Cyrano de Bergerac

Was sagt äußere Schönheit über einen Menschen aus? Richtig. Nichts. Intelligenz dagegen kann sehr sexy sein, auch wenn sie in einem nicht so attraktiven Körper steckt. Zu Harald Weilers Inszenierung mit einem starken Ensemble und einem überragenden Boris Aljinovic am Ernst Deutsch Theater. 

Christian (Leander Lichti, li) holt sich Rat bei Cyrano (Boris Aljinovic) –
Foto: Oliver Fantitsch

Die Kritik

User von Dating-Apps mögen entsprechende Erfahrungen gemacht haben: Die Person auf den Fotos sieht fantastisch aus, und beim ersten Treffen ist das immer noch so. Also alles bestens. Doch sobald es zu Gesprächen jenseits der Oberfläche kommt, wird es schwierig. Komplexe Gedanken? Nicht so ihre Sache. Wortgewandtheit? Erst recht nicht. Ernüchterung stellt sich ein, das Verliebtsein endet. So ähnlich muss es Roxane aus Edmond Rostands „Cyrano de Bergerac“ gegangen sein. Die allseits Umschwärmte verliebt sich in Christian, einen blendend aussehenden jungen Mann, empfindet ihn in Gesprächen aber relativ hölzern. Was umso verwunderlicher ist, als seine Briefe vor Poesie und gedanklicher Tiefe nur so strotzen. Der Grund dafür ist simpel. Christian schreibt die Briefe nicht selbst, Cyrano, ein bekannter Dichter und Denker, verfasst sie an seiner Stelle. Dass sie so besonders innig und gefühlvoll gelingen, liegt daran, dass Cyrano Roxane schon sehr lange liebt. Aussichtslos allerdings, denn wegen seiner großen Nase empfindet er sich als hässlich und rechnet sich bei Frauen keine Chancen aus.

Gefochten wird nicht mit dem Degen, sondern mit Worten und Reimen wie im Battle-Rap.

Rostands 1897 in Paris uraufgeführte Komödie – 1913 wurde bereits die tausendste (!) Vorstellung gegeben – erfreut sich bis heute uneingeschränkter Beliebtheit, auch unter den Autorenkolleg:innen. Der englische Dramatiker Martin Crimp („Angriffe auf Anne“, „Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“) hat eine freie Version von Rostands Original geschaffen, die vor vier Jahren in London uraufgeführt wurde und jetzt in der Regie von Harald Weiler am Ernst Deutsch Theater zu sehen ist. Crimp behält den Handlungsbogen bei, verschränkt aber die Gegenwart mit Elementen aus dem 17. Jahrhundert, der Zeit, in der das Stück spielt (Kleiner Hinweis: Cyrano de Bergerac gab es tatsächlich. Er lebte als Schriftsteller von 1619 – 1655).  Es gibt das Literaturcafé, geführt von der Dozentin Leila Ragueneau  (Julia Wenden), Roxane (Lina Hoppe)  ist Studentin, Cyrano (Boris Aljinovic) nicht nur Dozent, sondern auch Theaterdirektor,  aber es gibt auch den Stellungskrieg, in den Christian (Leander Licht) einberufen wird. In der deutschen Fassung von Ulrich Blumenbach und Nils Tabert spricht man einerseits in Reimen, andererseits in deftiger Umgangssprache („Wer ficken kann, kann auch fechten.“). Gefochten wird nicht mit dem Degen, sondern mit Worten und Reimen wie im Battle-Rap. Die Figuren tragen Lederjacken, elegante Röcke oder wie Cyrano Existenzialisten-Schwarz (Kostüme: Lili Wanner).  Die Bühne (Nadin Schumacher) mit dunkler Erde und schräg gestellter Mauer zeigt einen nicht definierten, jede Fantasie freisetzenden Ort. 

Weilers Inszenierung ist unverkrampft, weiß komische Situationen auf den Punkt zu bringen und bleibt nah an den Figuren.

