Heimatmuseum

So um die 1000 Seiten je nach Ausgabe – das ist schon ein respektabler Umfang für einen Roman, der es auch noch auf die Bühne schaffen soll. Axel Schneider ist es jedoch gelungen, aus Siegfried Lenz’ „Heimatmuseum“ eine Fassung zu destillieren, die sich nicht in den mehrere Jahrzehnte und viele Personen umfassenden Handlungen verfranst. Konzentriert und klar erzählt er in seiner Uraufführung am Altonaer Theater anhand der Figur von Zygmunt Rogalla eine Geschichte über das, was Heimat bedeutet, und wie der Begriff für unterschiedliche Interessen missbraucht wird.

Ein russischer Offizier (Tobias Dürr) verbrennt ein altes Dokument aus dem Heimatmuseum (hinten v.l.: Markus Feustel, Anne Schieber) – Foto: G2 Baraniak

Die Kritik

„Sie begreifen mich nicht“, sagt der junge Mann direkt ins Publikum. Nur sein Gesicht ist beleuchtet, der Rest der Bühne ist dunkel. Ohne die Vergangenheit zu kennen, ergänzt er, würde niemand verstehen, was er getan hat. Am Ende erst wird man wissen, dass er das Heimatmuseum, das er nach der Vertreibung nach Norddeutschland gerettet hat, angezündet hat. Der junge Mann ist Zygmunt Rogalla (Markus Feustel), zentrale Figur in Axel Schneiders Bühnenfassung von Siegfried Lenz’ „Heimatmuseum“. Im Laufe des zweidreiviertelstündigen Abends (inklusive Pause) wird er seine Geschichte und die seiner Familie sowie der Bewohner des fiktiven Dorfes Lucknow in der Rückschau erzählen. Ein dem Roman entlehnter Kniff, den sich Schneider bei seiner Inszenierung zunutze macht. Nacheinander werden weitere Gestalten auf der Bühne in einen Lichtkegel getaucht (Licht: Corin Anderson, Jasper Giffey) und vorgestellt: der Vater (Ole Schloßhauer), die Mutter (Anne Schieber), Zymunts Freund Konrad, genannt „Conny“ (Jascha Schütz), die Teppichweberin Sonja Turk (Katrin Gerken), bei der er in die Lehre gehen wird,  und der Onkel Adam (Dirk Hoener), der Gründer des Heimatmuseums. Sie sind es, die Zygmunts Leben anfangs bestimmen und die sich den Erzählerpart – vor allem Conny – mit Zygmunt teilen. 

Das Publikum wird an die Hand genommen und sicher durch das Geschehen geführt.

Der Wechsel verschafft den anderen Figuren Raum für Spielszenen, so dass der Spannungsbogen gehalten werden kann. Gerade weil die Regie hier so geradlinig bleibt, wird das Publikum an die Hand genommen und sicher durch die Geschichte geführt. Schneider und seine Dramaturgin Stine Kegel finden dabei einen guten Rhythmus. Die anfänglichen harmlosen Alltagsszenen werden zunehmend überlagert von der drohenden Gefahr durch den Ersten und später den Zweiten Weltkrieg. Dabei werden die Figuren in den jeweiligen Situationen genau beobachtet und von dem Ensemble fantastisch gezeichnet: Dirk Hoener als Onkel Adam ist zunächst der begeisterte und die Russen überlistende Gründer des Heimatmuseums. Er will der Nachwelt zeigen: „So haben wir gelebt.“ Als er später das Gedächtnis verliert, steht er stumm und verloren am Bühnenrand und man ahnt, dass er auf Nimmerwiedersehen verschwinden wird. Hoener übernimmt dazu weitere Rollen, wie auch Ole Schloßhauer, der aber besonders als opportunistischer, jeweils mit den Mächtigsten heulender Lehrer Henseleit glänzt. Oder der wunderbare Tobias Dürr. In Windeseile kann er den verdrucksten Simon Goya spielen und ein Kostüm später ist er ein schneidender Polizisten oder ein dumpf Befehle ausführender russischer Soldaten. Pia Koch spielt die zunächst allzu quirlige Edith, die Zygmunt später heiratet, ist aber später mit eifrigen Trippelschritten Zymunts pragmatische zweite Frau Carola. 

Es braucht vielleicht nicht viel, um diese umfangreiche Geschichte zu erzählen.

