Bernarda herrscht in ihrem Haus wie eine Tyrannin. Unterdrückung und Gewalt kennzeichnen den Umgang mit ihren Töchtern und doch wird sie letztlich scheitern, wie Alice Birchs Bearbeitung von Federico García Lorcas „Bernarda Albas Haus“ zeigt. Zu Katie Mitchells beeindruckender Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus.
Die Kritik
Die Musik lässt nichts Gutes ahnen. Finster grollend grundiert und intensiviert sie die Atmosphäre im Haus von Bernarda von Beginn an (Komposition: Paul Clark, Melanie Wilson. Letztere zeichnet auch für das Sound Design verantwortlich). Hier herrschen Gewalt und Unterdrückung, ausgeübt von einer Mutter, die die vollkommene Herrschaft über ihre fünf erwachsenen Töchter beansprucht.
1936 mit Beginn der rechtsgerichteten Diktatur Francos schrieb Federico García Lorca den Drei-Akter „Bernarda Albas Haus“, kurz nach dessen Vollendung wurde er von den Faschisten erschossen. Wer wollte, konnte in diesem Drama das Bild einer Diktatur mit grausamen Auswirkungen und den damit verbundenen Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit wiederfinden. Es beschreibt eine Mutter, die nach dem Tod ihres Mannes ihren Töchtern acht Jahre Trauerzeit. verordnet. Jede Art von Freude oder Lust wird verboten, eine Ehe nur arrangiert, um die scheinmoralische Fassade zu wahren.
Es mag zunächst verwundern, warum das Hamburger Schauspielhaus jetzt ausgerechnet ein Stück mit dieser Thematik auf die Bühne bringt. Die gewaltsame Unterdrückung von Frauen scheint in unserer Gesellschaft nicht so stark auf den Nägeln zu brennen wie beispielsweise im Iran oder Afghanistan. Die Bearbeitung des Dramas von Alice Birch in Katie Mitchells Inszenierung öffnet allerdings den Blick auf die Unfreiheit von Frauen auch in westlichen Gesellschaften (Man denke nur an die Abtreibungsdebatte in den USA.) Es geht aber auch viel allgemeiner um die Abschottung vor allem Fremden, um die Angst vor Gesichtsverlust, um das Festklammern an einem orthodoxen Glauben auf der einen und um die Sehnsucht nach Freiheit, Lebenslust und Selbstbestimmung auf der anderen Seite.
Niemand sagt ein Wort, der bedrohliche Sound gibt den Grundton für das Kommende vor.
Mitchells an Film erinnernde Regie zeigt das Fiebrige, Unheilvolle in Bernardas Haus durch parallel ablaufende Szenen in den verschiedenen Zimmern und durch Zeitlupensequenzen, die jeweils in ihrer Akkuratesse und Genauigkeit eine extra Würdigung verdient haben (Coaching Sprache/Musik: Catharina Boutari; Choreographisches Training: Valentí Rocamora i Torà). Die oberen Zimmer der Töchter sind hell erleuchtet, kein Licht dagegen im Erdgeschoss mit Esszimmer und Küche, dunkel ist es auch neben dem Haus, wo ein hoher Zaun jeden Weg nach außen verhindert (Bühne: Alex Eales). Niemand sagt ein Wort, der bedrohliche Sound gibt den Grundton für das Kommende vor. Bernarda (Julia Wieninger) steigt die Treppe zu den Töchtern empor, löscht in jedem Zimmer das Licht und macht klar: Sie hat das Sagen, eine Widerrede gibt es nicht. Wieningers Bernarda ist eine Furie mit raumgreifenden Schritten und manchmal überschnappender Stimme, die beweist, wieviel Kraft sie diese diktatorische Autorität kostet. Denn natürlich spürt sie den heimlichen Widerstand bei den Töchtern und bei der eigenen Mutter. Bettina Stucky spielt diese vielleicht demente, in jedem Fall aber in einer Parallelwelt lebenden Frau mit Humor und Würde. Sie probiert Hochzeitskleider an und hebt sich damit von den schwarzen Kleidern der anderen Familienmitglieder (Kostüme: Sussie Juhlin-Wallén) ab. Sie schwadroniert etwas von einem jungen Mann, den sie heiraten und mit dem sie ans Meer ziehen will. Damit setzt sie sich außerhalb des Regimes von Bernarda, ist für sie nicht bezwingbar. Ähnliche Ausbruchsideen hat Adele (Linn Reusse). Sie liebt Peter (Joël Schnabel), den einzigen Mann weit und breit, trifft ihn heimlich nachts am Zaun, hat Sex mit ihm. „Ich gehöre dir nicht!“, faucht sie ihrer Mutter entgegen. Sie will selbstbestimmt leben und mit Peter fort ziehen. Für Bernarda bedeutet das Revolte. Ihr Plan ist, dass Peter Angustias (Eva Maria Nikolaus) heiraten soll, um den Missbrauch ihres Mannes an dieser Tochter zu kaschieren. Aber Bernarda „möchte den perfekten Eindruck einer harmonischen Familie“, und was dieses Bild stört, wird vernichtet. Doch dieses Regime hat keine Zukunft. Nachdem sich Adele das Leben genommen und Angustias das Haus verlassen hat, tötet Bernarda ihre Töchter und sich selbst mit einer Pille wie 1945 Magda Goebbels, als mit dem Krieg auch der Faschismus endete. Kollektiver Selbstmord als Eingeständnis des Scheiterns. Aber sind damit Tyrannei und Gewalt besiegt? Aufgewühlt verlässt man nach diesem sehenswerten 90minütigen Abend das Theater.
