(R)Evolution

Jetzt aber ganz schnell hin! Yael Ronens und Dimitrij Schaads kluge, witzige Arbeit läuft schon eine Weile im Repertoire. Man sollte sie auf keinen Fall verpassen.

Ein Ehepaar (Birgit Stöger, André Szymanski) wählt den Nachwuchs aus – Foto: Krafft Angerer

DIE KRITIK

Es ist nicht das schlechteste Zeichen, wenn im Publikum überwiegend junge Leute sitzen. Darunter auch zu ihrem Glück gezwungene Oberstufenkurse. Denn auch sie begreifen sehr schnell, dass ihnen etwas gezeigt wird, was sie so im Theater noch nicht gesehen haben. Deshalb starren sie knappe 90 Minuten gebannt auf die Bühne, lachen mit, applaudieren am Ende begeistert und diskutieren auch auf dem Nach-Hause-Weg noch über die Vorstellung.

Tatsächlich ist „(R)Evolution“ von Yael Ronen und Dimitrij Schaad ein ungewöhnliches Stück. Inspiriert durch den israelischen Historiker Yuval Noah Harari haben sie, wie sie es nennen, „eine Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert“ geschrieben. Die Uraufführung  am Thalia Theater fand bereits am 29. Februar 2020 statt, aber vier Wochen später war Schluss. Corona hatte die Theater über lange Monate lahmgelegt und „(R)Evolution“ vielleicht zu sehr nach hinten gedrängt. Immerhin ist es wieder im Repertoire aufgetaucht, und das ist gut so.

Renés Gesundheitsdaten geben dem Kühlschrank Recht

Schon allein die Bühne (Wolfgang Menardi) ist spektakulär: Unter einer beweglichen Fläche mit einem kreisrunden Loch in der Mitte finden sich umgekippte Plastikstühle vor grau-weißen Wänden. Das sieht ein bisschen nach Endzeitstimmung aus, ändert sich aber sofort, wenn die Wände durch Videos und Fotos (Stefano Di Buduo)  belebt werden oder das Loch von oben fotografiert eine andere Dimension darstellt. Es entsteht eine künstliche, faszinierende Umgebung, die dem Stück den Rahmen gibt. 

Ronen (auch zuständig für die Regie) und Schaad haben das, was bereits zu unserem Alltag gehört, weitergedacht und bis ins Absurde hochgetuned: Da ist zum Beispiel das voll digitalisierte Haus von René (André Szymanski) und seiner Frau (Birgit Stöger). André würde gerne  spät abends noch etwas essen, aber der Kühlschrank, der plötzlich mit der Stimme seiner Mutter spricht, erlaubt es ihm nicht. Alecto (Tim Porath), der digitale Assistent, kann und will in diesem Fall auch nicht helfen. Denn Renés Gesundheitsdaten geben dem Kühlschrank Recht. Überhaupt Alecto. Mit seiner stets freundlichen, immer gleichbleibenden Höflichkeit bringt er Menschen wie René zur Weißglut. René ist nämlich noch einer von der alten Schule. Im Gegensatz zu seiner Frau. Die will gerne ein Kind und nicht nur dessen Geburtstermin genau festlegen, sondern auch dessen Geschlecht, sein Aussehen, seine Intelligenz und seine Anpassungsfähigkeit an die Herausforderungen der Zukunft. Für diese Art von Wünschen reicht aber „das Basispaket“ der Klinik nicht aus. Die Premium-Ausführung ist teurer, und was ist, wenn das Kind sechs Jahre alt ist und es bereits ein Update des Pakets gibt? Das Kind also in der bereits überholten Version zur Welt gekommen ist? 

„Naturalisten“ – eine unbelehrbare, renitente Gruppe

Die altmodische, analoge Art der Fortpflanzung wäre für André eine Option. Nur – damit macht er sich verdächtig. Er würde den sogenannten „Naturalisten“ zugeordnet werden, einer unbelehrbaren, renitenten Gruppe, die der neuen Zeit gefährlich werden könnte. So nämlich geht es Tatjana (Marina Galic). Sie ist einsam und unglücklich und hat über verschiedene Apps einen Partner gesucht. Endlich findet sie ausgerechnet in Alecto einen, der sie versteht. Über seinen Vorschlag, sich in ihr Gehirn implantieren zu lassen, damit er immer bei ihr ist, muss sie allerdings noch nachdenken – und genau das kann ihr zum Verhängnis werden. In einer Simulation erfährt sie, wie man sie bereits vollkommen ausspioniert hat und welche – als geheim gedachten – Wünsche bekannt sind. Gedanken, Gefühle, Gene – alles ist in Daten gespeichert. Berührungen, echter Sex, Überraschungen sind nicht mehr vorgesehen. Im Programmheft und zu Beginn des Stückes wird Harari zitiert mit den Worten: „Wenn Ihnen jemand die Welt beschreibt, wie sie Mitte des 21. Jahrhunderts aussehen könnte, und wenn es wie Science Fiction klingt, dann ist das vermutlich falsch. Aber wenn Ihnen jemand die Welt beschreibt, wie sie Mitte des 21. Jahrhunderts aussehen wird, und es nicht wie Science Fiction klingt – dann ist es mit Sicherheit falsch.“ Ein spannender, intelligenter und unterhaltender Abend. Nichts wie hin!

