Die Hölle, das sind eben nicht immer nur die anderen. Die Hölle, das sind in Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ die Verletzungen und Frustrationen, die zu demütigenden Kämpfen zwischen einem Ehepaar führen. Harald Weiler hat Albees nicht umzubringendes Stück jetzt am Ernst Deutsch Theater mit einem glänzenden Ensemble inszeniert.

Die Kritik
Edward Hopper! Das Bühnenbild von Lars Peter erinnert eindeutig an dessen Bild „Nighthawks“, einer hell erleuchteten Bar in der Nacht, in der ein paar verlorene Gestalten sich ihre Einsamkeit von der Seele trinken. Im Ernst Deutsch Theater strahlt ein klar gestylter Flachbau mit Glasfront und kugelförmigen Lampen die kühle Atmosphäre der 1940er Avantgarde der USA aus. Häuser dieser Art waren den besser Gestellten vorbehalten, Leuten wie dem Dozentenehepaar Martha und George. Beide sind die Protagonisten in Edward Albees Stück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, das seit seiner Uraufführung 1962 am Broadway auf allen Bühnen der westlichen Welt gespielt wird. Albee hatte den Titel in Anlehnung an den Spruch „Wer har Angst vorm bösen Woolf?“ auf einer Hauswand gelesen und ihn ideal für sein Stück empfunden. Der Schriftstellerin Virginia Woolf ging es in ihrem Werk hauptsächlich um psychische Gesundheit und genau darum kämpfen Albees Protagonisten. Im Gegensatz zu ihrem kühl-klaren Haus tobt in Martha und George die totale Unordnung, wenn nicht die Hölle selbst.
Martha und George sind gleichberechtigte Sparringspartner, die sich rein gar nichts schenken.
In Harald Weilers stringenter Inszenierung sehen wir Martha (Anika Mauer) und George (Luc Feit) sturzbetrunken und kichernd in ihr cooles Wohnzimmer stolpern. Sie mit Highheels und Glitzerkleid, er mit Trenchcoat über dem Anzug (Kostüme: ebenfalls Lars Peter). Es ist bereits ein Uhr nachts, die Party bei Marthas Vater, dem College-Präsidenten, ist zu Ende, aber Martha hat noch nicht genug. Sie hat ein junges Paar auf einen Absacker eingeladen, was den ersten Streit zwischen ihr und George auslöst. Aber was heißt schon Streit. Beide beleidigen und demütigen sich nach allen Regeln der Kunst. Sie gehen verbal und später auch körperlich aufeinander los wie die Kampfhähne, sind sich gleichberechtigte Sparringspartner, die sich rein gar nichts schenken. Luc Feit bleibt dabei eher leiser und verletzt mit bösen Spitzen. Er lässt Martha auflaufen, wenn er sich einfach in den Swimmingpool setzt, liest und ignoriert, dass sie ihn als Versager bezeichnet. Dafür quält er sie, wenn er ihr immer mal wieder die Zeile „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ ins Ohr singt. Anika Mauers Martha ist dagegen eine raumgreifende Furie. Sie kann erstaunliche Mengen Hochprozentiges in sich hinein schütten, grölt herum und ergeht sich in ordinären Beschimpfungen. Trotzdem ist ihr eine tiefe Verletzlichkeit anzumerken. „Ich bin kein Monster“, sagt sie ganz zart und eher zu sich, als George sie als solches bezeichnet.
Als Martha die eiserne Regel bricht, bedeutet das die finale Zerstörung.
Martha und George drehen in dem Moment richtig auf, als mit Nick (Lennart Hillmann) und Süße (Nayana Heuer) das junge Paar ankommt. Die beiden sind neu in der Stadt und Nick auf dem Weg, als Dozent im Colleg Karriere zu machen. Hillmann zeigt einen angepassten Streber, dem George und Marthas Spielchen nur manchmal über die Hutschnur zu gehen scheinen. Dann runzelt er die Stirn und weigert sich mitzumachen. Aber eigentlich ist er ein elender Opportunist, der sich sogar auf Marthas trunkene Avancen einlässt, schließlich ist sie ja die Tochter des College-Präsidenten, also: Augen zu und durch. Heuer füllt den undankbaren Part der ständig kichernden, erschreckend einfältigen und ganz viel Burton krähenden Süßen bestmöglich aus. Erst durch Georges beinahe inquisitorische Befragung wird klar, dass Nick und sie an unerfülltem Kinderwunsch leiden. Darin ähneln sie Martha und George. Die haben ein Kind, einen blonden Sohn, für sich konstruiert, eine reine Illusion, die nur sie beide miteinander teilen. Ihr Tanz zu Santanas „Samba Pa Ti“ beweist noch diese letzte Verbundenheit zwischen ihnen. Das imaginierte Kind ist ihr Geheimnis, von dem vor anderen nicht gesprochen werden darf. Als Martha diese Regel bricht, bedeutet das die finale Zerstörung.