Weitere Informationen unter: https://schauspielhaus.de/stuecke/bernarda-albas-haus
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Unterdrückung und Gewalt
- Kaschieren von Missständen
- Wahrung einer Scheinmoral
- Sehnsucht nach Freiheit und Lebensfreude
Formale SchwerpunKte
- Parallel ablaufende Szenen
- Timing von Sprache und Musik
- Einsetzen von Zeitlupensequenzen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- ab 16 Jahre, ab Klasse 11
- empfohlen (unbedingt nach Vorbereitung!) für den Deutsch- und Theaterunterricht.
Zum Inhalt
Die Bearbeitung von Alice Birch setzt andere Schwerpunkte und einen anderen Schluss als Lorcas Original. Die Figuren tragen teilweise andere Namen.
Bernarda Alba führt ein strenges Regime und sie hasst Männer. Ihre fünf erwachsenen Töchter müssen abgeschottet von der Welt in ihrem Haus leben, jegliche Freude und Lebenslust ist ihnen versagt. Das hat seine Gründe: Zum einen ist die unverheiratete Tochter einer Nachbarin schwanger, was eine Schande ist, und dann ist da vor allem Angustias, die Tochter aus einer früheren Beziehung Bernardas (oder einer Vergewaltigung?). Sie ist von Bernardas Mann missbraucht und nach seinem Tod mit einem stattlichen Erbe quasi als Schweigegeld ausgestattet worden. Männer sind für Bernarda seitdem Feinde, die keiner ihrer Töchter zu nahe kommen dürfen. Angustias’ Schande, – denn offenbar hat sie ihre Jungfräulichkeit durch den Missbrauch verloren -, soll durch eine arrangierte Ehe mit Peter kaschiert werden. Peter hat zwar eingewilligt eventuell nicht zuletzt wegen Angustias’ Geldes, liebt aber in Wirklichkeit Adele, eine junge, schöne Tochter Bernardas. Beide treffen sich nachts heimlich am Zaun und haben Sex miteinander. Als eine Schwester Adele verpetzt, wird Bernarda zornig und versucht Peter zu erschießen. Tatsächlich kann er entkommen, allerdings erzählt Bernada zu Hause, dass er gestorben ist. Aus Verzweiflung schneidet sich Adele die Pulsadern auf, und auch Angustias, die sich in der Ehe mit Peter zumindest ein Entkommen aus Bernards Haus erhofft hat, ist verzweifelt. Bernarda sieht, dass ihr die Zügel entgleiten, zumal auch ihre verwirrte Mutter schon lange nicht mehr auf ihr Kommando hört und fröhlich Freiheitsgedanken in die Runde posaunt, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Als Bernarda als heimliches Eingeständnis ihres Scheiterns an alle Kinder Zyankali-Pillen verteilt, schleicht sich Angustias aus dem Haus, während ihre Mutter und ihre Schwestern nach Einnahme der Pille sterben.
Mögliche Vorbereitungen
- Recherche zu Federico Garcí Lorcas Leben und Werk
- Lektüre oder Inhalt von „Bernarda Albas Haus“
- Recherche zur Situation der Frau im Iran, Afghanistan, Indien usw.
