Alles perfekt, keine Wünsche offen. Barbie kann alles, besitzt alles, sieht super aus und altert nicht. Ein Traum jeder Frau.Vielleicht aber auch nur der von Nora. In „Barrrbie ein Puppenheim“, seiner Überschreibung von Ibsens Drama „Nora oder Ein Puppenheim“, versetzt Emre Akal dessen Protagonistin in Barbies makellose Welt. Seine übervisualisierte Uraufführung im Thalia in der Gaussstraße beobachtet, wie oder ob überhaupt Traum und Wirklichkeit zueinander passen.
Die Kritik
Ist das Ganze ein Spiel? Ein Alptraum? Die beiden Kinder mit den übergroßen Plastik-Köpfen, die mit elektronisch verstärktem Kichern die Bühne entern, sich mit ihren Puppen balgen, dabei absurde Sprachspiele zurufen und dann wieder verschwinden, legen nahe, dass hier etwas Monströses, Irreales geschieht. „Teil eins“ wird in schnörkeliger Barbie-Schrift auf eine weiße Häuser-Schablone (Bühne: Lara Roßwag) geschrieben, und schon rieseln rosarote Herzen über die Wände, wird das gesamte Szenario in eine bunte, bewegte Traumwelt getaucht. Emre Akal, mehrfach ausgezeichneter Autor und Regisseur, ist bekannt dafür, dass er in seinen Arbeiten Choreographie, Installation und Bildkomposition miteinander verwebt. „Barrrbie ein Puppenheim“ ist dafür der beste Beweis. Die analoge Bühne wird durch das ständig wechselnde, digitale Bühnenbild des Künstlerduos Mehmet & Kazim bespielt: Unterlegt von einem Computerspiel- Sound wachsen Blumen an den Wänden, schauen Figuren mit Kussmündern aus den Fenstern und verschwinden wieder, öffnen und schließen sich Türen.
„Barbie, barfuß, Barkeeper, Barbara.“
Teil eins zeigt eine künstliche Comic-Welt. Vier Figuren in voluminösen blauen Plastikanzüge und glänzenden Plastikperücken (beeindruckende Ausstattung: Annika Lu) bewegen sich synchron, brabbeln Wörter wie „Barbie, barfuß, Barkeeper, Barbara“, kurz alles, was irgendwie mit „Bar…“ anfängt. Sie huldigen der strahlenden, rosa gekleideten Superheldin (Victoria Trauttmansdorff), sind nichts als ihre willfährigen Diener. In diesem ersten, leider deutlich zu lang geratenen Teil zählen sie auf, was Barbie alles kann und was sie besitzt. Das jeweilige Thema wechselt nur durch Barbies Befehl „Atmen!“, dessen Sinn erschließt sich allerdings nicht.
Es folgt „Teil zwei“. Wieder dominiert das Optische. Barbie lebt jetzt in einer Zuckerguss-Welt, in der das Mobiliar mit seinen tropfenden Rändern ein bisschen nach Pfefferkuchenhaus aussieht. Allerdings sind die Fragen grauer geworden, draußen regnet es. Aus den entindividualisierten Comic-Figuren des ersten Teils sind Puppen mit maskenhaften Zügen und wie gemalt wirkenden Kostümen geworden. Wechselt die Szene, zappeln sie, als wären sie in eine Steckdose geraten, um – daran erkennt man dieses großartige Ensemble – gleich darauf hochkonzentriert weiterzuspielen. Ihre Funktion und ihr Namen sind Ibsens Original entlehnt, nur heißt der Ehemann hier eben Helmy (Oliver Mallison), der Arzt Ranky (Julian Greis), Noras Freundin aus Jugendtagen Chrissie (Anna Blomeier) und der von Entlassung bedrohte Angestellte Kroggy (Tilo Werner). Aber Barbie ist noch immer Barbie (Die knurrenden drei „R’s“ erinnern an die dem Punk verpflichteten „Riot Grrrls“, nur waren die wütend, und Barbie ist es nicht.). Allerdings bekommt ihre rosa Welt Risse durch das Auftreten der Vergangenheit. Plötzlich hat Barbie eine Geschichte. Zeit spielt eine Rolle und damit auch Vergänglichkeit. An sich eine spannende Idee, die Akals Geschichte aber nicht konsequent trägt. In Anlehnung an Ibsens Vorlage erzählt er, wie Barbie von Kroggy unter Druck gesetzt wird, weil der weiß, dass sie seinerzeit die Unterschrift ihres Mannes gefälscht hat, um bei der Bank einen Kredit für ihr Luxusleben zu bekommen. Wie schon Chrissie will auch er „Gerechtigkeit!“ Der Gedanke der sozialen Ungerechtigkeit flackert hier nur kurz auf und geht unter in den Satz- und Wortwiederholungen der Puppen-Gestalten. Auch das Problem des Alterns und die Frage nach dem Sinn des Seins wirken innerhalb der Geschichte aufgesetzt und funktionieren nur bedingt.
Aha, sie ist in der Wirklichkeit angekommen.
