De Schimmelrieder

Mensch und Natur. Klarer Verstand und finsterer Aberglaube. Hybris und Demut. Schon 1888 erkannte Theodor Storm die Spannung zwischen den unvereinbaren Polen, die heute aktueller denn je erscheint. Im Studio des Ohnsorg Theaters ist jetzt Ingo Putz’ konzentrierte und durchdachte Inszenierung von „De Schimmelrieder“ auf Hochdeutsch und Plattdeutsch zu sehen.

Der Kampf mit den Fluten (v.li.: Stephan Möller-Titel, Laurens Walter, Kristina Bremer)

Die Kritik

Das Wasser. Es kann Häuser, Dörfer und ganze Existenzen zerstören. In letzter Zeit war das nur allzu deutlich auch in Teilen von Deutschland zu erleben. So faszinierend Flüsse und Meere sind, so bedrohlich werden sie im Verein mit Regen und Sturm. Der Mensch will sich das nicht gefallen lassen, mit Hilfe seines Verstandes versucht er, die Natur zu beherrschen und Fluten einzudämmen. Womit wir bei Hauke Haien, dem Protagonisten aus Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ wären. Der nämlich erkennt die Unzulänglichkeit des alten Deichs und weiß, dass er bei einer erneuten Sturmflut brechen und eine Katastrophe für die Einwohner des Dorfes anrichten kann. Hauke kann rechnen und interessiert sich für den Deichbau. Aber das macht ihn zum Außenseiter in einer Gemeinschaft, in der neue Ideen skeptisch beurteilt werden und der Aberglaube noch immer einen beträchtlichen Einfluss hat. Klingt auch heute irgendwie vertraut, oder?  

Die Entscheidung, „De Schimmelrieder“ ins Programm des Ohnsorg Studios zu nehmen,  ist jedenfalls ausgesprochen glücklich. Wer will, kann in vielen Momenten Parallelen zur Gegenwart erkennen, ohne dass hier mit dem Holzhammer gearbeitet wird. Doch der Reihe nach.  

Das Wasser spielt mit, allgegenwärtig, dominant.

Ingo Putz hat nach Storms Novelle eine konzentrierte Bühnenfassung und Inszenierung erarbeitet, der es gelingt, mit nur drei Schauspielenden Aufstieg und Untergang des aufgeklärten, aber sturköpfigen Visionärs Hauke Haien in nur 80 Minuten zu erzählen.

Das Wasser spielt mit, ist allgegenwärtig, dominant. Die gesamte Fläche der langgezogenen Bühne ist geflutet und wird damit zum eigentlichen Ort der Handlung (Bühne: Yvonne Marcour, auch verantwortlich für die derben, den Charakter der Dorfbewohner kennzeichnenden Kostüme). Ob Ehebett, Kneipe, Garten oder Deich – im Wasser wird geliebt, gestritten, getrunken und gekämpft. Die Schauspielenden sind am Ende nass bis auf die Haut, die in verschiedenen Funktionen eingesetzten Sandsäcke und Wolltücher (mal als Katze, mal als Baby) schwimmen in den Fluten, triefen vor Nässe, wann immer sie bespielt werden – all das klug gesetzte Zeichen für die Wucht der Natur.

Der gegenüber steht der Mensch, der sie beherrschen will. Eine schwarze Wand dient Hauke (Laurens Walter) als Tafel, an die er mit einem durchtränkten Schwamm am Anfang „Gott gnad de annern“ und später mit Kreide wie ein Gejagter Formeln schreibt.

Laurens Walter zeigt diesen durchaus widersprüchlichen Hauke mit all seinen Facetten: den begierig lernenden, von anderen verlachten jungen Mann, den zärtlich liebenden Ehemann und Vater, den von seiner Idee besessenen Deichgrafen, der keine Gegenargumente gelten lässt, und schließlich den Gescheiterten, als der Deich durchstochen wird und das Wasser das Dorf, seine Familie und schließlich ihn selbst verschlingt. 

