Zeit ist kostbar. Wer sie sich nimmt und mit anderen teilt, führt ein glückliches Leben. Wer sie spart, riskiert Stress, Hektik und Unzufriedenheit. Momo, Hauptfigur in Michael Endes gleichnamigem Roman, versucht den Menschen die Zeit zurückzugeben. Wie das geht, zeigt Florian Fiedlers Inszenierung des Kinderbuchklassikers am Hamburger Thalia Theater.

Die Kritik
Beppo fegt schon mal unten vor der Bühne. Das Licht im Zuschauerraum ist zwar noch an, aber das stört ihn nicht. Denn Beppo Straßenfeger hat Zeit. Genauso wie Nina, Gigi und vor allem Momo. Das Mädchen ist im Wortsinn aus der Zeit gefallen. „Ich war immer schon da“, antwortet es auf die Frage nach seinem Geburtsdatum, sein Alter schätzt es auf „hundert oder hundertzwei“. Ähnlich wie Pippi Langstrumpf lebt Momo selbstbestimmt und ohne Eltern, genießt das Leben mit ihren Freund:innen und kann ihnen vor allem zuhören, ganz ohne Zeitdruck. Mit dieser Einstellung sind die Vier den grauen Herren ein Dorn im Auge. Die leben nämlich von der Zeit der Menschen und überreden sie deshalb, in die Zeitsparkasse einzuzahlen. Der Preis dafür ist hart: Die Menschen verlieren ihre Lebensfreude, die Welt wird kälter. Grund genug für Momo, dagegen anzukämpfen.
Es sind große philosophische Themen, die Michael Endes 1972 erschienenen Roman „Momo“ durchziehen: Was bedeutet Zeit? Wie gehen wir mit ihr um? Was geschieht, wenn unsere Zeit abgelaufen ist? Florian Fiedlers Inszenierung von Vita Hubers Bühnenfassung, eine Übernahme aus Hannover, versucht diese Themenkomplexe mit Songs (Musik: Martin Engelbach) und aufwändigen Videos (Bert Zander) familientauglich zu machen. Eine fröhliche Kissenschlacht zwischen Gigi (Aschif Kasem), Nina (Nellie Fischer-Benson), Beppo (Torben Kessler) und Momo sowie der gemeinsam geschmetterte Song „Halt! Stop! Verschwende deine Zeit!“ müssen reichen, um Momos Werte darzustellen. Sie ist bei Precious Wiesner ein lebenslustiges, warmherziges Mädchen, das lieber die anderen reden lässt. Dass sie Empathie besitzt und zuhören kann, wird allerdings erst richtig deutlich, als sie einen der grauen Herren umarmt und ihm seine geheimen Vorstellungen und Ängste entlockt. Tim Porath als grauer Herr hat zuvor der Friseurin im Stil eines Gebrauchtwarenhändlers Zeit abgekauft und sie damit in Stress versetzt (großartig gespielt von Nellie Fischer-Benson). Jetzt erfährt er plötzlich Zuneigung in den Armen der deutlich kleineren Momo, wird weicher und menschlicher. Damit hat er jedoch die grauen Herren verraten und muss Momo vernichten.
Zeitersparnis heute: die KI-gesteuerte Puppe Bibigirl, eine digitale Polizei und ein von aufgeregten Managern gedrängelter Popstar
Aus der bunt-chaotischen Welt mit Pflanzen, rauchenden Töpfen und Rutsche (Bühne: Maria-Alice Bahra) wird durch eine Drehung eine Wand, auf der sich über Video die grauen Herren vervielfachen und Momo verfolgen, bis sie mit Hilfe der sehr gelassenen Schildkröte Kassiopeia (wieder Nellie Fischer-Benson) zur Verwalterin der Zeit, der Meisterin Hora (Cathérine Seifert), gelangt. Von ihr erhält sie die Stundenblume, mit der sie die grauen Herren, also die Zeitdiebe, besiegen und den Menschen ihre Zeit zurückgeben kann.
Wie Zeitersparnis heute aussehen kann, zeigt Fiedlers Inszenierung durch die KI-gesteuerte Puppe Bibigirl (Aschif Kasem), eine nur noch digitale Polizei („Diese Eingabe ist ungültig“) oder dadurch, dass Gigi jetzt ein Popstar geworden ist, der von aufgeregten Managern gedrängelt wird. Sind es tatsächlich diese Art von Zeitdieben, die Kindern – und sie sind doch der Hauptadressat – als erstes einfallen? Nicht vielleicht ihre Handys und die sozialen Medien? Der Umgang mit Zeit bleibt ein wichtiges Thema. Fragt sich nur, ob diese Produktion dafür den richtigen Weg gefunden hat.
Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/de/stuecke/momo/177
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Freundschaft und Empathie
 - Umgang mit der Zeit
 
