Die Apokalypse ist nah. Sie scheitert allerdings an verschiedenen Situationen und sehr dringlichen Fragen. Zu Wolfram Lotz’ Stück „Das Ende von Iflingen“ in der spielerisch-amüsanten Inszenierung von Woody Mues im Thalia in der Gaußstraße.
Die Kritik
Das mit dem Auftrag klappt nicht so richtig. Dabei ist der Plan ganz klar formuliert, von Gott höchstpersönlich. Und der macht ja angeblich keine Fehler. Der Auftrag lautet, die Menschheit zu vernichten. Nicht gleich alle auf einem Schlag, sondern eher Schritt für Schritt. Am Anfang steht Iflingen, ein Kaff im Nirgendwo mit einer einzigen Dorfstraße und ein paar Häusern. „Das Ende von Iflingen“ lautet denn auch der dramatische Titel des Stücks von Wolfram Lotz, das Woody Mues im Thalia in der Gaußstraße inszeniert hat. Lotz, Jahrgang 1981, ist Lyriker, Hörspielautor und Dramatiker. Für sein Stück „Einige Nachrichten aus dem All“ wurde er 2011 von der Fachzeitschrift Theater heute zum Nachwuchsautor des Jahres gewählt, 2015 füe „Die lächerliche Finsternis“ zum Dramatiker des Jahres. „Das Ende von Iflingen“ hatte er eigentlich als Hörspiel konzipiert, es dann aber 2019 für das Theater freigegeben. Es geht darin um nichts weniger als die Frage nach dem Sinn, und zwar nach dem eines göttlichen Plans und dem des eigenen, also des menschlichen Handelns. Ein philosophisches, tiefgehendes Problem, das Lotz allerdings mit Leichtigkeit und einem Gespür fürs Absurde angeht.
Der Auftrag: „Die Menschen zu Asche schlachten.“
Letzteres hat Mues offenbar besonders angesprochen. Die drei Gesandten Gottes sind bei ihm keine furchteinflößenden Erzengel, sondern eher Clowns. Mit ihren weiß geschminkten Gesichtern, den rot unterlaufenen Augen und den schlecht sitzenden schwarzen Anzügen (Kostüme: Daniel Georges) könnten sie allerdings auch als Untote durchgehen, denn mit dem Beginn des Stücks erwachen sie aus einer Art Schlaf hinter einem Busch, unter einer Kanzel, unter einem Klavier (Bühne: Antonia Kamp). Mit Julian Greis, Oliver Mallison und Steffen Siegmund stehen Mues drei Schauspieler zur Verfügung, die ganz offensichtlich Spaß an der Darstellung ihrer Figuren (und auch ihrer Tierrollen) haben. Aufgeregt stellen sie sich zusammen und versuchen als Chor, die Landschaft um Iflingen zu beschreiben. Das geht allerdings schief, weil einer zu schnell ist oder ein anderer einen falschen Text spricht. Es wird geflüstert, geschubst, gekichert und erneut probiert wie in einer sehr dilettantischen Schulaufführung. Zur Orgelmusik erscheint eine Priesterin (Lena Geue, die fortan von der Kanzel und am Klavier die Live-Musik übernimmt). Den Auftrag „Die Menschen zu Asche schlachten“ liest Julian Greis als der Erzengel vor, der sich als Chef des ganzen Unterfangens versteht. Er gibt die Befehle, die beiden anderen müssen parieren. Doch die Umsetzung des Plans klappt nicht, weil keine Menschen da sind, die man abschlachten kann. Angetroffen werden nur Tiere, wie zum Beispiel der von Mallison herrlich geschäftige Igel, der, befragt nach seiner Tätigkeit, gestresst antwortet: „Ich habe das Laub zu wühlen. Irgendwer muss es ja machen“. Die Parabel auf die Absurdität des menschlichen Handelns und die exzessive Selbstvermarktung erfährt ihr Extrem beim Antreffen des Schweins. „Ich bin ein Schwein“, singt Julian Greis lasziv. Eingewickelt in eine wie eine Abendrobe wirkende Plastikplane bittet er verführerisch um seine Schlachtung, damit ungehindert konsumiert werden kann. Derartige Spitzen kommen geschmeidig daher, ebenso die in absurde Dialoge gepackten Gedanken über die Schlechtigkeit der Menschen. Sollen denn tatsächlich alle getötet werden oder nur die Sünder? Und wer definiert überhaupt, wann jemand sündigt? Gibt es einen göttlichen Plan? Oder ist die ganze Welt nur ein Konstruktionsfehler?
Schwierige Fragen, mit denen dieser sehenswerte kleine Abend das Publikum entlässt.
Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/stueck/das-ende-von-iflingen-2024
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Frage nach dem Sinn des menschlichen Handelns
- Frage nach der Definition von Sünde
- Frage nach der Existenz eines (sinnvollen) göttlichen Plans
Formale SchwerpunKte
Komik als Mittel der Darstellung:
- Synchronizität und chorisches Sprechen/Aus-Rolle-Fallen
- Rollenwechsel über Kostüme und Perücken
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
ab 16/17 Jahre, ab Klasse 11/12
empfohlen den Philosophie-, Ethik-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Drei Erzengel sind auf die Erde geschickt worden, um dort die Apokalypse einzuläuten. Ihr von Gott formulierter Auftrag lautet: „Die Menschen zu Asche schlachten“. Anfangen sollen sie in Iflingen, einem Nest irgendwo im Nirgendwo mit nur einer Dorfstraße und sehr wenigen Häusern. Allerdings sind sich die Drei uneinig darüber, ob sie alle töten oder einige, zum Beispiel Kinder oder Babys, verschonen sollen, denn die haben ja noch nicht gesündigt. Oder ist der Mensch per se sündig? Die Diskussion erübrigt sich bald, da sie in den Iflinger Häusern keine Menschen antreffen. Bei ihrer Suche treffen sie auf einen überaus geschäftigen Igel, dessen Lebenssinn im Wühlen von Laub besteht. Oder auf ein Schwein, dessen Ziel die Schlachtung und totale Selbstvermarktung ist. Schließlich finden sie die Iflinger in einer Kirche. Sie sind allerdings alle tot.
Mögliche Vorbereitungen
- Recherche zu Wolfram Lotz
- Inhalt zu „Das Ende von Iflingen“
- Recherche zur Definition von Sünde
- Recherche zur Apokalypse
- Recherche zu Sinn des Lebens in unterschiedlichen philosophischen und religiösen Richtungen
Im Unterrichtsgespräch
- Kann man seinem Leben einen Sinn geben? Und wenn ja, wie?
- Wie ist Sünde definiert?
- Ist der Mensch an sich böse?
- Ist die Welt noch zu retten?
Speziell für den Theaterunterricht
Erzeugen von Komik über synchrones Bewegung im Chor/ Aus- der- Rolle- fallen
- Die Spielleitung teilt die Gruppe in 10 Personen (max) ein und stellt diese in versetzten Reihen hintereinander auf. Alle stehen in neutraler Haltung, vor sich hat jede:r eine Jacke mit langen Ärmeln liegen. Mit dem Einsetzen einer langsamen Musik (z.B. Arvo Päärt: Fratres, The Mars Volta: Stall the Ground) o.ä. versuchen alle über einen Impuls (peripheres Sehen!) in einem gemeinsamen Tempo die Jacke hochzuheben und anzuziehen. Dabei muss auf Gleichzeitigkeit geachtet werden, so dass alle zum selben Zeitpunkt die Jacke angezogen haben und wieder in neutraler Haltung dastehen.
- Diese Übung muss mehrmals wiederholt werden und sollte durch ein bis zwei Teilnehmer:innen beobachtet und besprochen werden.
- In einem darauffolgenden Durchgang wird ein:e Teilnehmer:in der Gruppe von der Spielleitung (für die anderen nicht hörbar) ausgewählt. Er/Sie soll zu spät anfangen, in Hektik geraten, die Jacke eventuell falsch anziehen o.ä., aber auf alle Fälle einen auffällig anderen Ablauf vollziehen und dennoch bemüht sein, mit den anderen mitzuhalten.
- Auch hier sind verschiedene Durchgänge möglich, die ebenfalls von Zuschauenden beobachtet und besprochen werden sollen.
Erstellen der Anfangsszene
Text:
Sprecher: O wie sich der Himmel am Abend färbt! Die Gräser wanken im Hohlweg und der Ginster steht in goldener Pracht. In den Blättern der Distel flüstert der Wind. In diesem Augenblick, bevor die Nacht beginnt, ist alles noch einmal wie wirklich und von seltsamer Schönheit.
(aus: https://www.dtver.de/downloads/leseprobe/12621.pdf)
Die Spielleitung teilt Dreiergruppen ein.
Aufgabe:
- Lest euch den Text des Sprechers durch und sucht euch fünf oder sechs (min.) Schlüsselbegriffe aus, zu denen ihr euch eine Geste überlegt, die ihr gemeinsam synchron vollführen könnt.
- Sprecht den Text des Sprechers zu Dritt als Chor.
- Untermalt in einem nächsten Durchgang den Text mit euren synchronen Gesten.
- Probiert dann, dass eine:r von euch aus der Rolle fällt, indem er/sie zu kichern beginnt, den Text vergisst, eine falsche Geste macht, niesen muss o.ä.. Dabei soll er/sie versuchen, wieder in den Chor reinzukommen.
- Präsentiert eure Ergebnisse.
Feedback und Besprechung der Wirkung