Intervention!

Komödie ist gar nicht so einfach. Sven Regener und Leander Haußmann versuchen es trotzdem am Thalia Theater. 

Alles klar beim Familientreffen? – Foto: Armin Smailovic

DIE KRITIK

Eigentlich konnte nichts schiefgehen. Sven Regener und Leander Haußmann hatten für das Thalia Theater ein Stück geschrieben. Beide kennen sich aus langjähriger Zusammenarbeit. Regener, erfolgreicher Musiker und Autor, hatte für die Verfilmung seines Romans „Herr Lehmann“ das Drehbuch verfasst. Haußmann, bekannt durch Filme wie „Sonnenallee“ und Inszenierungen u.a. am Thalia Theater („Der Geizige“), übernahm die Regie. Weitere  gemeinsame Filmkomödien folgten. Und jetzt also ein Stück für das Thalia-Ensemble, eines der besten der Republik. Das musste doch ein super Abend werden.

Dass die Premiere von „Intervention!“ dann doch weit hinter den Erwartungen zumindest einiger Kritiker zurückblieb, mag an den Ansprüchen an eine Komödie im Staatstheater gelegen haben. Und auch an deren Länge von knapp dreieinhalb Stunden, in denen sich nichts wesentlich weiter oder tiefer entwickelte. Am Thalia hat man jedoch schnell reagiert. Schon die zweite Vorstellung ging mit gut zwei pausenlosen Stunden deutlich geraffter und konzentrierter über die Bühne. 

Dass das Ganze den Bach runter geht, gehört zu den Gestzen der Komödie.

Die Eheleute Katja (Gabriele Maria Schmeide) und Markus (Jens Harzer) haben zum Grünkohlessen die Mitglieder der Familie eingeladen, vor allem aber Jannis, Markus’ problematischen Sohn aus erster Ehe mit Silvie (Marina Galic). Die Familie will ihn durch eine vermeintlich sorgsam vorbereitete Intervention wieder auf den rechten Weg bringen.

Dass das Ganze den Bach runter geht, der tatsächliche Jannis gar nicht kommt und aus der Not heraus ein Food-Bote (Steffen Siegmund) dessen Rolle übernimmt, gehört zu den Gesetzen der Komödie.  Ebenso die brüchige Oberfläche: Das Grünkohlessen dient nur als Vorwand für die eigentliche Absicht des Abends, das gezielte Eingreifen in Jannis’ Leben. Die Familie bietet keine Geborgenheit, als Patchwork-Familie sind sich deren Mitglieder gleichgültig bis spinnefeind, Eltern haben sich von ihren Kindern entfremdet. Darin liegt viel Potential, allerdings bleiben die Verweise auf diese Hintergründe eher flach. Mehr Wert wird auf die Darstellung des Vordergründigen gelegt. Das gelingt zum Teil saukomisch. Marina Galics überspannte Silvie fällt hin und wieder über den Glastisch im Wohnzimmer, meist dann, wenn sie etwas vermeintlich Wichtiges beizutragen hat. Jens Harzers Markus ähnelt durch Kostüm und Frisur einer Figur von Charlie Chaplin. Als Gastgeber geriert er sich als Sprachwächter („‚Ungut’ ist Orwell-Style“), zeigt aber die eigene totale Überforderung (und letztlich auch Verzweiflung), wenn er sich in Stricken verheddert oder, als ihm der Abend über den Kopf wächst und er den Kram ganz hinschmeißen will, beim Verlassen des Hauses mit viel zu großem Gepäck am Türrahmen scheitert. 

Die Dialoge rücken Figuren und Situationen in die Nähe des Absurden.