Formale SchwerpunKte
- Videoeinspielungen
 - Songs zur Verstärkung bestimmter Aussagen
 
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 10 Jahre (das Theater empfiehlt ab 8 Jahre), ab Klasse 5
 - Empfohlen für den Deutsch-, Philosophie- und Theaterunterricht und für Klassenleherstunden
 
Zum Inhalt
Momo lebt ohne Eltern und selbstbestimmt in einem heruntergekommenen Amphitheater. Ihr Geburtsdatum kennt sie nicht, einer Einordnung nach herrschenden Regeln verweigert sie sich ohnehin. Ihre seltene Gabe ist, dass sie anderen Menschen zuhören und Mitgefühl zeigen kann. Mit ihren Freund:innen Beppo Straßenfeger, Nina und Gigi genießt sie das Leben, Zeitdruck kennt sie nicht. Das ändert sich mit dem Auftreten der grauen Herren. Die ernähren sich von der Zeit der Menschen und beschwatzen sie deshalb, in ihre Zeitsparkasse einzuzahlen. Der Preis dafür ist hoch: Die Menschen werden hektisch, gestresst und unglücklich. Als Momo zufällig einen der grauen Herren umarmt und der das Geheimnis seiner Agentur preisgibt, wird sie von den grauen Herren verfolgt. Mit Hilfe der Schildkröte Kassiopeia gelangt sie zur Meisterin Hora, der Verwalterin der Zeit. Hora klärt Momo über das Wesen der Zeit auf und gibt ihr eine sogenannte Stundenblume, mit der sie die grauen Herren besiegen und den Menschen die Zeit zurückgeben kann.
Mögliche Vorbereitungen
Lektüre oder ausführliche Inhaltsangabe zu Michael Ende: Momo
Im Unterrichtsgespräch:
- Notiert, wie ihr eure Zeit verbringt (schlafen, Schule, Hobbys, soziale Medien, Freund:innen treffen).
 - Wieviel Zeit verbringt ihr mit anderen Menschen?
 - Wieviel Zeit habt ihr für euch?
 - Welche Zeitfresser fallen euch ein?
 - Zeit haben – was bedeutet das für euch? Ist das positiv oder eher negativ?
 - Womit oder wie würdet ihr gerne eure Zeit verbringen
 - Worauf könntet ihr am ehesten verzichten?
 
Speziell für den Theaterunterricht
Übungen zu unterschiedlichen Tempi und ihre Wirkung
Die Gruppe geht in Tempo 4 (schnell, zielgerichtet, ohne zu laufen) verteilt durch den Raum. Auf den Hinweis der Spielleitung beginnt ein:e Spieler:in in Tempo 1 (Zeitlupe) zu gehen.
Dann Wechsel: Die Gruppe in Tempo 1, ein:e Spieler:in in Tempo 4
Zwei Zuschauer:innen beobachten, danach besprechen der Wirkung
Jacke anziehen
Die Spielleitung teilt den Kurs in zwei Gruppen (A/B).
Gruppe B schaut zu, Gruppe A stellt sich versetzt auf, so dass alle Teilnehmer:innen gut zu sehen sind, legt vor sich eine Jacke hin und nimmt die neutrale Haltung 3 (Kopf gerade auf den Schultern, Haltung so, als führe ein Faden durch den Körper bis an die Decke). Auf den Impuls eines/einer Spieler:in hin, beginnen alle in gleichem, sehr langsamen Tempo 1 ihre Jacken aufzunehmen und anzuziehen. Alle werden gemeinsam fertig und stellen sich mit angezogener Jacke wieder in die neutrale Position. Nur eine vorher von der Spielleitung ausgewählte Person fängt deutlich später an und versucht nun hektisch mit der Gruppe mitzuhalten. Dabei kann/sollte ihr die Jacke herunterfallen, der Ärmel nicht getroffen werden o.ä..
Wechsel. Gruppe A schaut zu, B spielt
Danach Besprechung der Wirkung