Kleiner Mann – was nun?

Gar nicht so einfach, immer den Kopf oben zu behalten. Schon gar nicht dann, wenn Wirtschaftskrise, Inflation und drohende Arbeitslosigkeit einem die Kehle zuzuschnüren drohen. Dennoch gibt es Menschen, die den Mut nicht verlieren und tapfer weiterkämpfen. Eine Geschichte von 2024? Nein, von 1932, aber die Parallelen sind nicht zu übersehen. Zur Wiederaufnahme von Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ im Ohnsorg Studio in der Regie von Ayla Yeginer. 

Immerhin eine Wohnung. (v. li: Jannik Nowak) (Julia Kemp) – Foto: Sinje Hasheider

Die Kritik

Pinneberg kommt gerade so durch. Mit dem Lohn für seinen Job kommt er mehr schlecht als recht über die Runden. Deshalb fällt er aus allen Wolken, als ihm seine Freundin gesteht, dass sie ein Kind erwartet. Eine Familie zu ernähren scheint ihm schier unmöglich in diesen unsicheren Zeiten. Deutschland befindet sich zwischen zwei Weltkriegen, die Wirtschaft liegt am Boden, Menschen werden reihenweise entlassen, die Inflation frisst sich gierig durch die Lohntüten. Aber seine Freundin lässt sich davon nicht beeindrucken. Emma heißt sie, wird aber nur Lämmchen genannt. Der Spitzname passt so gar nicht für diese junge Frau, die alles andere als ein zartes, niedliches Lämmchen, sondern vielmehr eine starke, optimistisch in die Zukunft blickende junge Frau ist. Sie wird Pinneberg an die Hand nehmen, ihn heiraten, Jobs für ihn klarmachen, das Baby bekommen, immer wieder eine andere billigere Wohnungen suchen. Vor allem aber hält sie an Pinneberg fest, auch wenn der manchmal nicht mehr weiter weiß.

Bereits im April 2022 hatte Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ in der Bühnenfassung von Michael Thalheimer und Sibylle Baschung im Ohnsorg Studio Premiere. Jetzt steht Ayla Yeginers Inszenierung erneut auf dem Spielplan und hat sogar noch an Aktualität gewonnen.

 „Bloß nicht arbeitslos werden!“

Die Handlung ist von Berlin nach Hamburg und Umgebung verlegt worden, wir sind ja schließlich im Ohnsorg Theater. Vor einer Rückwand aus Holz sind auf der schmalen, langgezogene Studio-Bühne rechteckige Rahmen und eine Treppe angebracht (Bühne und Kostüme: Telse Hand). Von links nach rechts werden sie die unterschiedlichen, immer kleiner werdenden Bleiben des jungen Paares darstellen. Eine kleine Stehlampe deutet den jeweiligen Umzug an. Wie Puppen werden werden Pinneberg (Jannik Nowak) und Lämmchen (Julia Kemp) von zwei im Programmheft als Spielerin (Rabea Lübbe) und Spieler (Jochen Klüßendorf) bezeichneten  Figuren auf die Bühne getragen. „“Wehe Wind! Puste Wind! Nimm den Hut nicht meinem Kind“, flüstern sie im Chor und hauchen den beiden Figuren Leben ein. Lübbe und Klüßendorf untermalen die folgenden 100 pausenlosen Minuten mit Musik (für die auch Klüßendorf verantwortlich zeichnet) und übernehmen mit Wollperücken, Hüten, Brillen oder Zigarettenspitze unterschiedliche Figuren. Klüßmann zeigt unter anderem den eitlen Arbeitgeber Öztürk und den ordinären Jachmann. Der ist der aktuelle Liebhaber von Pinnebergs Mutter, die einen zweifelhaften Lebenswandel führt und von der akrobatisch fallenden und kletternden Rabea Lübbe als Rotlicht-Schlampe gespielt wird. Johannes Novaks Pinnerberg ist ein schüchterner Mann. Er ist nicht nur gesellschaftlich einer von den Kleinen, er wirkt auch durch seine hängenden Schultern und dem Blick von unten wie ein kleiner Mann. „Bloß nicht arbeitslos werden!“, ist sein Mantra, das das Stück im Chor oder alleine gesprochen durchzieht.

