Romeo und Julia

Der Rollentausch klappt in Mathias Spaans Inszenierung am Jungen Schauspielhaus.

Jara Bihler (Julia), Nico-Alexander Wilhelm (Romeo) – Foto: Sinje Hasheider

DIE KRITIK

Sie will ihn. Unbedingt. Der seit Ewigkeiten bestehende Streit der beiden Elternhäuser? Geschenkt! Sie setzt alles daran, ihn zu bekommen. Und sie schafft es sogar, ihn zu heiraten.

„Ich bin Berater meines eigenen Herzens.“

Sie  – das ist Julia. Die Julia aus Shakespeares wohl berühmtester, die Herzen über die Jahrhunderte berührenden Tragödie „Romeo und Julia“. Und doch ist sie in der Fassung von Stanislava Jević (Dramaturgie) und Mathias Spaan (Regie) eine ganz Andere. Das zarte Huschchen, das nur reagiert, ist hier eine selbstbestimmte junge Frau.  „Ich bin Berater meines eigenen Herzens“, knallt sie ihrem Freund Mercutio (Sebastian Weiss) entgegen, wenn der ihr Tipps gegen den Liebeskummer geben will. Sie und Romeo tauschen in der Inszenierung am Jungen Schauspielhaus die Rollen: Sie heißt jetzt Montague, übernimmt den Part der Aktiven und damit auch den Text des Original-Romeos. Umgekehrt wird Romeo zu einem Capulet mit Julias Text. Das klingt zunächst ein bisschen angestrengt, geht aber dank des tollen Ensembles ganz wunderbar auf.

„Liebe ist scheiße.“

Jara Bielers Julia lodert. Vor Zorn, vor Liebe, vor Tatendrang. Da sitzt sie zu Beginn in einem kahlen Zimmer, das oben auf einen knorrigen, die gesamte Bühne einnehmenden Baum montiert ist (Bühne: Anna Armann), und mault. Ihre Liebe zu Rosalinde wird nicht erwidert und was sie sagt, soll nach Leiden klingen. Aber so, wie sie die Worte ausspuckt, klingt das Ganze eher nach gekränkter Eitelkeit. „Liebe ist scheiße“, resümiert Mercutio. Am besten sei es, gegen alle Regeln auf das Fest des Erzfeindes, der Familie Capulet, zu gehen und dort Rosalinde zu treffen.

  „Wo eine auf dich wartet, die zum Manne dich macht.“

Die Bühne dreht und gibt den Blick frei auf Romeo (Nico-Alexander Wilhelm), der von der Amme (resolut: Christine Ochsenhofer) in einer Zinkwanne gebadet wird. Unten im Saal wird er erwartet, „wo eine auf dich wartet, die zum Manne dich macht“, frohlockt die Amme. Gemeint ist die Gräfin Helena, die dieser knopfäugige Junge – so will es der Vater (Hermann Book) – demnächst heiraten und mit ihr Kinder zeugen soll. Hier mag der einzige Punkt liegen, an dem der Rollentausch mit Julia nicht ganz aufgeht. Doch Nico-Alexander Wilhelm lässt seinen Romeo nicht in der an den Lippen nagenden, auf die Füße blickenden Kinderrolle. Er wird trotzig und rebelliert gestärkt durch Julia gegen die Erwachsenen. Während die jungen Leute  Jeans, Turnschuhen oder wie Julia eine silberne Daunenjacke tragen, sind ihre Kostüme historisch und verorten sie in der Vergangenheit. Sie und ihre Ansichten sind Auslaufmodelle  (Kostüme: Josephin Thomas).

„Ich geh dann mal heiraten“

Jević und Spaan haben haben den Text sinnvoll gekürzt und die Anzahl der Personen auf sieben reduziert. Herrmann Book übernimmt sowohl die Rolle des Paters Lorenzo als auch die von Romeos Vater. Der pausenlose Abend von einer Stunde und 45 Minuten wirkt straff, ist nicht eine Sekunde langweilig. Der Sprachduktus aus der Übersetzung von Sven-Eric Bechtholf und Wolfang Wiens ist beibehalten, wird aber so gesprochen, dass sich heutige Wendungen wie Romeos „Ich geh dann mal heiraten“ ganz selbstverständlich einfügen. 

Die Inszenierung bietet eine Reihe von Highlights: den Fechtkampf zwischen dem Heißsporn Tybalt (Severin Mauchle) und Mercutio ohne Degen, nur über Bewegungen und eingespielte Geräusche, die erste Liebesnacht zwischen Romeo und Julia, beleuchtet von zwei Taschenlampen, Julias Erinnerungen kurz vor ihrem Tod, wenn auf der Drehbühne Dialog- und Szenenfetzen aus der Vergangenheit auftauchen. Eine auf erfrischende Weise neu erzählte alte Geschichte – es lohnt sich, sie zu sehen.

