Es geht rund am Thalia Theater. Gerade mal zwei Tage nach der Eröffnungspremiere folgt mit „Marschlande“ auch schon die nächste im Großen Haus. Hannah Zufalls Dramatisierung und Jorinde Dröses Uraufführung werfen allerdings Fragen nach der Bühnentauglichkeit von Jarka Kubsovas Roman auf.

Die Kritik
Wenige Balken skizzieren ein modernes, großzügiges Haus auf einer weitgehend dunklen, nur punktuell ausgeleuchteten Bühne (Katja Haß). „Genau das ist es!“, ruft Philipp (Torben Kessler), läuft durch die offenen Räume und versucht seine Frau Britta (Cathérine Seifert) und die pubertär-muffelige Tochter Mascha (Edda Maack alternierend: Ida Porath) mit seiner Begeisterung anzustecken. So eine Bleibe haben er und Britta sich doch immer für die Familie gewünscht: raus aus der viel zu engen Hamburger Altbauwohnung und rein in die nicht allzu entfernten Weiten der Vier-und Marschlande. In ein richtiges Haus mit Garten und viel Platz für alle. Während sich Mascha schon bei der ersten Besichtigung verweigert und am Rand stehen bleibt, müht sich Britta, die Euphorie ihres Mannes etwas zu dämpfen. Aber ja, sie will auch hierher ins ländliche Ochsenwerder ziehen.
Das ist die Ausgangssituation von Jarka Kubsovas 2023 erschienenem Roman „Marschlande“. Die Handlung um die Hamburger Familie, vor allem um Britta, wird ergänzt und verwoben mit der um die historische Figur Abelke Bleken. Britta stößt auf ihren Namen durch ein Straßenschild und beginnt sich für diese Frau zu interessieren, die fünfhundert Jahre zuvor als Hexe verbrannt worden ist. Abelke nämlich hatte einen eigenen Hof, musste ihn allein gegen die Sturmflut sichern und bekam dafür im Gegensatz zu den männlichen Hofbesitzern kein Geld vom Deichvogt. Von allen Seiten schlug ihr Missgunst und Hass entgegen, und als nach ihrem Racheschwur tatsächlich ein Unglück geschieht, wird sie der Hexerei beschuldigt und öffentlich verbrannt.
Eine zweifelsohne aufwühlende Geschichte, tauglich für das Transportieren feministischer Ideen. Bemüht wirkt jedoch die Verbindung dieser kämpferischen Bäuerin zu Britta und ihrer zwar nicht idealen, aber keineswegs vergleichbaren Situation. Gut, Philipp arbeitet rund um die Uhr, schließlich muss ja das Haus abbezahlt werden, und Britta kümmert sich plötzlich nur noch um die Kinder und den Haushalt. Dass sie davon irgendwann die Nase voll hat, ist nur zu verständlich und dass sie Philipp verlässt und eine eigene Wohnung mietet, okay.
Gegenwart und Vergangenheit stehen zum Teil gemeinsam auf der Bühne.
Im Roman liest man gnädig über die gewollte Verquickung der Frauenschicksale und die daraus folgende Selbstermächtigung Brittas hinweg. Es gibt ja die spannende Geschichte um Abelke. In Hannah Zufalls Bühnenfassung und Jorinde Dröses Inszenierung sind es auch diese Szenen, die überzeugen, vor allem durch die eindringliche, sensible Darstellung von Nellie Fischer-Benson als Abelke. Sie kämpft gegen den bigotten Pastor Samuel (Cino Djavid) und den selbstherrlichen Deichvogt (Bernd Grawert), sucht moralische Unterstützung bei ihrer Freundin Leneke (Maike Knirsch). Dünn, fast banal bleibt dagegen die Geschichte um Britta, was wohl eher an der Fassung, nicht aber an den Schauspieler:innen liegt. Jorinde Dröses Inszenierung bemüht sich, beide Handlungsstränge miteinander zu verquicken und den Einfluss von Abelkes Geschichte auf Brittas Situation zu verbildlichen: Gegenwart und Vergangenheit stehen zum Teil gemeinsam auf der Bühne, manchmal ein wenig versetzt, manchmal parallel. Wichtig scheint ihr auch die Sogkraft der Landschaft zu sein. Sie und wohl auch die Bühnenfassung personifizieren das Land (Florence Adjidome), das sich raunend mit angestrengt poetischen Sätzen („Ich bin da. War immer da.“) ständig in die Dialoge mischt. Überhaupt trieft der Text teilweise vor Bedeutungsschwere („Schau nicht nur in die Zeit. Schau auch in den Raum.“) und meint der Handlung eine zusätzliche Tiefe zu geben. Die wäre aber eher durch mehr Streichungen erreicht worden, denn hier wird eigentlich alles auserzählt und den Figuren jede Art von Geheimnis genommen.
