Auf die Plätze – fertig – und los geht’s im Studio des Jungen Schauspielhauses mit Lorenz Noltings rasanter, intelligenter Uraufführung von „Bonni & Kleid“. Zurücklehnen und einfach gemütlich zuschauen ist keine Option. Hier muss vor allem das junge Publikum kräftig mithelfen beim turbulenten Kampf gegen ein Überfluss-, Billig- und Wegwerfsystem, das unser Konsumverhalten bestimmt.

Die Kritik
Das Licht im Zuschauerraum ist noch an, da heißt Karl Lager (Hermann Book) schon das Publikum willkommen im riesigen Warenlager Barmbek, das die ganze Welt beliefert. Nomen est Omen – Lager ist Lagerarbeiter mit Leib und Seele. Seine Chefin hat er noch nie gesehen, hält aber eine Menge von ihr. Begeistert erklärt er, wie das abläuft mit den Waren: von der Reinigungsstation, über die Messstation, das Warenband bis hin zur Abholstation und was mit den Waren geschieht, die nicht gebraucht werden. Zur Anschauung zertrampelt er einen Karton. Davon gibt es in seinem Lager eine ganze Menge in unterschiedlichen Größen, die sich vor verschiebbaren weißen Stellwänden stapeln (Bühne: Nadin Schumacher). Einen richtig großen mit angeblich unbrauchbarer Ware zieht Lager hervor, bevor er kurz auf’s Klo verschwindet, nicht ohne vorher die Kinder ermahnt zu haben, nichts auf der Bühne anzurühren.
Dass dieses Verbot gebrochen wird wie andere Regeln auch im Verlauf dieser kurzweiligen Vorstellung, ist ein gelungener Kniff von Lorenz Noltings Inszenierung. Mit der Dramaturgin Sofie Boiten, mit der ihn eine langjährige Zusammenarbeit verbindet, hat er „Bonni & Kleid“ geschrieben, ein Stück, das sich an ein Publikum ab Klasse drei richtet und mit seinem Titel natürlich auf das berühmte amerikanische Gangster-Duo Bonnie und Clyde anspielt. Letztere waren im Amerika des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, also zur Zeit der Wirtschaftskrise, ein von der Obrigkeit gefürchtetes Paar, weil es hemmungslos raubte und plünderte. Gerade dafür aber liebten es andere Teile der Bevölkerung, denn Bonnie und Clyde zeigten dem Wirtschaftssystem den Mittelfinger und rächten sich an ihm – stellvertretend für alle anderen, wie viele glaubten.
Regeln brechen die beiden Protagonist:innen im Jungen Schauspielhaus ebenfalls, und auch die Kinder. Die entern nämlich trotz Lagers Verbot die Bühne, als ein Stimmen aus dem Karton um Befreiung bittet. Heraus kommt Kleid (Alicja Rosinski), wenig später wird auch Bonni, der Kassenbon (Anastasia Lara Heller), von den Kindern aus der Maschine befreit. An dieser Stelle sei auf die fantasievollen Kostüme von Ida Bekič und Kora Hamm hingewiesen: Kleids knallrotes Trapezkleid, Bonnies weißer, am Rücken hochgezogener Anzug, bedruckt mit allen Kassenbon-Informationen (Verkäuferin: 007) und Lagers Weste mit dem Schriftzug „Born to Scan“ ergänzen das Spiel liebevoll und mit einem Augenzwinkern, ebenso wie die musikalischen Einspielungen. Doch dazu später.
Dinge wollen gut behandelt, gepflegt und gebraucht werden.
Kleid und Bonni werden sich schnell ihrer Situation (dem Gefängnis Lagerhalle und der Gefahr, bei Nicht-Gefallen einfach weggeworfen zu werden) bewusst. Flucht scheint die einzige Möglichkeit, wobei vorher noch bei Zalando und in den Lagern Amerikas und Chinas andere Waren befreit werden müssen. Gefahr droht von Lager, der nach ihnen sucht. Also braucht es die Unterstützung der Kinder (Warnungen abgeben, Kartons weiterreichen, die Lasermaschine überlisten). Das ist ein bisschen wie früher beim Kasperle-Theater, nur eben viel direkter und haptischer. Vor allem geht das alles (u.a. musikalisch unterstützt durch das Thema von „Mission Impossible“) mit einem Tempo vor sich, das keine Zeit zum Durchatmen zulässt. Erst später wird es ruhiger, wenn Kleid wieder zurück ins Lager geht. Sie hat erkannt, dass sich mit ihrem Handeln nichts verändern, sondern nur noch mehr produziert und auf den Müll geworfen wird. Auch Lager, der Bösewicht, erweist sich schließlich als geläutert (Nolting persifliert hier über Musik und Gestik das Happy End von Musicals), und zu dritt ist man sich einig: Nur einige wenige bereichern sich und lassen billig und schnell produzieren. Aber Dinge wollen weiterleben und gut behandelt, gepflegt und gebraucht werden. Und überhaupt – der Aufruf geht ans Publikum -: Lasst uns an einer Welt ohne Besitz und ohne Leid arbeiten! Eine Forderung, der Nolting durch Übertreibung ihre Holzschnittartigkeit nimmt. Im Hintergrund spielt ganz leise die Marseillaise.