https://junges.schauspielhaus.de/de_DE/stuecke-jsh/romeo-und-julia-13.1309705 

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • die Frau als aktiver, starker Part
  • jugendliche Leidenschaft vs überkommene Regeln und Vorstellungen
  • die Verfechtung eigener Wünsche 
Formale Schwerpunkte
  • Rollen- und Geschlechtertausch
  • multifunktionales Bühnenbild
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen

ab 13/14 Jahre; Jahrgangsstufe 9

geeignet für Deutsch-, Englisch- und Theaterunterricht

Zum Inhalt

In Shakespeares Original ist es Romeo, der sich von seinem Liebeskummer zu Rosalinde kurieren will und deshalb mit seinem Freund Mercutio auf das Fest der Capulets geht. Das ist an sich schon ein Wagnis, ist doch seine Familie, die Montagues, seit Ewigkeiten mit den Capulets verfeindet, wobei keiner mehr die wirklichen Gründe kennt. Auf dem Fest sieht er Julia, die Tochter des Hauses, und verliebt sich sofort in sie. Heimlich traut sie Pastor Lorenzo am folgenden Tag in seiner Klause. Julias Cousin Tybalt gerät am selben Tag in einen Streit mit Romeo und dessen Freund Mercutio, bei dem dieser tödlich verletzt wird. Im Affekt ersticht Romeo daraufhin Tybalt. Romeo wird in die Verbannung geschickt, verbringt aber noch eine erste und letzte Nacht mit Julia. Da diese in den kommenden Tagen mit dem Grafen Paris verheiratet werden soll, erbittet sie Hilfe von Pater Lorenzo. Der gibt ihr einen Trunk, der sie wie tot erscheinen, aber nach dreißig Stunden wieder erwachen lässt. Die Eltern sollen die scheintote Tochter in einer Gruft versenken, aus der Romeo sie dann retten soll. Tatsächlich wird Julia in die Gruft gebracht, aber der Brief, über den Romeo von dem Plan erfahren Sol, erreicht ihn nicht. Statt dessen erfährt er nur von Julias Tod. Er besorgt sich Gift, reist zurück zu Julia in die Gruft und tötet sich. Als Julia aufwacht, sieht sie den toten Romeo und ersticht sich mit seinem Dolch. Am Grab der toten Kinder versöhnen sich die Capulets und Montagues. 

Mögliche VorbereitungeN

Über Referate oder im Unterrichtsgespräch: 

  • Problematisieren der Geschlechterrollen: Gibt es typisch männlich, typisch weiblich?
  • Geschlechterrollen heute – Geschlechterrollen in der Vergangenheit (vom Biedermeier bis Mitte der 1960er Jahre. Unterschiede in den Gesellschaftsschichten) 
  • Ab wann sind Veränderungen zu erkennen?

Speziell für den Theaterunterricht

Arbeit mit einem Szenenauszug

Auszug aus „Romeo und Julia“  (II,2) s.u. 

Der Auszug wird auf Dreiergruppen verteilt. Zwei lesen/ sprechen den Dialog, die dritte Person führt Regie. 

Aufgaben: 
  • Lest den Auszug zunächst laut.
  • Findet für jeden Dialogabschnitt eine Körperhaltung für Romeo und eine für Julia. Achtet darauf, dass ihr dabei verschiedene Ebenen einnehmt.
  • Spielt diesen Dialog stumm, indem ihr nur die Körperhaltungen zeigt. Die Regie korrigiert euch und gibt Zeichen für den jeweils nächsten Dialogteil bzw die Körperhaltung.
  • Gebt den Dialog mit euren eigenen Worten wieder.
  • Überlegt, was für euch an dem Original-Dialog besonders wichtig ist. 
  • Kürzt den Dialog so ein, dass Romeo und Julia jeweils nicht mehr als 60 Wörter sprechen.
  • Präsentiert eure Szene entweder mit dem eingekürzten Dialog und den entsprechenden Körperhaltungen oder mit dem Dialog in euren eigenen Worten und der entsprechenden Körperhaltung.
  • Tauscht jetzt die Rollen. Romeo spricht Julias Text und umgekehrt. Ändert sich etwas an der Körperhaltung? An der Sprechweise? 
  • Präsentiert auch diese Szene.
Text:

JULIA
Wer bist du, der du, von der Nacht beschirmt,
Dich drängst in meines Herzens Rat?

ROMEO
                                     Mit Namen
Weiß ich dir nicht zu sagen, wer ich bin.
Mein eigner Name, teure Heilge, wird,
Weil er dein Feind ist, von mir selbst gehaßt;
Hätt ich ihn schriftlich, so zerriss‘ ich ihn.

JULIA
Mein Ohr trank keine hundert Worte noch
Von diesen Lippen, doch es kennt den Ton.
Bist du nicht Romeo, ein Montague?

ROMEO
Nein, Holde; keines, wenn dir eins mißfällt.

JULIA
Wie kamst du her? O sag mir, und warum?
Die Gartenmaur ist hoch, schwer zu erklimmen;
Die Stätt ist Tod – bedenk nur, wer du bist -,
Wenn einer meiner Vettern dich hier findet.

ROMEO
Der Liebe leichte Schwingen trugen mich,
Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren;
Und Liebe wagt, was irgend Liebe kann,
Drum hielten deine Vettern mich nicht auf.

JULIA
Wenn sie dich sehn, sie werden dich ermorden.

ROMEO
Ach, deine Augen drohn mir mehr Gefahr
Als zwanzig ihrer Schwerter; blick du freundlich,
So bin ich gegen ihren Haß gestählt.

JULIA
Ich wollt um alles nicht, daß sie dich sähn.

ROMEO
Vor ihnen hüllt mich Nacht in ihren Mantel.
Liebst du mich nicht, so laß sie nur mich finden;
Durch ihren Haß zu sterben wär mir besser
Als ohne deine Liebe Lebensfrist.

(https://www.projekt-gutenberg.org/shakespr/romeo1/romeo.html)

Angebote der Theaterpädagogik des Jungen Schauspielhauses:

https://junges.schauspielhaus.de/de_DE/home-jsh