Beeindruckend (nicht zuletzt durch das souverän ostpreußisch gefärbte Deutsch) spielt Katrin Gerken die im Dorf skeptisch angesehene Teppichweberin Sonja Turk als selbstsichere Frau, die sich durch nichts, nicht einmal durch den nahen Tod einschüchtern lässt. Die ostpreußische Klangfärbung hakt bei Anne Schieber noch ein wenig, dafür spielt sie Zygmunts Mutter mit warmer Herzlichkeit. Einmal mehr überzeugt der Schauspieler Jascha Schütz in der Rolle des Conny. Zunächst ein draufgängerischer Junge wird er zum politisch denkenden Redakteur, der sich kritisch mit dem Heimatbegriff auseinandersetzt und zornig gegen die Nazis rebelliert. Nach seiner Haft ist er still, irgendwie gebrochen und plötzlich einer, der dem Ex-Nazi Henseleit im wieder aufgebauten Heimatmuseum „eine zweite Chance“ geben will. Markus Feustel hält als Zymunt das Geschehen zusammen, mit ihm geht das Publikum durch die Zeiten, mit ihm erlebt es, wie politische Interessen das Heimatmuseum für sich beanspruchen wollen.  

Es braucht vielleicht nicht viel, um diese umfangreiche Geschichte zu erzählen. Die Bühne (Ricarda Lutz) ist mit drei schrägen Stufen und einem senkrecht stehenden überdimensional erscheinenden Webstuhl an deren Ende schlicht und multifunktional gehalten, Klappen im Bühnenboden ermöglichen das Abtauchen in unterirdische Kammern oder Gewölbe. Geräusche aus dem Off oder Musik (Leitung: Georg Münzel) leiten Orts- und Zeitenwechsel ein wie etwa das massive Auftreten der Nazis oder die Zugfahrt in den Westen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Es braucht nicht viel, nur eine gute Idee und ein tolles Ensemble. All das hat diese Inszenierung. Es lohnt sich, sie anzuschauen.

Weitere Informationen unter: https://www.altonaer-theater.de/programm/heimatmuseum/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Der Begriff „Heimat“ und dessen Auslegung zu unterschiedlichen Zeiten
  • Anpassung und Widerstand im Dritten Reich
  • Opportunismus
  • Vertreibung und Aufbau einer neuen Heimat 
  • Umgang mit der Vergangenheit
Formale SchwerpunKte
  • Schauspielende als wechselnde Erzählende
  • Dialogpartien eingeflochten in Erzählpassagen
  • multifunktionales, sparsames Bühnenbild
  • multifunktionale Requisiten
  • Sound zur Darstellung wechselnder Orte und Situationen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 16 Jahre, ab Klasse 10/11
  • empfohlen für den Geschichts-, Deutsch- und Theaterunterricht.
Zum Inhalt

Die Bühnenfassung von Axel Schneider konzentriert sich auf folgenden Inhalt:

Die Geschichte beginnt kurz vor dem ersten Weltkrieg. Zygmunt Rogalla lebt mit seinen Eltern in dem fiktiven Lucknow in Masuren der Vater ist Apotheker und experimentiert mit verschiedenen Medikamenten herum, die Mutter ist Hausfrau. Er befreundet sich mit Konrad Karrasch, genannt Conny, beide gehen in dieselbe Klasse bei Lehrer Henseleit. Beide Jungen, anfangs noch kriegsbegeistert, müssen mitansehen, wie Zymunts Vater in einen Granatenhagel gerät und stirbt. Zygmunts Onkel Adam hatte schon eine Weile Gegenstände gesammelt für ein sogenanntes Heimatmuseum, weil er bewahren will, wie sie gelebt haben. In Kriegszeiten wird dessen Bestehen schwierig, zumal ein russischer Offizier bestimmen will, was zu bewahren ist und was nicht. Die List des Onkels macht es allerdings möglich, die Erinnerungsstücke zu retten. Nach dem Krieg tritt Zygmunt eine Lehre als Teppichwirker bei Sonja Tuck an,  die Teppiche „gegen die Vergänglichkeit“ webt. Conny lernt Drucker bei einer Zeitung, ihre Wege trennen sich, ebenso ihre Ansichten, als sich Masuren entscheiden soll, ob es zu Deutschland oder Polen gehören möchte. Zygmunts Onkel, ausgerechnet einer, der gegen das Vergessen ansammelt, wird dement, verläuft sich und gilt bald als verschollen. Zygmunt übernimmt das Heimatmuseum und heiratet wenig später Connys Schwester Edith. Mittlerweile haben die Nazis die Regierung übernommen, Connys Redakteur und Mentor wird tot aufgefunden. Daraufhin beschließt Conny, selbst Bericht zu erstatten und Widerstand zu leisten. Zygmunt versucht neutral zu bleiben, sieht sich aber schon bald mit dem opportunistischen Henseleit konfrontiert, der dem Museum keine Fördergelder mehr bewilligen will, wenn nicht alles, was slawischen Ursprungs ist, aussortiert wird. Daraufhin schließt Zygmunt das Museum. Im zweiten Weltkrieg will Zygmunt das Museum neu eröffnen, gerät darüber aber in Streit mit Conny, für den Heimat nur noch eine Alibifunktion hat und der kritische Plakate an die Hauswände klebt. Kurz darauf wird er verhaftet und wird Zygmunt sechs Jahre lang nicht wiedersehen. Zygmunt und seine Familie müssen fliehen, es gelingt ihm sogar, Teile des Museums zu retten. Angekommen in Norddeutschland muss er feststellen, dass seine Frau Edith und der gemeinsame Sohn Paul nicht mitgekommen sind. Im Westen beginnt für ihn eine neue Zeit. Er heiratet erneut und eröffnet mit den geretteten Teilen das Heimatmuseum. Problematisch wird es jedoch, dass jetzt Heimatvertriebene, – unter ihnen der Opportunist Henseleit, der wieder eine führende Position eingenommen hat, – das Museum für ihre Zwecke beanspruchen und es als „Beweis der Treue für die verlorene Erde“ ansehen. Auch Conny hat sich durch die Haft verändert und ist ein gebrochener Mann geworden, der von seinen alten Idealen abgerückt ist und Leuten wie Hänselei „eine zweite Chance“ einräumen will. Zygmunt will das Heimatmuseum nicht durch Reaktionäre vereinnahmen lassen und legt Feuer. Damit lebt dessen Inhalt nur noch in seiner Erinnerung und kann nicht missbraucht werden.

