Du blöde Finsternis

Klimakatastrophe, Kriege, Hungersnöte – man könnte an der Welt verzweifeln. Oder ihr im Kleinen etwas Positives entgegensetzen. Wie Klaus Schumacher mit seiner Inszenierung von Sam Steiners Stück im Jungen Schauspielhaus.

Foto: Sinje Hasheider

DIE KRITIK

Von irgendwoher ein dumpfes Grollen, vielleicht auch Schüsse. Manchmal ganz entfernt ein Martinshorn, eine Sirene. Es klingt unheimlich, was da von draußen zu hören ist. Das Draußen ist in Klaus Schumachers Inszenierung von Sam Steiners „Du blöde Finsternis“ dunkel und unheimlich. Wer von dort nach drinnen kommt, ist durch Unwetter oder Schlimmeres gegangen: Federn und Blätter auf den langen Regencapes und Masken zeugen davon. Drinnen – das ist die Telefonzentrale von „Brightline“, einem Sorgentelefon. Auf einem Podest hat Bühnenbildnerin Katrin Plötzky eine hellerleuchtete Insel gegen das finstere Draußen gesetzt: vier Bürotische mit Telefonen, Lampen und Papierkörben, eine Teeküche, ein mobiler Heizkörper – alles sehr realitätsgetreu und ungewöhnlich für Produktionen im Jungen Schauspielhaus. Aber genau das ist hier der Plan. Denn zum ersten Mal steht die Inszenierung einer englischen Komödie auf dem Programm, und die setzen nun mal nicht nur vom Bühnenbild her auf Realismus, sondern auch von den Dialogen. Sam Steiners „Du blöde Finsternis“, 2019 in Plymouth uraufgeführt, ist kein ausgewiesenes Jugendstück. Und eine krachende Komödie ist es auch nicht. Eher subtil und mit genauem Timing entstehen komische Situationen in Konfrontation mit der drohenden Apokalypse.

Lustige Hütchen und Doughnuts gegen Stimmungstiefs

Die trotzig-freundliche Telefonzentrale bietet einer Welt die Stirn, die in voller Fahrt dem Untergang entgegenschliddert. Die Leiterin Francis des vierköpfigen „Brightline“-Teams zum Beispiel. Christine Ochsenhofer verleiht dieser Figur einen fast schon enervierenden Optimismus. Alles lächelt sie weg, jede noch so kleine Handlung ihrer Mitarbeiter findet sie super. Gegen Stimmungstiefs gibt es von ihr lustige Hütchen und Doughnuts gegen Stimmungstiefs. Wahrscheinlich ist auch sie für das „Wort der Woche“ zuständig, das in großen Lettern auf einem Wandplakat steht und mal „Ausdauer“ oder mal „Verständnis“ lautet. Der 17jährige Joey (Nico-Alexander Wilhelm) ist neu im Team. Eigentlich will er Comiczeichner werden, jetzt jobbt er erst einmal in der Telefonseelsorge. Seine Distanz als Neuer beleuchtet die Arbeit von „Brightline“: Er muss vorgefertigte Begrüßungs- und Frageformeln von entsprechenden Karten ablesen und erkennt, dass allzu persönliche Fragen an die Kolleg:innen – wenn sie nicht abgebügelt werden – auch auf persönliche Probleme stoßen. Von Jon mit seinen ständigen Schmerzen („Mein Rücken ist die Hölle“) erfährt er, dass er von seinem Mann verlassen worden ist und jetzt einsam in der leer geräumten Wohnung sitzt. Hermann Book spielt Jon als vielschichtigen, tief verwundeten Charakter. Seine Telefonstimme zeigt den antrainierten Optimismus, sein wütend-schräges Posaunenspiel das, was darunter brodelt. Angie (Alicja Rosinski) nutzt die Anrufe für endlose Telefongespräche. Sie selbst hat außer einem Hund niemanden mehr. Als eine Anruferin trotz Angies professionellen Aufmunterungen noch während des Gespräches stirbt, scheint sie den Boden unter den Füßen zu verlieren. 

David gegen Goliath

Den Wechsel zwischen plötzlichen Abgründen und Zweckoptimismus inszeniert Schumacher behutsam. Auf parallel ablaufende Telefongespräche, bei denen kein Mensch irgend etwas versteht, auf das fortschreitende Chaos draußen und drinnen folgen Momente, in denen die Welt stillzustehen scheint. Etwa wenn Jon und Francis sich gegenseitig fragen, ob sie jemanden kennen, der…gestorben/erkrankt/ verhaftet oder umgebracht worden ist? Die Frage wird nicht zu Ende formuliert. Nur das Entsetzen in den Gesichtern verweist auf Schlimmes. Oder wenn die Nerven im Büro blank liegen, man sich angeschrien hat und nun verzweifelt nach einem Stimmungsheber sucht. Dann wird es ganz still. Bis Joey beginnt „Blackbird“ zu singen und die anderen nach und nach einsetzen. Ein vielstimmiger Gesang gegen den Untergang. David gegen Goliath.