In „Teil drei“ ist die Comic-Puppen-Welt vorbei. In nüchternem Mobiliar und in Alltagskostümen serviert Barbie ihrem Mann das Essen, die Kinder – jetzt ohne Plastikköpfe – sehen fern. „Ich heiße Nora“, weist sie ihren Mann zurecht. Aha, sie ist also in der Wirklichkeit angekommen. Alles andere war nur ein böser Traum, aber sie war die „tollste Frau, die alles schafft“, und hat wohl auch ihren Kredit getilgt. Jetzt, in der echten Welt, will sie endgültig wissen, wer sie ist. Sie verlässt ihren Mann. Übrig bleiben die Kinder, die im Gleichtakt das restliche Essen löffeln. 90 Minuten dauert der Abend, der sehr viel verspricht und die Hälfte davon einlöst.
Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/stueck/barrrbie-ein-puppenheim-2024
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Traum von einem perfekten Leben
- Enttarnung und Demaskierung der perfekten Welt
- Vergänglichkeit
- Sinnsuche
- Selbstbestimmung
Formale SchwerpunKte
- Mischung von digitalem und analogem Bühnenbild
- Comichafte Figuren (synchrone Bewegungen und Gesten, chorisches Sprechen, roboterhafte Bewegungen)
- Spiel mit Sprache
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- ab 16 Jahre, ab Klasse 11
- nur nach Vorbereitung (Inhalt von Ibsens „Nora – ein Puppenheim“) empfohlen für Deutsch-, Kunst- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Emre Akal hat seine Überschreibung an Ibsens Original angelehnt und in Teilen verändert. So fälscht seine Hauptfigur nicht die Unterschrift ihres Vaters, um einen Kredit für einen Kuraufenthalt ihres schwer erkrankten Ehemannes Helfer zu bekommen. Bei Alkal fälscht sie die Unterschrift ihres Mannes und verwendet den Kredit für ihren persönlichen Luxus. Sie wird hier auch nicht als abhängiges Frauchen gezeigt, dem der Gatte ein hübsches Heim, ein Puppenheim, eingerichtet hat. Vielmehr stellt sie sich hier (in ihrem Traum?) als Supergirl Barbie dar, dem die Welt zu Füßen liegt. Die Vergangenheit schließt sie aus, lebt nur im Jetzt, bis eines Tages ihre Jugendfreundin Chrissie auftaucht und Vergangenes und damit auch Zeit wieder ins Bewusstsein rückt. Barbie/Nora erkennt, dass sie altert. Helmys Angestellter Kroggy weiß von ihrer Urkundenfälschung und erpresst sie. Sie soll sich bei ihrem Mann für seine Weiterbeschäftigung einsetzen. Das misslingt allerdings, da Helme statt Kroggy Chrissie den Job gibt. Dennoch kann sich Barbie/Nora aus der Affäre ziehen und den Kredit zurückzahlen. Sie ist nicht mehr erpressbar. Nora (erwacht aus ihrem Traum?) beginnt über sich nachzudenken und verlässt ihre Familie, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Mögliche Vorbereitungen
Als vorbereitende Hausaufgabe: Lektüre oder inhaltliche Zusammenfassung von Henrik Ibsen: Nora – ein Puppenheim
Recherche zum künstlerischen Wirken von Emre Akal
Recherche zu „Barbie“ (Entstehung und Vermarktung, Frauenbild, Kritik)
Im Unterrichtsgespräch:
- Auswertung der Recherche-Ergebnisse
- Barbie – Welche Bedeutung hat die Figur?
Speziell für den Theaterunterricht
Die Produktion von „Barrrbie ein Puppenheim“ ist geprägt von Comicheften Figuren und entsprechenden Bewegungen. Folgende Übungen können darauf vorbereiten:
Spiegeln
Die Spieler:innen stellen sich paarweise einander gegenüber. Spieler:in A beginnt zeitlupenartig eine Bewegung/Geste zu vollführen, die B wie im Spiegel imitiert. Die Bewegungen/Gesten gehen weiter, so dass auch B „führen“ kann. Wichtig sind sehr langsame Bewegungen/Gesten, die vom Gegenüber gespiegelt werden können. Es kommt hier auf die Genauigkeit an.
Variation:
Spiegelung in Gruppen mit je vier (A) und (B).
Roboter
Raumlauf, die Spielleitung zählt 1-2-3-44. Auf „Eins“ darf ein Schritt gemacht werden, bei 2-3 -4 ist Pause /Freeze. (5’)
Posen auf die Eins („Toks“)
Die Spielleitung teilt den Kurs in zwei Gruppen (A, B)
A verteilt sich im Raum. B schaut zu. Die Spielleitung zählt wieder 1-2-3-4.
Aufgabe:
Bei jeder „Eins“ nehmt ihr eine neue Pose ein.
Dann Wechsel. B verteilt sich im Raum
Anschließend Besprechung der Wirkung.
Variation: Aufstehen in Toks
A legt sich auf den Boden, B schaut zu. die Spielleitung zählt wieder 1-2-3-4.
Aufgabe:
Steht ruckartig auf, wobei ihr bei jeder „Eins“ die nächste Bewegung macht.
Wechsel
Besprechung der Wirkung