Möglich, dass sich Pinneberg vor den Zug geworfen hat.

Ihm gegenüber steht mit Julia Kemp ein Lämmchen, das praktischen Optimismus verströmt, Wäre und Empathie auch gegen die St Pauli-Schwiegermutter zeigt und sich von nichts unterkriegen lässt. Wie verzweifelt sie innerlich ist, zeigt die letzte Szene: Sie ist allein mit dem Kind in der Gartenlaube, ihrer letzten Wohnung, und wartet seit Stunden auf ihren Mann. Aber der ist gerade entlassen worden, und Novaks Pinneberg hat sich auf einem der Rechtecke zusammengerollt. Möglich, dass er sich vor den Zug geworfen hat. Lämmchen meint draußen etwas Dunkles zu sehen, ihre Angst hat sie herausgeschrien, jetzt tritt sie tritt vor die Tür – und es wird still. Jetzt strahlt sie, sagt, dass etwas Dunkles sie „weg von der Erde“ hebt. Dann verlischt das Licht. Was genau mit ihr passiert, bleibt offen.

Weitere Informationen unter: https://www.ohnsorg.de/events/kleiner-mann-was-nun/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Die Theaterpädagogik des Ohnsorg Studios bietet Vor- und Nachbereitungen sowie Begleitmaterail an unter: https://www.ohnsorg.de/theaterpaedagogik/

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Situation in Zeiten von Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise und Inflation
  • Kampf ums Überleben
  • Kraft durch Zusammenhalt 
Formale SchwerpunKte
  • Reduktion des Figurenpersonals auf zwei Protagonist*innen
  • Übernahme der übrigen Rollen durch zwei neutrale Spieler*innen
  • Chorisches Sprechen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 14/15 Jahre, ab Klasse 9/10
  • empfohlen für den Geschichts-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Johannes Pinneberg arbeitet als Buchhalter in einem kleinen Betrieb in Lüneburg. Als seine Freundin Emma Morsche, genannt Lämmchen schwanger wird, heiratet er sie und sucht für sie beide eine Wohnung. Aus Angst vor drohender Arbeitslosigkeit verheimlicht er die Ehe vor seinem Arbeitgeber, da dieser ihn eigentlich mit seiner Tochter verkuppeln will. Als der jedoch über eine Intrige von Pinnebergs Ehe erfährt, entlässt er ihn und Pinneberg muss ausgerechnet in Zeiten von Weltwirtschaftskrise und Inflation eine neue Lämmchen, die sich mit einem Brief bei ihrer Schwiegermutter in Hamburg vorgestellt hat, gelingt es, dass Pinneberg hier einen neuen Job bei einem Herrenausstatter bekommt. Das Paar darf in der Wohnung der Mutter wohnen, allerdings ist deren Situation mehr als zweifelhaft und ihr derzeitiger Liebhaber, der den Job vermittelt hat, ein windiger Hund. Pinneberg wird erneut entlassen, die Suche nach Arbeit und Wohnung geht weiter, und jedesmal scheint es eine Nummer schlechter zu werden. Lämmchen hat bereits das Kind geboren und versucht mit Liebe und Optimismus die Situation zu meistern. Aber anders als in Falladas Roman bleibt das Ende in dieser Inszenierung offen. 