Diese gut 60minütige Vorstellung macht Spaß, ist intelligent und regt zu Diskussionen an. Schulen, worauf wartet ihr? Hingehen! Ganz einfach.
Weitere Informationen unter: https://junges.schauspielhaus.de/stuecke/bonni-kleid
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Respektvoller Umgang mit Waren
- Vermeidung von Müll durch Wegwerfen
- Überdenken des eigenen Konsumverhaltens
- Stärke durch gemeinsames Handeln
Formale SchwerpunKte
- Tempo und Action durch Übereinandersprechen und Einspielungen von Filmmusik
- Übertreibungen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 8/9 Jahre, ab Klasse drei
- Empfohlen für den Sach-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
In Karl Lagers riesiger Lagerhalle stapeln sich tausende von Waren, die verschickt oder, weil sie unbrauchbar sind, vernichtet werden. Als Lager kurz verschwindet, können aus einem Karton zunächst Kleid und wenig später aus der Maschine der Kassenbon Bonni befreit werden. Beide erkennen, dass sie Gefangene eines Systems sind, dem sie hilflos ausgeliefert sind. Gemeinsam beschließen sie auszubrechen und andere Waren ebenfalls aus den Lagern zu befreien. Aber irgendwann erkennt Bonni die Sinnlosigkeit dieses Handelns. Sie sieht, dass nur mehr Waren und mehr Nutzlosigkeit produziert wird und auf dem Müll landet. Sie erkennt auch, dass nur einige wenige sich daran bereichern, alle übrigen aber ausgebeutet werden. Sie geht zurück ins Lager und schafft es gemeinsam mit Bonni, auch Karl Lager, der sie auf ihrer Flucht wie ein böser Sheriff gejagt hat, zum Nachdenken zu bewegen. Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, dass Dinge respektvoll und nachhaltig behandelt werden.
Mögliche Vorbereitungen
- Recherche zum Konsumverhalten von Jugendlichen und Erwachsenen
- Recherche zum Gangster-Duo Bonny und Clyde (historisch, Verfilmungen)
Im Unterrichtsgespräch:
- Reflexion des eigenen Konsumverhaltens (Welche Lieblingsgegenstände habt ihr? Wie behandelt ihr sie? Auf welche könnt ihr verzichten? Was werft ihr weg? Was behaltet ihr? Was habt ihr bis jetzt am längsten?)
- Welche Probleme ergeben sich, wenn man Waren im Internet bestellt?
Speziell für den Theaterunterricht
Fließband
Die Spielleitung teilt den Kurs in Gruppen von sechs bis acht Personen, die in einer Reihe nebeneinander auf Stühlen sitzen. Wenn möglich, bekommt jede Spielerin/ jeder Spieler einen Karton in die Hand. Auf ein Zeichen hin klopfen alle gleichzeitig mit den Händen auf die beiden Außenseiten des Kartons, drehen ihn dann gleichzeitig, klopfen gleichzeitig auf die beiden anderen Außenseiten und geben den Karton dann nach rechts weiter zum nächsten Spieler/zur nächsten Spielerin. Der/die letzte Spieler:in gibt den Karton einem am Ende der Reihe stehende Spieler/einer Spielerin, die mit dem Karton wieder an den Anfang läuft und ihn dem/der ersten Spieler:in gibt. Diese beginnt wieder wie oben.
Durch das Klopfen, Weitergeben und wieder-von-vorne-Beginnen soll ein Rhythmus wie bei einer Maschine entstehen. Das Ganze muss mehrmals geübt werden.
Variation: Die Spieler:innen können ohne Kartons arbeiten, indem sie: Gemeinsam auf den Stuhl klopfen, dann gemeinsam in die Hand klatschen, dann gemeinsam einen imaginären Karton weitergeben, den der/die Läufer:in wieder an den Anfang bringt.