Noch bevor es losgeht, schleppen die Schauspieler:innen Stühle heran, um eine anstehende „Hamlet“-Vorstellung zu sehen, unterhalten sich dabei und erst dann geht das Licht aus. Beinahe beiläufig wirkt das, lässig irgendwie, wie auch die gesamten zweienhalb Stunden, die dieser Abend dauert. Weilers Inszenierung ist unverkrampft, weiß komische Situationen auf den Punkt zu bringen und bleibt nah an den Figuren. Dafür steht ihm ein ausgezeichnetes Ensemble zur Verfügung. Da ist Lina Hoppes Roxane als schnippische Studentin, die etwas mehr Tiefe erwartet von dem durchtrainierten Christian. Leander Lichti verrät ihn nicht an einen hirnlosen Athleten, er bewundert Intellektuelle, weiß aber, dass er selbst einfach nicht dazugehört. Überragend ist Boris Aljinovic als Cyrano. Selbstsicher bis zur nervtötenden Arroganz macht er den talentlosen Hamlet-Darsteller (Rune Jürgensen) nieder. Seine Schritte sind raumgreifend, die Sprache, auch die gebundene, gehört ihm. Er kann es sich leisten, sie ohne hohen Ton zu deklamieren. Seine Sicherheit fällt zusammen, wenn er an Roxane und die unerfüllte Liebe zu ihr denkt. Wie durchsichtig wirkt er dann, zart und unendlich traurig. Aljinovics Cyrano zeigt alle Facetten eines Menschen, bei dem innere Schönheit mit dem Äußeren im Widerspruch steht. Ein unbedingt sehenswerter Abend!

Weitere Informationen unter: https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/veranstaltung/cyrano-de-bergerac-333

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • der Wert von Bildung 
  • der Wert von Sprachgewandtheit
  • die Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von eigenen Äußerlichkeiten
Formale Schwerpunkte
  • Stühle für Schauspieler:innen auf der Bühne  (z.T. mit Kostümen)
  • alle Schauspieler:innen meist wie Zuschauer:innen auf der Bühne 
  • Rollenwechsel durch Kostümwechsel, sichtbar für Publikum
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 15/16 Jahre, ab Klasse 10/11
  • für Französisch-, Deutsch- und Theaterunterricht 
Zum Inhalt

Martin Crimp hat eine freie Version nach Edmond Rostands Original geschrieben. Darin ist Cyrano „der durchgeknallte Großmeister von spoken word“. Ein Intellektueller mit bissigem, scharfen Wortwitz, der jeden Battle-Rap problemlos gewinnt. Sich körperlich mit anderen zu messen käme ihm nicht in den Sinn. Erstens wäre ihm das zu primitiv und zweitens hat er auf diesem Gebiet durchaus Defizite. Jedenfalls empfindet er sich als hässlich und ungenügend hinsichtlich seines Äußeren. Sein Hauptproblem ist seine große Nase, die in seiner Wahrnehmung ungefähr dreimal so groß wie in Wirklichkeit ist. Das macht den sonst so arrogant auftretenden Dozenten für Literatur und Theaterleiter so unsicher, dass er sich gar nicht erst traut, Roxane seine Liebe zu gestehen. Die ist eine von vielen angehimmelte Studentin, die Cyrano durchaus freundschaftlich verbunden, aber ganz offenbar nicht verliebt in ihn ist. Sie ist dagegen total verknallt in den durchtrainierten Christian, der zwar Gewichte stemmen kann, sich aber beim Verfassen komplexerer oder gar poetischer Texte eher schwer tut. Auf die aber steht Roxane und bittet Christian, ihr entsprechende Briefe zu schreiben. In seiner Not wendet sich Christian an Cyrano. Der hilft ihm aus der Patsche, indem er ihm seine bereits vorgefertigten Briefe an Roxane überlässt und weitere schreibt, in die er seine ganze Sehnsucht gießt. Roxane wundert sich allerdings über die Diskrepanz zwischen der Wortgewalt in den Briefen und der eher hölzernen Sprache, die Christian im Gespräch verwendet. Erst sehr spät erkennt sie den wahren Autor.

Mögliche VorbereitungeN
Über Referate, in Gruppenarbeit oder als vorbereitende Hausaufgabe:
  • Wer war der historische Cyrano de Bergerac?
  • Edmond Rostand: Cyrano de Bergerac (Inhalt)
  • Die Bedeutung von Rostands „Cyrano de Bergerac“ innerhalb der französischen Literatur
  • Martin Crimp – seine wichtigsten Dramen.
Im Unterrichtsgespräch:
  • Vergleich der literarischen mit der historischen Figur
  • Überlegungen, warum „Cyrano“ bis heute immer wieder gespielt wird.
Speziell für den Theaterunterricht

Cyrano fühlt sich hässlich und von anderen wegen seines Äußeren beobachtet.