https://www.thalia-theater.de/stueck/-r-evolution-2019

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • das Ausmaß der Digitalisierung
  • die Abhängigkeit des Menschen von der Digitalisierung
  • das Problem des Ausbruchs
Formale Schwerpunkte
  • Video-Einsatz
  • künstlicher Sprachgestus vs menschlich-normalem Sprachgestus
  • künstliche Bewegungen vs menschlich-normalen Bewegungen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 14/15 Jahre; Jahrgangsstufe 9
  • geeignet für Deutsch-, Ethik-, NaWi- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Zentrales Thema ist die vollkommen digitalisierte Welt. Die Daten jedes einzelnen Menschen sind erfasst, er selbst nicht mehr Herr seiner Handlungen und Entschlüsse. An verschiedenen Beispielen wird das deutlich: Ein Ehepaar möchte ein Kind haben und sich aus der Datenbank eines zusammenstellen. Das Kind soll vor allem den Anforderungen der Zukunft gewachsen sein, wofür das Ehepaar ein besonderes Paket bestellen müsste. Aber das kostet Geld – und hat das Kind dann überhaupt noch wenigstens ein paar Anlagen der Eltern?  Das Haus des Ehepaares ist vom Toaster bis zum Kühlschrank durchdigitalisiert. Die Geräte bestimmen, wann wer was essen darf. Ein Paar behauptet sich zu lieben, kann aber Sex nur noch digital erleben, Berührungen scheut der eine Partner. Eine Paartherapie soll helfen. Und hilft ein digitaler Partner wie der Assistent Alecto wirklich gegen Einsamkeit? Was ist, wenn man sich ihm nicht vollständig unterwirft? Gehört man schon beim Nachdenken darüber zu den Naturalisten, die einer Terrororganisation gleichgesetzt werden, und muss mit einer Haftstrafe rechnen?

Mögliche VorbereitungeN

Über Referate, Gruppenarbeit oder im Unterrichtsgespräch :

  • Welche Bereiche hat die Digitalisierung in unserem/eurem Leben übernommen? 
  • Welche digitalen Geräte gehören zu eurem Alltag?
  • Welche Vor- , welche Nachteile bieten sie?
  • Wie gehen wir/geht ihr mit unseren/euren Daten im Internet um? 
  • Welche möglichen Probleme/Gefahren gibt es?
Im Deutschunterricht:

Goethe: Der Zauberlehrling lesen und in Hinblick auf das Thema Digitalisierung deuten.

Eine ausführliche Materialmappe findet sich unter:

https://www.thalia-theater.de/f/e/Theaterpädagogik/Materialmappen/Materialmappe_REvolution_31.08.2020.pdf

Speziell für den Theaterunterricht

Isolieren von Bewegungen

Die Gruppe geht durch den Raum. Der Oberkörper bleibt starr, nur die Beine bewegen sich. Nach jedem Schritt wird eine Pause gemacht, es folgt der nächste Schritt usw.

Die Gruppe bleibt stehen, wendet nur den Oberkörper nach links, winkelt den rechten Arm an, winkt in einem vorgegeben Rhythmus. 

Die Übung kann ausgebaut werden. Die Gruppe kann aber auch selbst eigene Bewegungen finden, die roboterartig ausgeführt werden. Wichtig ist dabei die exakte Umsetzung und ein neutraler Gesichtsausdruck.

Sprechübungen

Die Gruppe geht durch den Raum. Die Spielleitung spricht zunächst einige Sätze (s.u.) in der gewünschten Stimmung vor, die Gruppe spricht nach, bis schließlich alle Sätze parat sind. 

Dann legt die Spielleitung die ausgedruckten Sätze im Raum aus. Die Gruppe geht durch den Raum und bleibt auf ein Zeichen der Spielleitung zu dritt, zu viert o.ä. bei einem der Sätze stehen. Der Reihe nach spricht jede Gruppe chorisch ihren Satz in der entsprechenden Stimmung.

Mehrmals wiederholen, so dass möglichst jeder mal alle Sätze gesprochen hat. 

Danach soll die Gruppe versuchen, den Satz in einer Computersprache zu sprechen, also ausdruckslos, ohne Rhythmus.

Mögliche Sätze:

  • Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. (neutral)
  • Ich bin so unendlich müde! (träge)
  • Was?! Du hast sie wohl nicht mehr alle! (aufgebracht)
  • Ich will das hier alles haben !!!!(gierig, fordernd)
  • Ich weiß nicht mehr weiter. (traurig, ratlos)
  • Hallo! Alles klar bei euch? (fröhlich, neugierig)