Ein Hoffnungsschimmer trotz aller Düsternis. Zur fesselnden, unbedingt sehenswerten Inszenierung von Elias Perrig im Ernst Deutsch Theater.
Die Kritik
Eines gleich vorweg: Der Titel stimmt. Am Ende des Stückes tut sich tatsächlich so etwas wie ein Hoffnungsschimmer auf. Wir müssen also nicht vollkommen depressiv das Theater verlassen, können aber sehr wohl lange über die Figuren und ihre Situation nachdenken. In seinem jüngsten Stück „Am Ende Licht“ zeichnet Simon Stephens das düstere Bild einer dysfunktionalen Familie. Angesiedelt ist es im Jahr 2017, als der Brexit eingeleitet wurde. Stephens, der mit seinen gesellschaftspolitischen Stücken von der Fachzeitschrift Theater heute bereits fünf Mal zum „besten ausländischen Dramatiker der Gegenwart“ gekürt worden ist, reiste durch verschiedene Orte Nordenglands, um dort die Auswirkungen jahrelanger Sparmaßnahmen zu recherchieren. Das Ergebnis seiner Beobachtungen beeinflusste „Am Ende Licht“, ein Stück (wie so häufig bei Stephens) mit stark fragmentierten Dialogen in teilweise drastischer Sprache.
Am Ernst Deutsch Theater hat es jetzt Elias Perrig zum Saisonstart inszeniert. Perrig zeichnet eine klare, die Psychologie der einzelnen Charaktere sensibel berücksichtigende Handschrift aus (deutlich bereits in „The Wanderers“ in der letzten Spielzeit). Der neutrale, helle Raum mit den Sitzblöcken (Bühne: Petra Winterer) erlaubt es, dass alle Figuren fast über das gesamte Stück präsent sein können. Dadurch kann schnell zwischen einzelnen Figuren und Orten hin- und herumgesprungen werden. Szenen werden ineinander geschnitten, die Gleichzeitigkeit der jeweiligen Handlungen wird deutlich.
„Schön, dass ihr alle gekommen seid.“
Tatsächlich spielt sich das Geschehen parallel an fünf verschiedenen Orten ab. Da ist Christine, Mutter dreier erwachsener Kinder und Frau von Bernard. Mit einem anrührenden, weil lakonischen und unsentimentalen Monolog tritt Maria Hartmann (später auch in weiteren Rollen) als erste in die Bühnenmitte. Sie erzählt von dem, was sie auf den Straßen ihrer Stadt beobachtet. Von ihrer Familie, deren Mitglieder weit verstreut sind. Von ihrer Alkoholsucht und davon, was in dem Moment, in dem sie gleich im Supermarkt an einem Hirnschlag sterben wird, an anderen Orten auf der Welt und mit ihrer Familie passieren wird. Mit ihrem Mann Bernard zum Beispiel. Bei Christoph Tomanek ist er ein unsicherer, ständig an sich zupfender und von einem Bein auf das andere tretender Mann. Er sucht Bestätigung bei seiner Geliebten Michaela (Marion Elskis) und einem „flotten Dreier“ mit ihr und der Escort-Dame Emma (Anne Diemer). Da ist ihre Tochter Jess. Louisa Stroux zeigt diese von einem One-Night-Stand zum anderen taumelnde junge Lehrerin als kratzbürstiges Nervenbündel. Beinahe widerwillig empfindet sie etwas für ihren letzten Liebhaber Michael (Andreas Jeßing). Oder ihre Tochter Ashe. Die hat ein Kind von einem Ex-Junkie (Rune Jürgensen), der nicht in der Lage ist, Unterhalt zu zahlen und ihre ohnehin prekäre Situation noch verschärft. Ines Nieri spielt diesen zerbrechlichen, zwischen Verantwortung für das Kind und Selbstmord zerrissenen Menschen, dass es einem das Herz zerreißt. Und da ist Christines Sohn Steven, den Maximilian Kurth als unzufriedenen, an sich (ver-)zweifelnden Jurastudenten spielt. Die Stadt, das Leben, alles ist ihm zu eng, zu klein. Am liebsten möchte er abhauen mit seinem älteren Freund Andy (David Meyer). Der ist zwar nett zu ihm, kann ihm aber nicht die ewige Liebe versprechen, die Steven einfordert. Denn Steven sucht etwas Festes, etwas, an das er sich halten kann wie alle in dieser Familie. Und obwohl sie als solche gar nicht funktioniert, gibt es trotzdem etwas, das sie verbindet. Bei der Beerdigung von Christine treffen sie nach Jahren erstmals wieder aufeinander und Ashe hält eine kurze Rede: „Schön, dass ihr alle gekommen seid.“
