Ist es egal, unter welchem Regime man Karriere macht? Muss man politisch Stellung beziehen? Zarah Leander wurde von 1936 bis 1942 in Deutschland zum Star und dafür in ihrer schwedischen Heimat verachtet. Im Theater Das Zimmer beleuchtet Sven Niemeyers Inszenierung „Zarah 47 – Das totale Lied“ von Peter Lund die Situation der Künstlerin mit einer überzeugenden Valerija Laubach als Zarah Leander.

Die Kritik
Ein trostloser Geburtstag. Es ist ihr vierzigster, und Zarah Leander, die gefeierte Sängerin, sitzt alleine auf ihrem Gut Lönö in Schweden. Kein Mensch ruft an, niemand besucht sie. Was bleibt ist der Schnaps. Ein Gläschen nach dem anderen kippt sie sich hinter die Binde, mit jedem einzelnen lässt sie ihr bisheriges Leben Revue passieren.
Das ist die Situation in Peter Lunds „Zarah 47“. Es zeigt neben vielen Liedern vor allem das differenzierte Bild der Sängerin und Schauspielerin, die in Nazi-Deutschland Karriere gemacht hat, ohne sich Gedanken über Politik und Moral zu machen, die aber nun einsam an ihrem Geburtstag vor allem sich selbst bemitleidet. „Was hab ich denn getan? Doch nur meine Arbeit wie alle anderen“, behauptet sie.
Statt Auftrittsmöglichkeiten bleibt ihr nur das einfache Landleben.
Das Musical-Solo verlangt viel von der Darstellerin: Sie muss nicht nur die berühmten Lieder der Künstlerin interpretieren, sie muss auch deren ganzen Gefühlswust, in dem sie am 15. März 1947 zu ertrinken droht, für ein Publikum glaubhaft darstellen. Im Theater Das Zimmer gelingt das einer hinreißenden Valerija Laubach. Das Publikum sitzt im „kleinsten Theater Hamburgs“ mit seinen 40 Plätzen so nahe an der Bühne, dass jede Regung der Schauspielerin sichtbar wird und man immer stärker in ihre Geschichte eintauchen kann. Sven Niemeyer, verantwortlich für Regie und Ausstattung, zeigt Zarah anfangs im Privat-Look: Mit zusammengebundenen Haaren und bequemer Kleidung lümmelt sie auf dem blauen Sitzkissen oder starrt auf das Telefon. Verächtlich pflückt sie die Briefe von der Leine. „Alles Rechnungen“, schnaubt sie. Kein einziger Geburtstagsgruß darunter. Sie schließt die Augen, als genösse sie „diese Ruhe!“ In ihrem Kopf aber geht es drunter und drüber. Seit vier Jahren hat sie kein Engagement mehr. Seit vier Jahren lebt sie wieder in Schweden, zurückgezogen auf ihrem Gut Lönö, nachdem sie ihren Vertrag mit der deutschen UFA gekündigt hat. Zehn wahnsinnig erfolgreiche Filme hatte sie als Sängerin und Schauspielerin zwischen 1936 und 1942 in Deutschland gedreht, war europaweit als Star gefeiert worden und hatte sich nie zu Hitlers Politik positioniert. Erst 1942 ging sie zurück nach Schweden und hoffte dort auf eine Fortsetzung ihrer Karriere. Dort aber war sie als „Nazi-Diva“ verpönt. Statt Auftrittsmöglichkeiten blieb ihr nur das einfache Landleben.
„Liebt mich! Darum geht es.“
Aus dem Off überlagern sich im Theater Das Zimmer kritische, boshafte Stimmen, wie sie in Leanders Kopf herumspuken:. „Nazi-Schwein“, „Verrat an unserem Land“ hört sie. Valerija Laubachs Leander schließt erneut die Augen. „Ich war unpolitisch“, beharrt sie. Politische Künstler wie Brecht habe sie gehasst. Für sie habe immer nur das Lied gezählt, alles andere habe sie ausgeblendet. „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“, das ist nur einer der vielen Songs, in die sich Laubachs Zarah flüchtet, anstatt ihre unpolitische Haltung und die Vorteile, die ihr das Nazi-Regime gewährt hat, zu reflektieren. Begleitet von Sebastian Hubert am Klavier singt sie sich durch die alten Hits, gibt ihnen eine ganz eigene Interpretation, indem sie gar nicht versucht, Zarah Leander zu imitieren. Nur manchmal, etwa als sie einen Dialog mit Goebbels nachstellt, persifliert sie deren Sprechweise mit dem dunklen gerollten „R“. In diesen Momenten der Erinnerung ist ihre Leander komisch, die Erinnerung an diese Szene erheitert sie. Aber kurz darauf wird sie sich wieder ihrer Einsamkeit bewusst. Ihre Verzweiflung ertränkt sie, nunmehr als Diva mit Sonnenbrille und offenem Haar herausgeputzt, in Alkohol. Die Inszenierung lässt sie dafür kopfüber in ein Schwimmbecken kippen. Und dann klingelt doch das Telefon und der Komponist Ralph Benatzky bietet ihr ein nur mäßig bezahltes Engagement an. Sie nimmt an, ihre Selbstzweifel („Kann ich überhaupt noch singen?“) sind verflogen. „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“, singt sie schon jetzt mit ausgebreiteten Armen wie auf einer Showbühne und nimmt den Applaus des Publikums entgegen. Der Epilog zeigt sie gebeugt, den Blick gesenkt. Später würde sie auch auf Kaffeefahrten singen, gesteht sie. Egal. „Liebt mich! Darum geht es.“ Ein unterhaltsamer und nachdenklich stimmender Abend. Der Weg ins Theater Das Zimmer lohnt sich.
Weitere Informationen unter: https://www.theater-das-zimmer.de/Veranstaltung/zarah-47-das-totale-lied/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Verantwortung und Haltung einer Künstlerin im Nationalsozialismus
Formale SchwerpunKte
- Lieder als tragende Säulen des Geschehens
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 15/16 Jahre, ab Klasse 9/10
- Empfohlen für den Musik-, Ethik- und Geschichtsunterricht
Zum Inhalt
Die gefeierte Künstlerin Zarah Leander hat sich auf dem Höhepunkt ihres Erfolges auf ihr Gut nach Schweden zurückgezogen. Sechs Jahre lang hat sie bei der deutschen UFA Filme gedreht, war vom Publikum und den Nazi-Oberen gefeiert wurde, hatte sich selbst stets als unpolitisch bezeichnet.Seit vier Jahren lebt sie wieder auf ihrem Gut, bekommt aber in Schweden als „Nazi-Diva“ kein Engagement. An ihrem vierzigsten Geburtstag sitzt sie einsam in ihrem Wohnzimmer und lässt ihr bisheriges Leben Revue passieren. Kurz bevor sie endgültig in Alkohol und Verzweiflung versinkt, rettet sie ein Anruf mit einem bescheiden bezahlten Auftrittsangebot . Sie nimmt an, denn eher als alles andere braucht sie die Liebe vom Publikum.
Mögliche Vorbereitungen
Recherche zu
- Zarah Leander (Leben und künstlerische Laufbahn)
- Haltung von Künstler:innen in Nazi-Deutschland
Im Unterrichtsgespräch:
- Auswertung der Recherche, anschließend:
- Kann man eine Haltung wie die von Zarah Leander verurteilen