Aberglaube und Aufklärung – zwei unvereinbare Gegensätze

Kristina Bremer und Stephan Möller-Titel übernehmen die Rolle der Erzählenden – diese Passagen aus dem Originaltext sind hochdeutsch geblieben -, wechseln aber von einer Sekunde auf die andere in unterschiedliche Rollen: Mit gekrümmter Haltung und Wollkopftuch wird Bremer zur alten Trin Jans, deren letzte Bitte, eben dieses „Gott gnad de annern“, das Leitmotiv des Abends liefert, oder sie schüttelt das Haar, steht aufrecht und strahlt als junge Frau Elke, die Hauke mit der Heirat und ihrem Hof die Möglichkeit zum Amt des Deichgrafen eröffnet. Möller-Titel, kaum dass er seine Wollmütze übergezogen hat, wird zu Haukes  breitbeinigen, aufsässigen Gegenspieler Ole Peters oder mit einem Stock und weisem Lächeln zu seinem Unterstützer Jewe Manners. Beeindruckend gelingt die Szene, in der Bremer und Möller-Titel als zwei Knechte auf der Hallig Jeversand einen gespenstischen Schimmel zu sehen glauben, den Teufelsschimmel von Hauke Haien. Die dunkle Bühne wird nur von einem an die Wand projizierten Mond erleuchtet, ein düsterer, dissonanter Sound (ebenfalls: Ingo Putz) untermalt das geraunte Gespräch. Im Hintergrund ist Hauke zu sehen, wie er weitere Formeln an der Tafel entwirft. Aberglaube und Aufklärung – zwei unvereinbare Gegensätze. Bis heute. Ein unbedingt sehenswerter Abend.

Die meisten Vorstellungen sind bereits ausverkauft, allerdings gibt es in den Zusatzvorstellungen  am Abend noch Plätze, die auch von Schulklassen gebucht werden können.

Weitere Informationen unter: https://www.ohnsorg.de/events/de-schimmelrieder/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Unter studio@ohnsorg.de kann bei der Theaterpädagogik des Ohnsorg Theaters kostenloses und sehr umfangreiches Begleitmaterial bestellt werden mit Informationen zum Stück, zur Inszenierung und zum Autor. Dazu gibt es Anregungen und Spielideen sowie eine plattdeutsche Wörterliste mit den wichtigsten Begriffen zu dieser Inszenierung.

Weitere Informationen zu theaterpädagogischen Angeboten unter: https://www.ohnsorg.de/theaterpaedagogik/

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Natur vs Mensch
  • Aberglaube vs aufgeklärtem Verstand
Formale SchwerpunKte
  • Konzentration auf eine zentrale Figur
  • Rollenwechsel von Erzählung zu Spiel
  • multifunktionaler Gebrauch von Requisiten    
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 13 Jahre, ab Klasse 7
  • empfohlen für den Deutsch- und Theaterunterricht
  • empfohlen für Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Die Bühnenfassung von Ingo Putz konzentriert sich auf die Binnenerzählung der auf zwei Zeitebenen angelegten Novelle:

Hauke Haien ist ein Außenseiter in seinem Dorf. Er interessiert sich für Mathematik und Geometrie, sein Vater hat nicht viel Geld und schickt ihn öfter zum Arbeiten an den Deich. Dort erkennt Hauke schnell, dass der alte Deich Schwächen hat und entwickelt zu Hause eigene Formen. Sein Traum ist es, einmal selbst Deichgraf zu werden. Als er als Kleinknecht im Haus des Deichgrafen Tede Folkerts arbeitet, lernt er dort dessen Tochter Elke kennen, die eine ähnliche Leidenschaft für Mathematik und Formeln hat wie er. Beide kommen sich näher und heiraten, als Tede Folkerts stirbt und sein Amt frei wird. Durch die Ehe mit Elke hat Hauke das nötige Land und Vermögen, so dass er nun selbst Deichgraf werden kann. Seine Visionen von einer neuen, das Dorf besser schützenden Deichform finden jedoch keine Gegenliebe. Vor allem Ole Peters, sein ewiger Konkurrent, stachelt die Leute gegen Hauke auf. Rückhalt findet er nur bei Elke, die nach neun Jahren Ehe schließlich doch noch das heißersehnte Kind bekommt. Allerdings ist das Mädchen geistig behindert. Im Dorf blüht der Aberglaube. So muss zum Beispiel in einen Deich „was Lebiges“ hinein, am besten ein Kind, damit er den Fluten standhält. Den Schimmel, den Hauke reitet, meinen zwei Knechte als Gerippe auf der Hallig Jeversand gesehen und als Teufelspferd eingeordnet zu haben. Hauke schafft es jedoch, gegen alle Widerstände seinen neuen Deich zu bauen. Bei einer großen Sturmflut sieht er jedoch, wie auf Befehl von Ole Peters der alte Deich durchstochen wird und so das Wasser ungehindert ins Dorf flutet. Er sieht noch, wie Elke mit dem Kind vergeblich zu fliehen versucht, und stürzt sich dann mit dem Schimmel selbst in die Fluten.   