Mögliche Vorbereitungen
  • Recherche zu Hans Fallada (Leben und Werk)
  • Hans Fallada: Kleiner Mann – was nun? (Lektüre oder ausführliche Inhaltsangabe)
  • Recherche zur wirtschaftlichen Situation in Deutschland  1932
  • Recherche zur wirtschaftlichen Situation in Deutschland 2024
Im Unterrichtsgespräch:

Präsentation der Ergebnisse und Vergleich der Knarre 1932 und 2024 (Parallelen, Unterschiede)

Speziell für den Theaterunterricht
Übungen zu chorischen Bewegungen und zum chorischen Sprechen
Unsichtbarer Chor

Die Gruppe bildet einen Kreis bilden, zählt durch. Jede*r nennt eine Zahl. Dann noch einmal mit geschlossenen Augen. Anschließend: Raumlauf, jede*r nennt hintereinander seine Zahl. Jetzt nennt jeder in der Reihenfolge der Zahlen statt der Zahl eine Assoziation zu „Wirtschaftskrise“ (merken!); eventuell mehrfach wiederholen.

Stimme lockern

Alle gehen durch den Raum, atmen tief ein und wieder aus, schlagen sich vorsichtig mit der Hand auf Brust, suchen einen Vokal, sagen diesen Vokal leise, laut, etc, Bildung von zwei Gruppen: eine sagt „a“, eine „o“ , tief Luft holen, Laut so lange wie möglich halten. Evtl. gegeneinander antreten.

Ein Körper

Die beiden Gruppen formieren sich zu Pulks, stellen sich ganz eng zusammen, schließen die Augen, beginnen hörbar zu atmen, dann in einem gemeinsamen Rhythmus hin und her zu schwingen. Eine*r löst sich von der Gruppe und dirigiert sie mit Zeigefinger (ZEITLUPE). Der Pulk muss den Zeigefinger mit den Augen verfolgen.

Gemeinsames Sprechen

Jeder Pulk erhält zwei Wörter, die gemeinsam gesprochen werden sollen. Gleichmäßigen Rhythmus finden, verschiedene Lautstärken ausprobieren, eventuell einen Einzelnen ein Wort, den Chor das andere Wort sprechen lassen: A: keine Arbeit; B: enge Wohnung.

 Aufgabe:
  • Entwerft zu nachfolgender Grundidee (s.u.) eine Szene:
  • Achtet dabei auf Folgendes: Ort und alle anderen Bedingungen sollen mit eurem Körper und Seilen (Gruppe A), Stöcken (Gruppe B) oder Geräuschen (Gruppe C) dargestellt werden: Wie zeigt ihr die Stimmung der Protagonisten? Wie den Ort?
  • Denkt daran, dass man Figuren splitten kann; d.h. eine Figur kann durch mehrere Spieler dargestellt werden.
  • Probt den Text sowohl mit chorischen als auch individuellen Passagen.
  • Versucht einen Rhythmus zu finden

Präsentation und Feedback

Situation

Pinneberg geht zu Lämmchens Vater, Herrn Mörschel, und erklärt ihm seine Stellung bei der Arbeit.

Text: (Der Text ist für die Spielszene bearbeitet worden)

Pinneberg: »Herr Kleinholz sagt …« 

Mörschel: »Was die Arbeitgeber sagen, junger Mann, das wissen wir lange. Das interessiert uns nicht. Was sie tun, das interessiert uns. Es gibt doch ’nen Tarifvertrag bei euch, was?«

Pinnebertg: »Ich glaube…«.

Mörschel: »Glaube ist Religionssache, damit hat ‚en Arbeiter nischt zu tun. Bestimmt gibt es ihn. Und da steht drin, daß Überstunden bezahlt werden müssen. Warum krieg ich ’nen Schwiegersohn, dem sie nicht bezahlt werden?«

Pinneberg: —-

Morsche: »Weil ihr nicht organisiert seid, ihr Angestellten. Weil kein Zusammenhang ist bei euch, keine Solidarität. Darum machen sie mit euch, was sie wollen.«

Pinneberg: »Ich bin organisiert. Ich bin in ’ner Gewerkschaft. Deutsche Angestellten-Gewerkschaft.«

Mörschel:  »Die Dag! Mutter, Emma, haltet mich fest, unser Jüngling ist ein Dackel, das nennt er ’ne Gewerkschaft! Ein gelber Verband, zwischen zwei Stühlen. Oh Gott, Kinder, so ein Witz …«

https://www.projekt-gutenberg.org/fallada/kleinman/chap002.html

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