Frommer Tanz

Keine leichte Zeit für junge Menschen. Die Welt spielt verrückt, die Gesellschaft ist im Umbruch, die Demokratie bedroht, und dann hat man auch noch genug mit sich selbst zu tun. Sucht nach Orientierung, nach Halt, sehnt sich nach Zugehörigkeit und Liebe. Basierend auf Klaus Manns „Der fromme Tanz“ von 1926 zeigt der junge Regisseur Ran Chai Bar-zvi mit „Frommer Tanz“, wie aktuell dieser Entwicklungsroman gerade heute ist. Zu seiner scharfsichtig-sensiblen Uraufführung im Thalia in der Gaußstrasse. 

Frommer Tanz, Szene mi Anna Maria Köllner (Barbara), Julian Greis (Andreas), Olympia Bukkakis (Paulchen), Lisa-Maria Sommerfeld (Franziska) – Foto: Isabel Machado Rios

Die Kritik

Leere. Weit, schwarz und ohne Orientierungspunkte offenbart sich die Bühne im Thalia in der Gaußstraße. So muss Andreas (vielschichtig, emphatisch und durchweg großartig: Julian Greis) empfinden, als er von der Seite her in das Esszimmer tritt, das mit wenigen Stühlen, einem Tisch und einem weißen Vorhang in der linken Ecke mehr Skizze als Raum ist. Schwarze Hose, weißes Hemd und ein über den Schultern geknoteter Pullover (Kostüm: Marilena Büld) weisen ihn klar als Sohn einer großbürgerlichen Familie aus. So wie es der neunzehnjährige Klaus Mann war. Als ältester Sohn des berühmten Schriftstellers ist er zu Hause umgeben von Intellektuellen, fühlt sich nicht richtig gesehen und flieht in das schrille Berlin. Dort erlebt er sein Coming-out, reist seiner Liebe über Köln und Hamburg nach Paris hinterher, immer auf der Suche nach Halt und Orientierung. In seinem ersten, autobiografisch geprägten Roman mit dem Untertitel „Das Abenteuerbuch einer Jugend“ verarbeitet Mann diese Erlebnisse. 

„Run away, turn away, run away, turn away“

Ran Chai Bar-zvis Inszenierung greift diesen Aspekt zu Anfang auf, wenn Julian Greis als Andreas von dem „Leben, wie ich es damals kannte und verstand“ spricht  und somit das Folgende als reflektierte Rückschau einordnet. Mitten in seine Gedanken platzt eine bunte Gesellschaft aus Familie, Braut und Künstlern hinein, um den Geburtstag des Vaters zu feiern. Das Bürgerliche ist hier nur Maskerade, wie die angeklebten Bärte verraten. Tatsächlich ordnen die Kostüme die Figuren eher der Bohème oder einem schrillen Partyvolk zu. Andreas passt nicht hinein. Er probiert ihre Haltungen, ihre Gesten, aber er scheitert. „Ich bin so müde“, sagt er. „Wozu noch weiter?“ Doch als er sich ins Wasser stürzen will, erkennt er das Blau des Himmels und schöpft neue Kraft. Aus dem Off erklingt im Loop „Run away, turn away“ aus dem Song „Smalltown Boy von Bronski Beat (Musik: Evelyn Taylor), und Andreas rennt los. Rennt zu einem Schrank am hinteren Ende der Bühne, öffnet ihn und heraus quillt eine silberne Masse. 

Sie sind genauso Suchende, Verlorene und Einsame wie Andreas selbst.

An dieser Stelle muss unbedingt auf den Lichteinsatz und die Gestaltung des Bühnenbildes von Ran Chai Bar-zvi hingewiesen werden. Schnell sind Esszimmer und Vorhang zur Seite geschoben, auf der nunmehr gähnend schwarzen Fläche glitzert jetzt verheißungsvoll dieser silberne, aus einzelnen Streifen bestehende Teppich. Seine an herunterfahrenden Zügen befestigten Enden ergeben bald einen mehrschichtigen, durchlässigen Tempel – das schrille, nachtaktive Berlin. Hier begegnet Andreas Franziska (Selbstbewusstsein demonstrierend: Lisa-Maria Sommerfeld), Barbara (ihre Traurigkeit hinter Trotz verbergend: Anna Maria Köllner), Paulchen (anrührend: Olympia Bukkakis) und Niels (sehr lässig: Patrick Bimazubute). Nett sind sie zu ihm und tun so, als seien sie total cool mit sich und der Großstadt. Tatsächlich aber sind es genauso Suchende, Verlorene und Einsame wie Andreas selbst. Niels verdeckt das damit, dass er Kurz-Verhältnisse anfängt, egal ob mit Mann oder Frau. Andreas tut das weh, denn er verliebt sich in ihn und reist ihm über Köln, Hamburg nach Paris hinterher. Vor den Glitzertempel hat sich ein Vorhang geschoben, auf den die rollenden Räder eines Zuges projiziert werden (Video: Pata Popov), und vor dem Andreas von seinen Eindrücken erzählt. Vergeblich sucht er Niels, bis er schließlich nach Paris kommt. Der Vorhang fällt und im Schwarz der Bühne ist im beleuchteten Tunnel aus Nebel schemenhaft Niels zu erkennen. Gleichgültig und unerreichbar für Andreas. Der aber gibt nicht auf, obwohl er ahnt, dass vielleicht alles – die Gesellschaft, die Welt überhaupt – demnächst in den Abgrund stürzen wird. Und dennoch: „Ich glaube an die Welt“ – schreibt er an seine Braut. Das Pfeifen im Wald oder seine feste Überzeugung?