Mögliche Vorbereitungen

Als vorbereitende Hausaufgabe oder Referat:

  • Siegfried Lenz: Heimatmuseum (Inhaltsangabe)
  • Recherche zum Begriff „Heimat“
Im Unterrichtsgespräch:

Was bedeutet für euch Heimat? In welchen Zusammenhängen tritt er auf?

Speziell für den Theaterunterricht
Übungen zum Thema Requisit
Einen Gegenstand weiterreichen

Alle stehen im Kreis. Spieler:in 1 denkt sich einen Gegenstand aus und reicht ihn an den/die nächste:n weiter. Dort verändert er sich und Spieler:in 2 reicht einen anderen, neu ausgedachten Gegenstand weiter usw.

Körperapparate

Alle verteilen sich im Raum, gehen zur Musik, achten auf peripheren Blick. Wenn die Spielleitung die Musik stoppt und einen Gegenstand nennt, versucht zunächst

a) jeder/jede Spielende, diesen Gegenstand mit dem Körper darzustellen. 

Mögliche Gegenstände sind: Ball, Schüssel, Stuhl, Baum

b) zu zweit den genannten Gegenstand darzustellen (Haus, Uhr, Auto)

c) zu dritt den genannten Gegenstand dazustellen (Tisch, Flugzeug, Kirche)

Bau einer Maschine

Alle Spielenden setzen sich in eine Reihe. Der erste stellt sich auf den freien Platz davor /auf die Bühne und beginnt ein rhythmisches Geräusch und eine entsprechende Bewegung zu machen, danach ergänzen die anderen der Reihe nach dieses Geräusch/ diese Bewegung, bis alle Spielenden eine Maschine ergeben. Danach gehen sie nacheinander wieder ab, bis der, der begonnen hat noch übrig bleibt.

Reflexion im Kreis: Was kann man an diesen Übungen erkennen? (z.B.: Phantasie spielt eine Rolle, Schaffung eigener Bilder; Verfremdung durch Körper; Gegenstände werden komisch…)

Statt des Körpers kann man auch einfache Requisiten benutzen.

Requisit als Metapher/ Zeichen

Alle sitzen im Kreis, in der Mitte liegt ein Tuch. Jeder, dem etwas einfällt, geht in die Mitte und  benutzt dieses Tuch (z.B. als Baby, Tischdecke usw.)

Kurze Reflexion: Welche Vorteile hat die Verwendung eines Requisits in dieser Form?

Gruppenarbeit

Teilung des Kurses in  vier Gruppen a 6 Leute.  Jede Gruppe bekommt eine Art von Requisiten: Gruppe 1: Seile; Gruppe 2: Koffer; Gruppe 3; Stühle, Gruppe 4: Stöcke

Aufgabe:

Erstellt eine Szene mit Anfang und Ende, bei der alle Spieler beteiligt sind und euer Requisit mindestens drei verschiedene Bedeutungen annimmt.

Präsentation und Feedback

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