Die Dialoge mäandern teilweise in Schleifen, bewegen sich nicht von der Stelle. Wer die Romane und den Humor von Regener kennt, weiß, dass er damit Figuren und Situationen charakterisiert und in die Nähe des Absurden rückt.  Wie hier eine Diskussion über Pinkel beim Grünkohl zum Beispiel. Oder – einzige Gemeinsamkeit in der Familie -das atemlose Verfolgen von Zahlen im Fernseher, deren Sinn nie geklärt wird. Für absurdes Theater, das in der Darstellung des Unheimlichen unseren Alltag widerspiegelt, reicht das allerdings nicht. „Du musst schon ein bisschen Humor mitbringen“, sagt Markus zu einem Gast. Stimmt, und man sollte sich auf Boulevard einstellen. Dann funktioniert der Abend.

https://thalia-theater.de/stueck/intervention–2022

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte

Bloßlegen/ Beleuchten von

  • Patchwork-Familie
  • Familiäre Beziehungen
  • Achtsamkeit bei Sprache und Problemlösung
Formale Schwerpunkte

Überzeichnung von

  • Figuren
  • Sprache
  • Situationen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 15/16 Jahre, ab Klasse 10
  • empfohlen für Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Die Eheleute Markus und Katja haben zum Grünkohlessen eingeladen. Jannis, der problematische und offenbar seit langem nicht mehr aufgetauchte Sohn von Markus und dessen Ex-Frau Silvie, liebt dieses Essen, er ist der Hauptgast und um ihn soll es an diesem Abend gehen. Die gesamte Patchwork-Familie bestehend aus Markus’ Schwester Gudrun und deren Mann Helge, Katjas Tochter Gwendolyn, Silvie, und Gisela, eine Freundin des Hauses, sind gekommen, um mit Jannis eine Intervention durchzuführen. Das Ziel ist, ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Nach und nach trudeln die Gäste ein, jeder hat etwas zum Thema Intervention oder Grünkohl beizutragen, die Spannungen innerhalb der Familie verschärfen sich und treten offen zu Tage. Nur Jannis erscheint nicht. Dafür kommt ein Food-Bote und sieht sich unversehens in der Lage, Jannis  zu ersetzen. Erfolgreich verläuft auch das nicht. Die Gäste gehen und Katja und Markus stehen wieder vor dem Anfang.

Mögliche VorbereitungeN

Gruppengespräch: Wann ist was komisch? Warum?

Über Referate oder In Gruppenarbeit:

  • Definition von Komödie
  • Definition von absurdem Theater

Charakterisierung von: 

  • Patchwork-Familie
  • Achtsamkeit 
  • Intervention
Speziell für den Theaterunterricht: 

Gruppengespräch: Komik – Wann ist etwas komisch? 

Übungen zu  Viewpoint Tempo 

Verabredung: Tempo 0 -5 (Freeze – Schnell)

Äußeres Tempo 

SL gibt Tempo vor

  • Spieler*innen steigern bzw verlangsamen das Tempo auf Impuls aus der Gruppe, inkl. Freeze
  • Jeder/Jede Spieler*in variiert für sich das Tempo inkl. Freeze

Zweiteilung der Gruppe

Inneres Tempo (über Gefühle/Zustände)

Spieler*innen bekommen Karten mit Gefühlen (Mimik)

  • Wählt ein äußeres Tempo, das zu eurem inneren Tempo passt
  • Wählt das entgegengesetzte äußere Tempo

Wechsel

Reflexion

Viewpoint zu FORM (= Haltung)
  • Spieler verteilen sich im Raum, neutrale Haltung, offener Blick geradeaus
  • SL gibt gemeinsames äußeres Tempo (0 – 5) vor, bei 0 freie Haltung einfrieren.
  • Diese Haltung in drei Ebenen ausführen, dabei darauf achten, dass nicht alle auf der gleichen Ebene sind.
Haltung proben (vgl. Status)
  • Haltung 1: aufrecht gehen, Kinn hoch, Blick hoch
  • Haltung 2: aufrecht gehen,  Blick geradeaus
  • Haltung 3: aufrecht gehen, Kopf und Blick leicht gesenkt
  • Haltung 4: gebückt gehen. Kopf und Blick tiefer gesenkt
  • Haltung 5: tief gebückt gehen, Kopf und Blick tief gesenkt

Gruppe teilen, Anweisungen von jew. zuschauender Gruppe:

Tempo 1 – 5, Haltung 1-5, bei Stopp: Freeze

Wechsel

  • Haltung mit Geraden oder Kurven

Haltung 1 mit Geraden im Körper/ mit Kurven usw. (auch hier Gruppen A und B)

obere Körperhälfte mit Geraden, untere mit Kurven > Ansagen, welche Körperseite bzw. -hälfte gerade, welche kurvig sein soll.