Eines bleibt allerdings: Warum trägt Adjidome als Land ein bodenlanges Glitzerkleid und Bernd Grawert bei Abelkes Hinrichtung lange Haare und einen Glitzeranzug (Kostüm: Juliane Kalkowski)? Die Antwort erschließt sich nicht.
Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/de/stuecke/marschlande/175
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Abhängigkeit und spätere Selbstermächtigung der Frau
- Auflehnung und Kampf gegen eine von Männern dominierte Welt
Formale SchwerpunKte
- Gleichzeitige Darstellung zweier Zeitebenen
- Personifizierung des Landes
- Ständige Präsenz des personifizierten Landes
- Videoprojektionen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- An 16 Jahre, ab Klasse 11
- Empfohlen für den Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Philipp und Britta sind mit ihren beiden Kindern aus der Hamburger Altbauwohnung in ein großes Haus in den Vier- und Marschlanden gezogen. Um den Kredit dafür abbezahlen zu können, arbeitet Philipp rund um die Uhr, Britta hat dagegen ihren Job aufgegeben, kümmert sich erstmal um die Kinder und das Haus, fühlt sich aber zunehmend unwohl und fremd. Zufällig entdeckt sie ein Straßenschild, das den Namen Abelke Bleken trägt. Sie beginnt nachzuforschen und erfährt die Geschichte dieser Bäuerin, die von fünfhundert Jahren in den Vier- und Marschlanden einen eigenen Hof besaß, ihn gegen die Sturmflut ohne das Geld des Deichgrafen sicher zu machen versuchte, die gegen Hass und Neid von Seiten der männerdominierten Welt kämpfen musste und die schließlich als Hexe verbrannt wurde.
Britta sieht sich durch Abelkes Schicksal bestärkt in ihrem persönlichen Kampf gegen überkommene Rollen (der Mann schafft das Geld ran, die Frau hütet Haus und Kinder). Sie schafft zuletzt den Ausstieg aus ihrer Ehe und findet zu sich selbst.
Mögliche Vorbereitungen
Recherche zu:
- Jarka Kubsova
- Hexenverfolgung im Mittelalter (Wer wurde als Hexe bezeichnet? Warum Welche gesellschaftlichen Gründe gab es?)
- Abelke Bleken
Viele Informationen dazu im digitalen Programmheft unter:https://www.thalia-theater.de/de/stuecke/marschlande/175/programmheft
Speziell für den Theaterunterricht
Erstellung einer Choreografie zum Thema „Hexenverfolgung“
Die Spielleitung teilt den Kurs in Gruppen zu acht bis zehn Mitgliedern ein.
Aufgabe:
- Jede:r malt für sich auf einen Zettel 10 Symbole, die sie/er mit dem Begriff „Hexenverfolgung“ assoziiert.
- Setzt euch in eurer Gruppe zusammen, vergleicht die Symbole, einigt euch auf 8-10 gemeinsame Symbole und ordnet sie in einer Reihenfolge.
- Überlegt euch zu jedem einzelnen Symbol eine Bewegung und Körperhaltung.
- Stellt euch in einer Reihe auf und vollführt nacheinander synchron diese Bewegungen. Macht nach jeder Bewegung synchron einen Schritt nach vorne.
- Probt die Synchronität mehrfach durch (am besten lasst ihr jemanden von außen draufstehen)
- Wählt eine Musik aus, die zu eurer Choreografie passt
Präsentation der jeweiligen Gruppen-Choreografien
Besprechung der Wirkung.