   

Mögliche VorbereitungeN
Als Hausaufgabe oder über Referate
  • Lektüre oder Inhaltsangabe von Theodor Storm: Der Schimmelreiter
  • Recherche zu Aberglaube und seiner Bedeutung
Im Unterrichtsgespräch
  • Welchen Einfluss haben Aberglaube und Verschwörungstheorien auf gesellschaftliche Prozesse?
  • Wie reagiert die Gesellschaft auf Neuerungen?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, Neuerungen zu vermitteln, so dass sie akzeptiert werden können?
Speziell für den Theaterunterricht
Umgang mit dem Requisit
Übungen
Einen Gegenstand weiterreichen

Alle stehen im Kreis. Ein:e Spieler:in denkt sich einen Gegenstand aus und reicht ihn an die/den nächste:n weiter. Dort verändert er sich und der/die Spieler:in reicht einen anderen Gegenstand weiter usw.

Körperapparate

Alle verteilen sich im Raum, gehen zur Musik, achten auf peripheren Blick. Wenn der Spielleiter die Musik stoppt und einen Gegenstand nennt, versucht zunächst

a) jede: diesen Gegenstand mit dem Körper darzustellen. Mögliche Gegenstände sind: Ball, Schüssel, Stuhl, Baum

b) zu zweit den genannten Gegenstand darzustellen (Haus, Uhr, Auto)

c) zu dritt den genannten Gegenstand dazustellen (Tisch, Flugzeug, Kirche)

Bau einer Maschine

Alle Spieler:innen setzen sich in eine Reihe. Der/die erste stellt sich auf den freien Platz davor /auf die Bühne und beginnt ein rhythmisches Geräusch und eine entsprechende Bewegung zu machen, danach ergänzen die anderen der Reihe nach dieses Geräusch/ diese Bewegung, bis alle Spieler:innen eine Maschine ergeben. Danach gehen sie nacheinander wieder ab, bis der, der begonnen hat, noch übrig bleibt.

Was kann man an diesen Übungen erkennen? (> Phantasie spielt eine Rolle, Schaffung eigener Bilder; Verfremdung durch Körper; Gegenstände werden komisch…)

Statt des Körpers kann man auch einfache Requisiten benutzen.

Requisit als Metapher/ Zeichen

Alle sitzen im Kreis, in der Mitte liegt ein Tuch. Jeder, dem etwas einfällt, benutzt dieses Tuch (Baby, Tischdecke usw.)

Kurze Reflexion: Welche Vorteile hat die Verwendung eines Requisits in dieser Form?

Gruppenarbeit

Teilung des Kurses in  vier Gruppen a 6 Leute.  Jede Gruppe bekommt eine Art von Requisit: Gruppe 1: Seile; Gruppe 2: Koffer; Gruppe 3; Stühle, Gruppe 4: Stöcke

Aufgabe:

Erstellt eine Szene mit Anfang und Ende, bei der alle Spieler:innen beteiligt sind und euer Requisit mindestens drei verschiedene Bedeutungen annimmt.

Präsentation

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