Ein fantastischer, berührender, unbedingt sehenswerter Abend!

Weitere Informationen unter: thalia-theater.de/de/stuecke/frommer-tanz/166

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Unverstandensein der Jugend
  • Suche nach Halt und Orientierung
  • Sehnsucht nach Liebe
  • Vereinsamung
  • Coming-out
Formale SchwerpunKte
  • Licht zur Darstellung von Räumen und Stimmungen
  • Einsatz von Live gesungenen Songs
  • Übernahme von Erzählpassagen durch einzelne Figuren
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • Ab 15/16 Jahre, ab Klasse 10
  • Empfohlen für den Deutsch-, Kunst- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Andreas wächst in einem großbürgerlichen Haushalt unter Intellektuellen auf, fühlt sich nicht recht verstanden und flieht in die Großstadt Berlin. Im schrillen Nachtleben der Metropole lernt er andere junge Leute kennen, die sich letztlich ebenso einsam und verloren fühlen wie er selbst. Er entdeckt seine Homosexualität, verliebt sich in Niels und reist ihm nach Paris hinterher. Dort muss er erkennen, dass seine Liebe nicht in gleichem Maße erwidert wird. Anders als seine Berliner Freund:innen weiß er, dass er immer wieder nach Hause zurückkehren kann, aber er will erst einmal reisen und die Welt erleben.

Mögliche Vorbereitungen

Recherche zu

  • Klaus Mann: Ein frommer Tanz (Lektüre oder Inhaltsangabe)
  • Klaus Mann (Biografie)
  • Homosexualität in der Gesellschaft von den1920er Jahren bis heute
  • Umgang mit der LGBTQ-Bewegung in Europa, den USA und den osteuropäischen Ländern

 

Im Unterrichtsgespräch:

Besprechung der Recherche-Ergebnisse

Speziell für den Theaterunterricht
Der Einzelne und die Anderen
Defekt 

Alle gehen zunächst im neutralen Gang durch den Raum, suchen sich dann einen Körperteil, von dem sich der Gang bestimmen lässt (Finger, Knie, Bauch o.ä.), probieren verschiedene Möglichkeiten aus und entscheiden sich für eine., den sog. „Defekt“.

Zur Musik (z.B. Charles Ives: The Unanswered Question): Gruppe stellt sich in einer Reihe auf, ein:e S geht langsam mit seinem „Defekt“ vorbei. Die Reihe bekommt von der Spielleitung  verschiedene Anweisungen pro vorbeigehende:n Spieler:in: z.B.: wie bei einer La Ola-Welle nacheinander mit ausgestrecktem Arm auf den/die  Spieler:in zeigen, die Hände vors Gesicht schlagen, mit rundem Mund, runden Augen staunen, die Hände auf dem Kopf zusammenschlagen, sich wegdrehen, mit den Schultern zucken und Zähne grinsen lassen, mit den Schultern zucken und dabei die Augen mit Händen bedecken). Wichtig: Eine:r nach dem/der anderen vollzieht die jeweilige Bewegung und hält sie, bis der/die Spieler:in ans Ende der Reihe gelangt ist. Dann folgt der /die nächste usw. 

Immer 3-4 S sollten zuschauen, um die Wirkung zu beschreiben.

„Welt“

Die Spielleitung teilt den Kurs in Fünfergruppen ein.

Aufgabe:
  • Sucht euch ein gemeinsames Thema (z.B. Trauer, Freude, Verliebtsein, Macht, Suche nach dem Ich usw)
  • Findet dazu als Gruppe eine gemeinsame Bewegung, eine gemeinsame Geste und evtl einen gemeinsamen Laut oder ein gemeinsames Wort.
  • Dann wird ein Spieler/ eine Spielerin ausgewählt. Er/Sie improvisiert  eine eigene kleine Szene zu dem Thema aus wenigen klaren Bewegungen, Gesten, Mimik, Laute, evtl. auch  ein bis zwei Worten eine kleine Szene zu dem von der Gruppe gewählten Thema Zustand und präsentiert sie den anderen.  Damit zeigt er/sie zeigt seine „Welt“
  • Die anderen vier Gruppenmitglieder beobachten ihn/sie genau. 
  • Dann  sucht sich jeder der vier Beobachter aus dem Vorgespielten den Laut, die Bewegung, die Geste usw aus, der für ihn am deutlichsten/ sinnvollsten ist und ahmt ihn nach
  • Diese Nachahmung wiederholen die vier Beobachter ein paar Mal. 
  • Jetzt nimmt jeder Einzelne der vier Beobachter die  nachgeahmte Geste/ Bewegung usw.  als Ausgangspunkt für eine jeweils eigene kleine Szene mit eigenen Bewegungen/ Lauten/ Gesten usw, . D.h. Jeder der Beobachtenden baut auf der nachgeahmten Geste/Bewegung/ Laut usw. seine eigene kleine Szene auf.
  • Probt jetzt die Szene mehrfach mit der anfänglichen Gruppenszene und den Einzelszenen.

Gegenseitige Präsentation und Feedback

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