltung 
Formale SchwerpunKte

Comichafte Zeichnung der Figuren über

  • Kostüme
  • Maske
  • Bewegungen
  • Stimmlage
  • Sprechtempo
  • Geräusche zur Kennzeichnung von Handlungen (Schüsse, Ohrfeigen o.ä.)

Songs (meist chorisch) als Kommentare zur Handlung

Videoprojektionen (Songtexte, „Breaking News“, Vorstellung der einzelnen Figuren)

Live-Kamera

Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 16 Jahre, ab Klasse 10/11
  • empfohlen für den Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Der Präsident glänzt durch Abwesenheit. Was er gerade tut? Weiß niemand so genau. Was er tun müsste, ist dagegen sonnenklar: Konferenzen leiten, Gespräche mit Öl exportierenden Staaten führen, Premierminister empfangen, kurz: die Welt am Laufen halten. Harriet, seine Stabschefin, kennt seine Aufgaben und seinen Terminkalender sehr genau, kommt aber einfach nicht an ihn ran. Schlimm genug, dass sie seine ewigen sprachlichen Entgleisungen abwiegeln und ausbügeln muss, denn Journalistinnen wie Chris sind nur darauf aus, Derartiges an die Öffentlichkeit zu bringen. Auch die Pressesekretärin Jean und die Sekretärin Stephanie müssen zusehen, wie sie das Image des Präsidenten einigermaßen positiv gestalten. Dass er bei der anstehenden Konferenz nicht sitzen kann, weil er eine Verletzung im Analbereich hat, muss auch so wenig düpierend wie möglich kommuniziert werden. Die Frauen beraten, was zu tun ist, die Situation ist mehr als angespannt. Als auch noch Margret, die Präsidentengattin, dringend ihren Mann sprechen will und von den Damen abgewimmelt wird und dann auch noch Biene auftaucht, die strahlend verkündet, vom Präsidenten schwanger zu sein, ist das Chaos perfekt. Außerdem erscheint auch urplötzlich die wegen Drogenhandel verurteilte Schwester des Präsidenten, Bernadette, die sich von ihm eine Begnadigung erhofft. Die Frauen kriegen sich gegenseitig in die Haare, jede versucht, die eigene Position zu behaupten, sich über die anderen zu stellen, und dabei läuft die Zeit für die anstehenden Termine. „Die ganze Welt steht in Flammen,“  befindet Harriet und macht als „Brandstifter“ niemand Geringeren als den Präsidenten aus. Von ihm ist nichts mehr zu erwarten, deshalb schließen sich die Frauen zusammen und nehmen das Zepter in die Hand. Ihre Solidarität ist der Schlüssel zur Macht.

   

Mögliche VorbereitungeN
Als Hausaufgabe oder über Referate
  • Inhalt von „Die Schattenpräsidentinnen“
  • Die Rolle der First Ladies in den USA
  • Machtstrukturen (in der Politik, in großen Unternehmen u.ä.)
  • Die Rolle der Untergebenen zum Erhalt von Machtstrukturen 
  • Anteil der Frauen in Schlüsselpositionen in Politik und Wirtschaft
Speziell für den Theaterunterricht
Als Referat oder Hausaufgabe
  • Charakter und Ziel einer Farce
  • Vergleich Farce und Komödie
Übungen

Die Spielleitung geht gemeinsam mit der Gruppe durch den Raum. Nacheinander legt sie DIN-A-4- Zettel auf den Boden, auf denen jeweils ein nummerierter Satz steht. Wenn sie einen Zettel hingelegt hat, bleibt sie stehen und spricht den Satz in einer bestimmten Art (Stimmlage, Tempo, Emotion) vor, die Gruppe spricht den Satz genauso nach. Weitergehen, es folgt der nächste Zettel an einer anderen Stelle. Wieder spricht die Spielleitung den Satz vor, die Gruppe wiederholt usw. Wenn alle Zettel ausliegen, geht die Gruppe alleine durch den Raum. Auf ein Signal der Spielleitung bleiben die Spieler:innen bei dem ihnen am nächsten liegenden  Zettel stehen. Idealerweise steht dann vor jedem Zettel eine kleine Gruppe. Die Gruppe mit Satz Nummer 1 beginnt ihn chorisch in der eingeübten Art zu sprechen, es folgt die Gruppe mit Satz Nr 2 usw. Dann erfolgt ein erneuter Raumlauf, wieder gibt die Spielleitung ein Zeichen und neue Gruppen formieren sich. Zu den einzelnen Sätzen können Zettel mit der Art zu sprechen dazugelegt werden. 

Variation: Die Zettel mit den Sprechweisen können ausgetauscht werden, sodass in einem neuen Durchgang Satz 1 mit der Sprechweise von Satz 3 gesprochen wird.

Satz 1: „Wir haben doch alle mal einen hinterfotzigen Morgen.“

Satz 2: „Ich will jetzt zu meinem Mann!“

Satz 3: „Warum ist sie nicht Präsident?“

Satz 4: „Aber er ist so süß.“

Satz 5: „Die Leute haben Angst vor Alternativen.“

Sprechweise (Stimmlage, Tempo, Emotion)

1: mittlere Tonlage, mittleres Tempo, genervt (Seufzer)

2: schrill und hoch, kurze Pause nach jedem Wort, zornig

3: tiefe Lage, Zeitlupe, jedes Wort dehnend, fragend

4: schrill, piepsig, mittleres Tempo, verliebt, angezogenes letztes Wort

5: mittlere Tonlage, mittleres Tempo, traurig

Wirkung besprechen.

Einteilung in Paare.

Aufgabe

Entwickelt eine Szene und setzt den nachfolgenden Dialog mit den unterschiedlichen Sprechweisen um. Verwendet dabei all fünf Möglichkeiten und probiert verschiedene Variationen aus.

Dialog
  • Bist du beleidigt?
  • Nein. Ich will nur lesen.
  • Ach so. Aber eigentlich willst du nur nicht mit mir reden.
  • Stimmt nicht. Ich lese, weil ich das Buch spannend finde.
  • Und mit mir zu reden findest du also nicht spannend.

Präsentieren und Wirkung besprechen

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