Ja, es wird gelacht über die Unverschämtheiten, die sich die Ehepartner gegenseitig an den Kopf werfen. In Wahrheit aber ist man ein Voyeur, der zusieht, wie zwei Menschen zielsicher auf den Abgrund zusteuern. Ein sehenswerter Theaterabend.
Weitere Informationen unter: https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/veranstaltung/wer-hat-angst-vor-virginia-woolf-371
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Wahrheit als erlebte Hölle
- Illusion als Fluchtmöglichkeit
Formale SchwerpunKte
- realistische Spielweise im Stile Stanislawskis/Strassbergs
- realistisches Bühnenbild
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
Das Thema drängt sich nicht unbedingt für Schulklassen auf, dennoch empfiehlt sich die Inszenierung vor allem für Theaterkurse, die sich mit Regiestilen und Theaterformen auseinandersetzen.
- ab 16/17 Jahre, ab Klasse 11
- empfohlen für den Englisch- und den Theaterunterricht.
Zum Inhalt
Martha und George, ein Dozenten-Ehepaar mittleren Alters, sind vom Leben frustriert. Er hat den ganz großen Aufstieg am College nicht geschafft, obwohl er mit Martha die Tochter des College-Präsidenten geheiratet hat. Sie sieht in ihm einen Verlierer, der ihr in jeder Hinsicht unterlegen ist. Beide vereint der Schmerz um die Kinderlosigkeit. Den versuchen sie quasi als letztes Band ihrer Ehe zu übertönen, indem sie sich einen Sohn ausdenken. Der aber soll ihr Geheimnis bleiben, so lautet die selbst auferlegte Regel. Als Martha und George sternhagelvoll von der Party des College-Präsidenten nach Hause kommen, tauchen wenig später der junge Dozent Nick und seine naive Frau Süße auf. Martha hatte sie trotz der späten Stunde noch zu sich eingeladen. Vielleicht, weil sie eine Zweisamkeit mit George gerade nicht aushält, vielleicht auch, weil sie für die folgenden unvermeidlichen Streitereien, Demütigungen und Verletzungen Publikum braucht. Im Laufe dieser Nacht trinken die beiden Paare um die Wette, stets bemüht, die eigenen Wunden zu überdecken und sie dafür anderen zuzufügen. Irgendwann aber bricht Martha die eiserne Regel, erzählt von ihrem Sohn und tut so, als würde er demnächst an seinem 21. Geburtstag nach Hause kommen. George, der sie gewarnt hatte, bleibt nichts anderes übrig, als Martha vor Zeugen vom tödlichen Unfall des Sohnes zu erzählen und damit auch die letzte Illusion zu zerstören.
Mögliche Vorbereitungen
- Lektüre oder Inhaltsangabe zu Edward Albee: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?
- Edward Albee im Gespräch (1971) auf YouTube. Text und Bühne. 12. 07. 2013
Speziell für den Theaterunterricht
Über Referate oder Lehrenden-Vortrag: Die Methode Stanislawskis
Die Spielleitung teilt den Kurs in Vierer-Gruppen ein. Möglich ist, hier die laufende Szenenarbeit mit der Methode Stanislawskis auszuprobieren.
Aufgabe
- Wählt zwei Figuren eurer Szene aus und stellt ihnen nacheinander Fragen zu ihrer Biografie, ihrem Charakter, ihrer aktuellen Situation und dem Grund ihres Handelns (in der entsprechenden Szene).
- Die „Frager“ notieren sich stichwortartig die Antworten.
- Mit diesen Informationen/diesem Wissen sollen die beiden Spieler:innen der Figuren versuchen, die Szene zu spielen (mehrfacher Durchgang).
- Die beiden anderen führen Regie, indem sie darauf achten, dass das Spiel möglichst realistisch und in Verbindung mit den gegebenen Antworten geschieht.
- Präsentation und Feedback
Wie beurteilt ihr die Arbeit mit Stanislawskis Methode für das Schultheater?