Was ist das Leben? Die Frage beschäftigt die Menschheit seit eh und je. Ist es nur ein Übergang auf dem Weg zur Ewigkeit? Was ist richtig, was ist falsch? Was Illusion, was Wirklichkeit? Zu Johann Simons poetischer, aber leider zu ausufernden Inszenierung von Calderóns „Das Leben ein Traum“ im Thalia Theater.
Die Kritik
Am Anfang: Nichts. Der leere dunkle Raum und ein paar herabhängende Glühbirnen legen den Vergleich mit einem sternenbestückten Weltall nahe, verstärkt durch eine von der Drehbühne bewegten spiegelnden Wand (Bühne: Johannes Schütz). Der Mensch ist in diesem Kosmos nur ein Spielender, und das auch nur für begrenzte Zeit. Diesen Eindruck verstärkt Johann Simons in seiner Inszenierung von „Das Leben ein Traum“, indem er das Ensemble von einer Stuhlreihe hinten auf der Bühne das gesamte Geschehen verfolgen oder als Spielende in die Szene eintreten lässt. Die Welt, das Diesseits als Theater, als Vorstufe zum eigentlich Wahren, zum Jenseits – das ist der Grundgedanke des Barock, dem auch der Dichter Pedro Calderón de la Barca anhing. In seinem 1635 uraufgeführten Stück, dessen deutsche Erstaufführung übrigens nur wenige Jahre später in Hamburg stattfand, zeigt er, wie die Grenzen zwischen Wahrheit und Illusion, Richtig und Falsch verschwimmen und eine Orientierung für den Menschen schwierig wird.
Miles Davis Sketches of Spain prägt das Poetische des Abends.
Simons verortet das Spiel nur durch die Musik (Viktor IJdens) der Vorlage gemäß in Spanien, indem er ihm Miles Davis’ Album Sketches of Spain unterlegt. Dessen mal zerbrechlich-zarte, dann wieder triumphierende oder einzelne Töne hintupfende Trompete prägt die Atmosphäre, das Poetische des Abends. Fanfaren erklingen, als das Ensemble Podeste auf die Bühne schleppt, zu einem Plateau anordnet und sich dann auf die hinteren Stühle begibt. Hinter der hereinfahrenden Wand galoppiert Marina Galic als Rosauro, allerdings ohne Pferd, sie ahmt nur dessen Schritte nach. Kostümiert ist sie als Mann mit einem ständig verrutschenden Schnurrbart, denn als Edeldame kann Rosauro nicht gefahrlos mit ihrem Diener Clarin (Falk Rockstroh) Astolfo verfolgen, der sie für Prinzessin Estrella hat sitzen lassen. Die Komik dieses Auftritts wird jedoch gebrochen durch die Tatsache, dass Galic in Rosauro einen verletzten, einsamen Mensch zeigt. Der karrieregeile Herzog Astolfo, bei Jirka Zett ein charmanter, koksender Nichtsnutz, hat sie sitzen lassen, um über die Heirat mit der ebenfalls berechnenden Prinzessin Estrella (Anna Blomeier) König zu werden. Rosario trifft auf einen noch unglücklicheren Menschen, nämlich Sigismund. Der sitzt seit seiner Geburt in einem Kerker, eingesperrt von seinem Vater, König Basilio, und erzogen von dem windigen, nach oben dienernden und nach unten beißenden Clotaldo (Felix Knopp). Grund dafür ist die Prophezeiung der Sterne, dass mit Sigismund Böses über die Welt kommen würde, und tatsächlich ist seine Mutter bei seiner Geburt gestorben.
„Wer mich nervt, fliegt vom Balkon.“
Jens Harzer ist Sigismund, ein zarter, unsicherer Mensch. Von sich sagt er, dass es sein „übelstes Verbrechen“ sei, geboren worden zu sein. Die Schuld der menschlichen Existenz verkörpert er in seiner gebeugten Körperhaltung, den fahrigen Bewegungen. Im Gegensatz dazu steht Christiane von Poelnitz als König Basilio ruhig, aufrecht, dominant und verkündet mit starker Stimme das Experiment: Für einen Tag soll Sigismund sich als König beweisen. Klappt das nicht, übernehmen Astolfo und Estella. Der erste Versuch geht tatsächlich schief, Sigismund entpuppt sich als Monster. Seine blutigen Hände beweisen, dass er es ernst meint mit seiner Drohung: „Wer mich nervt, fliegt vom Balkon.“ Er wird erneut in den Turm gesperrt, bekommt aber, aufgefordert durch das Volk (hier eine Stimme – vielleicht sogar die von Simons – aus dem Off), eine zweite Chance, ändert seinen Regierungsstil und vergibt seinen Peinigern. Der Schein hat getrogen. Hinter dem bösen steckt ein weiser Herrscher.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt macht sich allerdings Unruhe im Publikum bemerkbar. Die angekündigten zweieinhalb pausenlosen Stunden (an sich schon eine recht sportliche Länge) sind bereits um 15 Minuten überschritten und noch einmal philosophiert Harzers Sigismund darüber, was denn eigentlich das Leben sei. Aber so richtig konzentriert hört man ihm nicht mehr zu. Das ist wirklich schade, denn diese so poetische und nicht zuletzt durch das Einflechten von Alltagssprache in den hohen Ton des Originals auch witzige Inszenierung mit dem großartigen Ensemble leidet letztlich unter ihrer ausufernden Länge. „Ich bin sicher, dass die Leute, während Zeit vergeht, über das nachdenken, was gesagt wurde“, wird Simons im Programmheft zitiert. Und weiter: „Zeit gibt dem, was auf der Bühne behauptet wird, Tiefe.“ Mag sein, aber man sollte sie auch nicht überstrapazieren.