https://junges.schauspielhaus.de/de_DE/stuecke-jsh/du-bloede-finsternis-14.1327658

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte

Den Katastrophen trotzen/ Krisen aushalten durch

  • Zusammenhalt im kleinen Kreis
  • Optimismus
  • Hoffnung
Formale Schwerpunkte
  • Realismus in Bühnenbild, Kostümen und Dialogen
  • parallel ablaufende unterschiedliche Gespräche 
  • akustische Darstellung der Außenwelt
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 14/15 Jahre; ab Klasse 10
  • empfohlen für Englisch-, WiPo- , Ethik- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

In einer Dystopie beschreibt Sam Steiner, wie die Welt unrettbar im Chaos versinkt. In der Telefonzentrale „Brightline“ versucht jedoch ein vierköpfiges Team Hoffnung und Zuversicht bei ihren Anrufern zu verbreiten. Der Optimismus ist antrainiert, scheint aber fast immer zu helfen. Auch die Mitarbeiter selbst profitieren davon. Je positiver der Alltag mit Doughnuts, lustigen Hütchen und vor allem Lob gestaltet wird, desto leichter lässt sich auch mit privaten Sorgen umgehen, die jede:r von ihnen hat: Francis, die Büroleiterin, ist mit Ende Vierzig schwanger geworden. Auf die Frage, ob sie in diese Welt tatsächlich ein Kind setzen will, zögert sie zunächst, gibt dann aber fast trotzig eine positive Antwort. Jon, ungefähr im gleichen Alter, hat selbst früher bei „Brightline“ Hilfe gesucht und ist darüber später zum Mitarbeiter geworden. Als er von seinem Mann verlassen wird, findet er Halt im Team. Genauso wie die junge, nur mit ihrem Hund lebende Angie, bei der eine Anruferin während des Gesprächs vermutlich an einer Überdosis stirbt. Der 17jährige Joey stellt als Neuer die richtigen Fragen und erfährt dadurch auch Persönliches von seinen Kolleg:innen. Seine Bewerbung für ein Studium als Comic-Zeichner schiebt er hinaus, die Arbeit im Team ist ihm wichtiger. Denn je mehr das Chaos auch in die Telefonzentrale dringt (es gibt weder Strom noch Heizung, die Eingänge unzugänglich), bleibt „Brightline“ die einzige Hoffnung.

Mögliche VorbereitungeN

Im Unterrichtsgespräch oder in Gruppenarbeit: 

Das Expert:innengespräch mit Prof. Sven Sohr zum Thema der positiven Psychologie und deren Möglichkeiten und Aufgaben innerhalb einer krisengeschüttelten Gesellschaft vor allem für die junge Generation unter:

https://soundcloud.com/hoerspielhaus/von-der-kraft-der-empathie-und-gemeinschaft

Direkt mit der Probenarbeit beschäftigt sich das Gespräch mit der Dramaturgin Stanislava Jević und Regisseur Klaus Schumacher sowie den beiden Schauspieler:innen Nico-Alexander Wilhelm und Alicja Rosinski unter:

 https://www.youtube.com/watch?v=7OkGfeamqWk

Die Theaterpädagogik des Jungen Schauspielhauses bietet im Unterrichtsmaterial zu diesem Stück weitere Adressen zu Websites rund um das Stück und seinen Themenschwerpunkt an unter:

https://media02.culturebase.org/data/docs-schauspielhaus/Recherche-Tipps.pdf

Speziell für den Theaterunterricht

Vorübungen
Chor der Laute

Die Gruppe geht  durch den Raum, jede:r sucht sich einen Ton, den er/sie vor sich hin summt, schlägt dann mit den Fäusten leicht auf den Brustkorb, lässt den Laut immer lauter werden. Andere können sich anschließen, bis gemeinsamer Laut gefunden worden ist und sich alle zu einem Kreis formieren.

Bauen einer Maschine

Ein:e Spieler:in betritt die Bühne und gibt rhythmisch einen Laut zu einer Bewegung von sich. Es folgt der/die nächste mit  eigenem Laut und Bewegung usw, bis die ganze Gruppe auf der Bühne steht. Dann verlässt der/die  erste Spieler:in die Bühne, nacheinander folgen Spieler:in zwei usw, bis der/die letzte übrig bleibt.

Wirkung besprechen. 

Darstellung eines anderen Raumes über akustische Mittel

Die Gruppe wird in Vierer- oder Fünfergruppen geteilt. 

Aufgabe: Zu der laufenden Szenenarbeit oder zu einer erdachten Situation (z.B. im Büro, in der Schule, zu Hause o.ä.) soll ein angrenzender Ort durch akustische Mittel gestaltet werden. Welcher Ort das ist, dürft ihr selbst entscheiden. Für die Darstellung des Ortes dürft ihr folgende Mittel benutzen: Alltagsgegenstände, Instrumente aus dem Fundus (falls vorhanden), eure Stimmen, Handys. 

Arbeitszeit ca 15 Minuten.

Bei der anschließenden Präsentation sollen die anderen Gruppen den Ort und dessen Stimmung beschreiben.