Für die Übung sollten zwei Spieler:innen als Zuschauer:innen herausgenommen werden. Wichtig ist hier die Verwendung von Musik, zu der die Person mit dem „Defekt“ an der Reihe vorbei gehen kann (z.B. Arvo Part: Für Alina, Lou Reed: Perfect Day o.ä.)

„Defekt“

Die Gruppe geht durch den Raum. Die Spielleitung sagt an, dass jede:r sich von einem Körperteil (z.B. Nase, Knie, Kinn o.ä.) führen lassen und verschiedene Möglichkeiten ausprobieren soll. Wenn jede:r sich für eine Möglichkeit, einen „Defekt“, entschieden hat, stellt sich die Gruppe auf Ansage der Spielleitung als Reihe auf. Im Abstand von ungefähr einem Meter geht jetzt der/die erste Spieler:in mit dem ausgewählten Defekt langsam (!) an der Reihe vorbei. Dabei reagiert Reihe (einer nach dem anderen, wie Domino) auf die vorbeigehende Person und verfolgt sie, bis diese das Ende der Reihe erreicht und sich eingereiht hat. Es folgt die nächste Person vom Anfang der Reihe mit ihrem Defekt usw. Die Spielleitung gibt die Reaktion der Reihe vor:  

  • mit dem Finger bei gestrecktem Arm  auf die Person zeigen
  • die Hände vor die Augen schlagen
  • sich wegdrehen über links 
  • mit Schultern zucken und Zähne grinsen  
  • mit den Schultern zucken und Hände vor die Augen schlagen 
  • auf die Knie gehen und lautlos applaudieren 
  • die Arme zum Jubel hochreißen 
  • immer paarweise die Köpfe zusammenstecken und mit der Hand den Mund abschirmen u.ä.

Cyrano ist als Intellektueller unangefochten, er gilt anderen als überlegen.

A-Status und B-Status sind Begriffe aus dem Improvisationstheater von Keith Johnstone. Der Status zeigt sich äußerlich an der Körperhaltung

Beschreibung:

A-Status/ Hochstatus: herrschend; Körperhaltung groß, stark; herrisch, von oben herab, macht sich breit, nimmt viel Raum ein, beansprucht Platz in Breite und Höhe, spricht viel, nimmt an man hört gerne zu, spricht laut, spricht langsam und sorgfältig, Leute werden warten und zuhören, fummelt nicht herum, hält Blickkontakt, geht wohin sie will, andere müssen aus dem Weg gehen; geht nahe an andere heran, Selbstvertrauen, bewegt sich langsam, wohlüberlegt; Körperspannung; ist unnahbar; strahlt aus: komm mir nicht so nahe 

B-Status/ Tiefstatus: gesenkter Kopf, an Klamotten ziehen; Trippelschritte; klein machen, langsam; hektisch, schüchtern; sitzt auf Stuhlkante, will keinen Platz beanspruchen, spricht schnell, nicht sehr laut, Reihe von ohs oder ähs, weil unsicher, verzieht nervös das Gesicht; Übersprungshandlungen; keine Spannung, zusammengefallen; strahlt aus: ich tue niemandem etwas 

Begriff von Keith Johnstone; Improvisationstheater, hat Begriff entwickelt; hat nichts mit sozialer Position zu tun; muss nicht mit Wertung verbunden sein; A-Status muss nichts Besseres sein; z.B. im engen Flur muss einer in B-Status gehen und sich klein machen, damit man aneinander vorbeikommt. 

Körperhaltungen probieren


Die Gruppe steht im Kreis, schulterbreiter Stand, Hände in die Hüften, Kinn nach oben > Macht
Beine übereinander gestellt, Kopf schräg > Unsicherheit
Am T-Shirt zupfen, von unten jdn. ansehen > Unterwürfigkeit, Unsicherheit 

Kontraste

(zwei Zuschauer:innen auswählen)

Die Gruppe geht in Tempo 4 (wenn 5 das schnellste ist) zielgerichtet durch den Raum. Ein:e Spieler:in wird ausgewählt, die in Tempo 2 mit raumgreifenden Schritten, erhobenen Hauptes und um sich schauend ebenfalls durch den Raum geht. 

Variation

Die Gruppe geht kichernd, gebeugt und an der Kleidung zupfend durch den Raum. Ein:e Spieler:in geht langsam in die Mitte, stellt sich schulterbreit hin, Schultern gerade, ruhiger Blick durch den Raum

Besprechung der Wirkung

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