Wie sieht es aus mit der Gleichheit der Menschen? Müssen alle gleich aussehen oder was macht Gleichheit aus? Das neue Klassenzimmerstück vom Thalia Theater geht diesen Fragen nach und kommt anschließend mit den Schüler*innen ins Gespräch.
DIE KRITIK
Zuerst ist nur Musik zu hören. Sirtaki. Dann öffnet sich die Tür und ein merkwürdiges Paar lugt ins Klassenzimmer. Denn Zorba (Shahin Sheikho) trägt Amalie (Solomia Kushnir) auf dem Rücken. Offenbar schon eine ganze Zeit, denn er ist ein bisschen genervt vom Tragen, setzt aber Amalie recht liebevoll auf einem der Tische ab. Amalie weigert sich, mit den Füßen den Boden zu betreten. „Erdanziehungskraft ausgeschaltet“, sagt sie. Sie will erst wieder selbst gehen, „wenn alle Menschen gleich aussehen.“
Dass es letztlich gar nicht um die äußere Gleichheit geht, entwickelt „RückenBrücken“ mit dem Untertitel „Lauf in meinen Schuhen“. Das neue Klassenzimmerstück von Nail Doğan ist eine Auftragsarbeit vom Thalia Theater. Entstanden ist sie in Zusammenarbeit mit dem Kollektiv /All Das/, einer Theatergruppe, die sich aus in Hamburg lebenden Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammensetzt. Amalies Sehnsucht nach einer Gesellschaft, die keine Unterschiede mehr macht, wirkt durch die beiden Spielenden umso glaubwürdiger. Solomia Kushnir (Amalie) ist Ukrainerin, Shahin Sheikho (Zorba) ist Syrer. Während sie von ihren imaginären Reisen durch die Welt erzählen und dabei von einem Schultisch zum anderen hüpfen, singen sie manchmal ein Lied in ihrer Muttersprache – und dann kann es passieren, dass plötzlich ein Schüler oder eine Schülerin genau dieses Lied versteht. In solchen, aber auch in anderen Momenten entsteht ein Austausch jenseits des festgeschriebenen Dialogs zwischen Spielenden und Publikum. Theater wird für die Klasse zu etwas Unmittelbarem, Direktem. Dass auch der deutsche Text nicht immer zu verstehen ist, macht überhaupt nichts. Das Publikum fühlt mit Zorba und Amalie, wenn sie sich vorstellen, verschiedene Orten der Welt zu besuchen und diese in Zeitlupenbewegungen vorstellen. Oder wenn sie vor Glück plötzlich zu tanzen beginnen – alles auf den Tischen der Schüler*innen natürlich. Nähe, Spontaneität und Rhythmus durch die Sprache – all das lässt die Inszenierung von Sophie Pahlke Luz zu. Am Ende der 45-minütigen Vorstellung wird Amalie den Boden wieder berühren. Zorba überzeugt sie mit acht Pistazien, einer Metapher für acht Milliarden Menschen. Und Amalie stellt sich wieder auf ihre eigenen Füße.
„RückenBrücken“ ist als Klassenzimmerstück in Schulen buchbar unter thaliaundschule@thalia-theater.de
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Freundschaft
- Sehnsucht nach Gleichheit
- Sehnsucht nach gegenseitigem Verständnis
Formale Schwerpunkte
- Environmental-Bühne
- direkter Kontakt zwischen Spielenden und Publikum
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
- ab 14 Jahre, ab Klasse 7
- empfohlen für Ethik-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Amalie hat beschlossen, erst dann wieder den Boden mit den Füßen zu berühren, wenn zwischen den Menschen Gleichheit herrscht. Bis es soweit ist bzw bis sie überzeugt ist, wie man dazu kommt, trägt ihr Freund Zorba sie auf dem Rücken. Sie sind schon durch die halbe Welt gereist und haben sich die Menschen angesehen. Tatsächlich haben sie Ähnlichkeiten feststellen können zwischen einer alten Frau in einem Land und einem Kind in einem ganz anderen. In ihrer Fantasie (?) reisen sie weiter, aber Amalie ist immer noch nicht überzeugt von der Gleichheit der Menschen. Bis Zorba eine Idee hat. Mit Hilfe von Pistazien zeigt er Amalie, dass es auf die Perspektive ankommt. Menschen müssen nicht aussehen wie du, aber sie sind im Inneren wie du. Amalie ist zufrieden. „Lass uns nach Hause gehen“, sagt sie und stellt sich auf ihre eigenen Füße.
Mögliche VorbereitungeN
Im Unterrichtsgespräch ließen sich vorab Fragen diskutieren:
- Was bedeutet für dich Freundschaft?
- Was verstehst du unter Freundschaft?
- Welche Parallelen gibt es zwischen Menschen aus unterschiedlichen Ländern?
- Was verbindet Schüler*innen in Hamburg mit Schüler*innen in einem bayrischen Dorf, in einer amerikanischen Großstadt o.ä.
Speziell für den Theaterunterricht:
Im Lehrer*innenvortrag, über Referate oder als vorbereitende Hausaufgabe:
Darstellung der unterschiedlichen Bühnenformen:
- Guckkasten oder Konfrontationsbühne
- Vorbühne oder Proszeniumsbühne
- Raumbühne oder Arenabühne
- Environmental
Aufteilung der Gruppe in Vierer-/Fünfergruppen
Aufgabe:
Entwerft eine Szene zu unten stehendem Text. (Der Text darf gekürzt, in Teilen gedoppelt und auf alle Personen verteilt werden. Es darf kein eigener Text hinzugefügt werden.)
Verwendet euch bekannte theatrale Mittel.
Achtet darauf, die Bühnenform sinnvoll auszunutzen.
Die Aufgabe ist gelungen, wenn
- die Szene dem Aufbau mit Anfang, Höhepunkt, Ende folgt
- der Bühnenraum sinnvoll ausgenutzt ist
- alle Spieler*innen beteiligt sind.
- theatrale Mittel verwendet worden sind
Notiert euch: Welche Schwierigkeiten und welche Möglichkeiten bietet die jeweilige Bühnenform?
Text
P: Warum hast du das rumerzählt über uns?
P: Ist das richtig. wenn jetzt alle über uns reden?
P: Wie man halt so redet.
P: Nein, nicht, wie man halt einfach so redet. – Ich mach dich verantwortlich für das. Ich könnte dich ja auch zusammenschlagen für das.
P: Was mir am liebsten wäre. Einfach reinschlagen.
P: Gute Lust hätt ich dazu.
P: Tu‘s doch, bitte.
P: Vielleicht. Und dir? Fällt dir nichts Besseres ein?
P: Meinst du was Bestimmtes?
P: Ich schon. Das kannst du mir glauben.
P: Ich versteh kein Wort von dem, was du da sagst.
P: Dann überleg mal. Denk einfach mal nach. Keine Idee? Nix? Und jetzt?
P: Jetzt sag halt, was du meinst.
(Aus: Rainer Werner Fassbinder: Preparadise sorry now)