- Recherche zu den Möglichkeiten der Selbstbestimmung von Frauen in der westlichen Welt
Im Unterrichtsgespräch:
Auswertung der Recherchen und Diskussion über die Rechte der Frauen.
Speziell für den Theaterunterricht
Im Zusammenhang mit der Figur Bernardas und ihrer Töchter können Übungen zum Status sowie zur Darstellung von Gegensätzen als Vorbereitung dienen.
Übung zum Status
Teilung der Gruppe in A und B , Gruppe A beginnt, B schaut zu. Danach Wechsel.
Raumlauf zu Körperhaltungen
- locker, ohne Spannung. Wenn du jemanden triffst, weiche aus, blicke auf den Boden
- Hebe ab und zu den Blick, wenn du jemanden siehst, blicke sofort zu Boden
- Bleib stehen, nimm möglichst wenig Platz ein.
- Du bist unruhig, kannst nicht still stehen, ziehst an deinem T-Shirt, greifst dir in die Haare, lachst
- Tempo 3, Spannung 3, Hebe den Kopf, blicke geradeaus,
- Wenn du jemanden triffst, sieh nicht weg, fixiere ihn. Weiche niemandem aus.
- Bewege dich ruhig, gehe so, als ob dir der gesamte Raum gehört.
- Bleib stehen, beide Beine fest auf dem Boden, blicke ruhig um dich, die Arme hängen, du brauchst sie gerade nicht. (5’)
Wechsel.
Im Kreis: Beobachtungen besprechen: Wann wirken Leute unsicher? Wann sicher?
Übungen zu Gegensätzen
Die Spielleitung nimmt zwei Beobachtende raus.
- Der Rest der Gruppe geht durch den Raum in Zeitlupe. Eine von der Spielleitung ausgewählte Person geht in Tempo 5 schnell und zügig.
- Die Gruppe geht mit gesenktem Kopf und unsicher an sich zupfend durch den Raum. Eine Person geht mit erhobenem Kopf und raumgreifenden Schritten.
Erstellen einer Szene
Die Spielleitung teilt die Gruppe in Achter-Gruppen ein.
Aufgabe:
Erstellt zu nachstehendem Auszug (aus dem I. Akt von „Bernarda Albas Haus“ eine Szene, in der ihr Gegensätze einsetzt und den Status durch Haltung und Gestik deutlich macht.
- Gestaltet die Szene zunächst nur über Standbilder, die die Haltung der jeweiligen Figur deutlich machen. Achtet darauf, dass ihr dabei jede Replik berücksichtigt.
- Geht von einem zum nächsten Bild über, indem ihr langsam die Position ändert ( wie auf „Play“ drücken).
- Lasst in einem nächsten Durchgang den jeweiligen Dialogtext zu den Standbildern von Spieler:innen sprechen, die selbst kein Standbild zeigen.
Präsentation und Feedback
Textauszug
Die zweihundert Frauen sind nun eingetreten und es erscheint Bernarda mit ihren fünf Töchtern.
Bernarda zur Magd: Schweigen!
Magd weinend: Bernarda!
Bernarda: Weniger Geschrei und mehr Arbeit. Du hättest dafür sorgen müssen, dass hier alles viel sauberer aussieht für das Leichenbegängnis. Du kannst gehen. Das ist nicht dein Platz.
Die Magd weinend ab
Bernarda: Die Armen sind wie die Tiere. Man könnte meinen, sie wären aus anderem Stoff.
Erste Frau: Auch die Armen fühlen ihren Schmerz.
Bernarda: Aber sie vergessen ihn vor einem Teller Erbsen.
Mädchen schüchtern: Essen muss man, um zu leben.
Bernarda: In deinem Alter spricht man nicht vor erwachsenen Leuten.
Erste Frau: Sei still, Kind.
Bernarda: Ich hab noch keinem erlaubt, mir Lehren zu erteilen. Setzt euch.
Sie setzen sich. Pause.
Bernarda heftig: Magdalena, heul nicht. Wenn du heulen willst, kriech unters Bett. Hast du mich verstanden?
Zweite Frau zu Bernarda: Habt ihr schon mit der Arbeit auf der Tenne angefangen? Bernarda: Gestern.
Dritte Frau: Die Sonne drückt wie Blei.
Erste Frau: Seit Jahren habe ich nicht so eine Hitze erlebt.
Pause. Alle fächeln sich.
Bernarda: Ist die Limonade fertig?
aus: https://henschel-schauspiel.de/serve_leseprobe/3879