Weitere Informationen unter: https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/veranstaltung/am-ende-licht-328
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Dysfunktionale Familie
- Menschen auf der Suche nach Halt und Bestätigung
- Kommunikationsprobleme
Formale Schwerpunkte
- Überwiegend durchgängige Präsenz aller Figuren auf der Bühne
- Bühne als klarer, neutraler Ort
- Schneller Orts- und Zeitenwechsel durch Lichteinsatz
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
- ab 16 Jahre, ab Klasse 10
- empfohlen für den Englisch-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Christine ist Alkoholikerin. Bei einem Einkauf im Supermarkt stirbt sie plötzlich an einer Hirnblutung. Im selben Moment betrügt ihr Mann Berta sie mit seiner Geliebten Michaela und einer weiteren Frau. Im selben Moment verliebt sich ihre Tochter Jess, eine von einem One-Night-Stand zum anderen taumelnde Lehrerin, in Michael. Im selbem Moment streitet ihre Tochter Ashe, eine prekär lebende alleinerziehende Mutter, mit Joe, dem Vater ihres zweijährigen Sohnes, und ehemaligen Junkie um Unterhalt. Im selbem Moment versucht ihr Sohn Steven, ein glückloser, ständig an sich zweifelnder Student, seinem älteren Freund Andy ein Versprechen nach ewiger Liebe abzuringen. Das alles passiert gleichzeitig in fünf verschiedenen Städten. Erst bei Christines Beerdigung begegnen sich die Familienmitglieder wieder
Mögliche VorbereitungeN
Als vorbereitende Hausaufgabe oder Referat:
- Die gesellschaftliche Situation in Nordengland 2017
- Der Dramatiker Simon Stephens
Speziell für den Theaterunterricht:
Aufteilung der Gruppe in je neun Spieler:innen:
Aufgabe:
- Jede:r von euch sucht sich eine der unten genannten Figuren.
- Bildet dann Paare und schreibt einen kurzen Dialog zwischen den Figuren (100 Wörter insgesamt, max.!). Berücksichtigt dabei die Beschreibungen der Charaktere (s.u.).
Präsentation:
- Ordnet alle Figuren auf der Bühne an.
- Überlegt, wie ihr die Dialoge anordnet. Was steht am Anfang? Welches Paar spricht zuerst? Wird es von einem anderen Paar unterbrochen?
- Hier können mehrere Variationen ausprobiert werden.
- Versucht die verfassten Texte möglichst auswendig zu lernen, damit ihr sie bei der Präsentation nicht ablesen müsst.
Beschreibung der Figuren:
Christine: Mutter von Jess, Ashe und Steven, verheiratet mit Bernard, enttäuscht vom Leben, alkoholabhängig
Bernard: Vater von Jess, Ashe und Steven, verheiratet mit Christine, frustriert, sucht Bestätigung bei anderen Frauen
Jess: Tochter von Christine und Bernard, Lehrerin, einsam, sucht Halt bei wechselnden Männern
Ashe: Tochter von Christine und Bernard, alleinerziehend, hat kaum Geld, weil Kindsvater Joe keinen Unterhalt zahlt, überfordert
Steven: Sohn von Christine und Bernard, glückloser, an sich zweifelnder Student, erträgt die Enge der Kleinstadt nicht, sucht Halt bei Freund Andy
Michael: One-Night-Stand von Jess mit zweifelhafter Vergangenheit (Geldeintreiber), geschieden, liebt Jess
Andy: älterer und erfolgreicher Freund von Steven
Michaela: langjährige Geliebte Bernards
Emma: Escort-Dame, geht mit Michaela und Bernard ins Hotel
Joe: Ex-Junkie und Vater von Ashes Sohn, gibt vor, clean zu sein, kann aber keinen Unterhalt zahlen