Stopp: Haltung einfrieren

Wechsel

Im Kreis: kurze Reflexion: Wie könnten diese Übungen zu Komik beitragen?

Lesen der Informationen zu den Elementen der Komik.

Elemente der Komik im Theater

Partielle Wahrnehmung 

Definition:  Die Zuschauer nehmen etwas wahr, was die betreffende Figur im Spiel nicht oder nur teilweise wahrnehmen kann.

Beispiele: 

Der letzte in der Reihe der Spieler verpasst regelmäßig den Stopp und läuft auf die Truppe auf, weil er seine Aufmerksamkeit aufs Publikum, den Fußboden,… gelenkt hat und dadurch das Stopp-Signal „verpennt“.

Eine Gruppe ist intensiv im Gespräch, ein Spieler kommt zu spät und versucht unbemerkt durch den Raum zu schleichen und sich unter die Gruppe zu mischen.

„Running Gag“

Definition: Eine Fehlleistung einer Figur wird durch mehrfache Wiederholung zum „Running Gag“, der bei den Zuschauern die Erwartung erzeugt, dass ein bestimmtes Ereignis immer wieder an dieser Stelle eintritt. Dadurch wird Vorfreude erzeugt und es gibt Lacher insbesondere auch dann, wenn das Ereignis einmal nicht eintritt.

Beispiel: Der Stolperer über den Tigerkopf in „Dinner for One“.

Vergrößerung/Überzeichnung/Übersteigerung

Definition: Durch vergrößerte Gesten, Wiederholung, Übersteigerung oder emotionale Geräusche wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf bestimmte Details geführt.

Beispiele: Ein Spieler/eine Spielerin versucht mehrfach seine/ihre Jacke anzuziehen, dabei werden seine/ihre Bewegungen von zunächst klein zu übertrieben groß gesteigert, bis es ihm/ihr schließlich gelingt.

Verzögerte Wahrnehmung 

Definition: Eine Figur nimmt eine sie betreffende Aktion oder ein Ereignis zunächst nicht wahr, erst nach einer Weile erfolgt eine durch (vielleicht überzeichnete!) Reaktion erkennbare Wahrnehmung.

Beispiele: Ein Warnruf oder eine Anweisung („Hilfe!“, „Feuer!“) werden erst nach mehrfacher Wiederholung gehört, vorher durchgeführte Handlung wird „ungerührt“ weitergeführt.

Eine Erzählung wird – trotz angestrengten Zuhörens – nicht verstanden.

Mechanisches Handeln 

Definition: Figuren handeln mechanisch, getaktet, mit gleichförmigen Bewegungen. Das kann den Eindruck von Selbstvergessenheit oder Zerstreutheit, ja Dummheit, hervorrufen.

Beispiel: Eine Gruppe geht im Gleichschritt, eine weiter Gruppe spricht dazu in monotonem Gleichklang, ein Trommler trommelt selbstvergessen einen Rhythmus – und hört auch dann nicht damit auf, wenn alle anderen längst still oder stehen geblieben sind. Er merkt nicht, dass auch er hätte aufhören müssen.

Eskalation 

Definition: Eskalationen entstehen durch ein sich steigerndes Tempo, strikte Abfolge von Aktion und Reaktion und zum Teil zunehmendes Einbeziehen von immer mehr Spieler*innenn aus, z. B. kommt es zum Kampf „Alle gegen Alle“.

Beispiel: Eine Situation (z.B. ein Streit) entsteht zwischen zwei Personen, eine dritte mischt sich ein, eine vierte usw. Dabei erhöht sich das Tempo.

Kostüm und Requisit – 

Definition: Kostüm und Requisit können dann komisch wirken, wenn sie eine Art Eigenleben entfalten und somit als Gegenspieler der Figur wirken.

Beispiele: Zu großer Mantel, rutschende Hose, zu große Schuhe…

Klappstuhl, der sich nicht aufbauen lassen will, renitenter Schirm…