Weitere Informationen unter: https://www.thalia-theater.de/stueck/das-leben-ein-traum-2023
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Was bedeutet das Leben?
- Was ist Schein, was Wirklichkeit?
- Wie lässt sich Illusion/ Schein von Wirklichkeit unterscheiden?
Formale SchwerpunKte
- Ständige Präsenz aller Spielenden auf der Bühne
- Eintreten ins Spiel in den entsprechenden Szenen
- Aufbau der Bühne durch die Spielenden
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- für Theatererprobte (!) ab 17 Jahre, ab Klasse 12
- empfohlen für Philosophie-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
König Basilio hat seinen Sohn Sigismund gleich nach seiner Geburt in einen Kerker sperren lassen, weil ihm die Sterne prophezeit haben, dass das Kind nur Böses über die Welt bringen würde. Sigismund weiß weder von seinem Status als Königssohn noch etwas vom Leben außerhalb seines Kerkers. Einzige Kontaktperson ist sein Erzieher Clotaldo. Eines Tages findet ihn jedoch Rosaldo, die als Mann verkleidet gemeinsam mit ihrem Diener Clarin durchs Gebirge irrt. Sie ist verletzt und verzweifelt, weil Herzog Astolfo sie verlassen hat, um über eine Heirat mit der Prinzessin Estrella nach der Abdankung Basilios König zu werden. Rosaldo und Sigismund erkennen einander in ihrer Einsamkeit und Verzweiflung, sehen sich als die Menschen, die sich verstehen.
Vor einem endgültigen Herrschaftswechsel lässt sich König Basilio auf ein Experiment ein: Sigismund soll für einen Tag König sein und sich als Herrscher bewähren. Entpuppt er sich als das Monster, das er den Sternen nach sein soll, übernehmen Astolfo und Estrella den Thron. Tatsächlich scheitert Sigismund bei dem Versuch. Das ihm unbekannte Leben in der prunkvollen Welt, zudem ausgestattet mit ungeahnter Macht, lässt ihn genau zu dem Monstrum werden, das man befürchtet hat. Wie angedroht wird er wieder in den Turm gesperrt und fragt sich, ob das Ganze nur ein Traum gewesen sei und beginnt seine eventuell geträumten Taten zu reflektieren. Wenig später ruft das Volk nach ihm und Sigismund bekommt eine zweite Chance als Herrscher. Nunmehr geläutert durch das Überdenken seines Handelns erweist er sich als guter König, der seinem Vater und Clotaldo vergibt.
Mögliche VorbereitungeN
Als Hausaufgabe oder über Referate
- Inhalt von Pedro Calderon de la Barca: Das Leben ein Traum
- Recherche zum barocken Weltbild
- Recherche zum Barocktheater
- Recherche zum Existenzialismus
Im Unterrichtsgespräch
- Wie sieht man im Barock das Leben? Was bedeutet es für den Einzelnen?
- Wo liegen die Unterschiede/ Gemeinsamkeiten zum Existenzialismus?
Speziell für den Theaterunterricht
Vorlesen – Gehen – Stehen – Bleiben
Die Spieler:innen stehen in einer Reihe; die Spielleitung liest die Inhaltsangabe zu „Das Leben ein Traum“ vor; die Reihe geht langsam auf die gegenüberliegende Seite des Raumes zu; wann immer dem /der einzelnen Spieler:in etwas interessant vorkommt, bleibt er/sie stehen; nach dem Vorlesen nennt jede:r seinen/ihren Themenschwerpunkt, der auf je einer Karte gesammelt wird. Bei einem zweitem Durchgang können weitere hinzukommen.
Die Karten werden im Anschluss ausgelegt und von der Gruppe zu einem Handlungsbogen sortiert.
Aufgabe:
Wählt ein Thema innerhalb des Handlungsablaufs und findet euch in entsprechenden Gruppen (vier Personen max.) zusammen. Ein Thema kann auch von verschiedenen Gruppen bearbeitet werden.
Erstellt zu dem Thema drei verschiedene Standbilder.
Verbindet die Standbilder durch Bewegungen in Zeitlupe miteinander, lasst aber jedes Bild für ein paar Sekunden einfrieren.
Präsentation und Besprechung.
Im Anschluss kann die Spielleitung zu den gewählten Themen Textauszüge aus dem Drama in die Gruppen geben
(dazu: https://www.projekt-gutenberg.org/calderon/lebentrm/lebentrm.html).
Die Gruppen bekommen die Aufgabe, die Szene auf die Passagen/Sätze/ Wörter zu kürzen, die für ihre Standbilderreihe relevant sind.
In der weiteren Arbeit können daraus Spielszenen erarbeitet und zu einer eigenen Inszenierung zusammengesetzt werden