Die Dreigroschenoper

Der Bürger als Gangster, der Gangster als Bürger – bleibt alles, wie es war. Peter Jordans und Leonhard Koppelmanns temporeiche Inszenierung der „Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill im St. Pauli Theater.

Foto: Kirsten Schomburg

DIE KRITIK

Sie ist einfach nicht umzubringen. Seit ihrer Uraufführung am 31. August 1928 am Berliner Theater am Schiffbauerdamm wird „Die Dreigroschenoper“ vor allem auf deutschsprachigen Bühnen rauf und runter gespielt. Aus gutem Grund. Songs wie „Der Kanonensong“, „Die Moritat von Mackie Messer“ oder „Die Seeräuber-Jenny“ haben internationale Stars in ihr Repertoire aufgenommen. Dass der Haifisch Zähne hat, kann jedes Kind mitsingen. Hinzu kommen die gesellschaftskritischen Texte, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. So bedauerlich das ist, aber wer am Rande der Gesellschaft lebt, kann schon mal gewalttätig werden. Denn noch immer gilt das Wort von Mackie Messer: “Wie ihr es immer dreht und wie ihr’s immer schiebt – Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Und was ist mit der Korruption? Der engen Verflechtung von Gangstern mit der Polizei? Jeder bessere Fernsehkrimi zeigt, wie anfällig unterbezahlte Polizisten für Schmiergelder aus der Unterwelt sind und wie generös sie dafür Ort und Zeit von Razzien verraten. Berichte über Bürger, die ihren Wohlstand aus zweifelhaften Geschäften beziehen, tauchen in schöner Regelmäßigkeit in den Medien auf. 

Kurz und gut: Mit der „Dreigroschenoper“ ist Bertolt Brecht und Kurt Weill, beide erst dreißig (Brecht) bzw achtundzwanzig (Weill) Jahre alt, ein echter Coup gelungen. Ganz und gar für sich verbuchen konnte Brecht das als Oper gehandelte Stück nicht. Vielmehr hatte er sich bei der zweihundert Jahre zuvor uraufgeführten „Beggar’s Opera“ von John Gay bedient, auf die ihn seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann aufmerksam gemacht hatte. Sie hatte auch einen großen Anteil an den Texten. Egal – die Gemeinschaftsarbeit wurde ein Hit. 

Im St Pauli Theater fühlt man sich in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts versetzt.

Jetzt hat es „Die Dreigroschenoper“ mal wieder ins St. Pauli Theater geschafft. Die letzte Produktion mit Ulrich Tukur als Mackie Messer an diesem Haus liegt schon eine ganze Weile zurück, insofern konnten Peter Jordan und Leonhard Koppelmann unbekümmert drauf los inszenieren.

Das Theater mit seinem plüschigen Charme bietet selbst schon einen famosen Rahmen. Hier fühlt man sich schnell in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts versetzt. Jordan/Koppelmann, bereits ein eingespieltes Regie-Duo, haben sich das Ambiente zunutze gemacht. Ihre „Dreigroschenoper“ spielt genau in dieser Zeit, eine Aktualisierung über Kostüme oder Bühnenbild gibt es nicht. Die Kostüme (Barbara Aigner) könnten mit ihrem Glitzer und Glamour direkt aus der Serie „Babylon Berlin“ stammen. Ebenso die mitreißenden Choreografien von Harald Kratochwil, die von Tanzrevuen bis zu HipHop-Elementen reichen und häufig das gesamte 13köpfige Ensemble in Bewegung halten. Grandios ist auch das Orchester mit sieben Musikern im Orchestergraben vor der ersten Zuschauerreihe und in den beiden Logen. Dessen Leiter Uwe Granitzer mit Frack und weißer Fliege verbeugt sich standesgemäß, dann geht es los mit Weills schräger Ouvertüre.

Ironie haben sich Jordan/Koppelmann nicht nehmen lassen. 

Der rote Samtvorhang schwingt zur Seite – und auf der Bühne hält eine einsame Person ein Schild hoch. Ein typischer Verfremdungseffekt bei Brecht. Allerdings steht da „Ende der Oper“. Hastig wird das Schild gedreht. Jetzt heißt es: „Anfang der Oper“. Ironie haben sich Jordan und Koppelmann nicht nehmen lassen. Weder bei den Brechtschen Theatermitteln noch bei anderen Verweisen. Eine Projektion auf den Bühnenhintergrund mit rotem Stern, Mackie Messers Kopf und einer Pistole erinnert an die Plakate der RAF, ein Live-Ticker mit den „Breaking News“ zur Krönung der Königin an die aufgeregten CNN-Nachrichten (Video: Enrico Rode; graphische Animation: Meike Fehre) Die sind insofern wichtig, als die Feierlichkeiten reibungslos ablaufen müssen. Dafür ist der korrupte Polizeichef Tiger Brown (Stephan Schad) verantwortlich. Da der aber mit Macheath (sehr cool und elegant: Michael Rotschopf) befreundet ist, kann ihn der aalglatte Peachum (Gustav Peter Wöhler) unter Druck setzen. Schafft Brown es nicht, Macheath, der Peachums Tochter Polly ( Anneke Schwabe) geheiratet hat, zu verhaften, würde er mit seinen zerlumpten Bettlern die Krönung stören. Wie die Geschichte ausgeht, ist bekannt: Macheath wird verhaftet und durch den reitenden Boten des Königs begnadigt. Bei aller Gesellschaftskritik, die sich vor allem auch in den Songtexten wiederfindet: Jordan/Koppelmann ersparen dem Publikum den erhobenen Zeigefinger und inszenieren eine rasante Revue mit einem diversen Ensemble, das nicht nur ausgezeichnet singen kann, sondern auch ganz offensichtlich viel Spaß an dieser „Dreigroschenoper“ hat. Und der überträgt sich auf das Publikum. Das St Pauli Theater wäre gut beraten, diese Produktion länger im Spielplan zu behalten.

https://www.st-pauli-theater.de/programm/die-dreigroschenoper-2/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte

Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft

  • Die Verquickung von Gangstern und Polizei
  • Korruption 
  • Profitgier
  • Entlastung und Rehabilitation von Gangstern durch den Staat
  • Armut als Ursache für Gesetzesübertretung/unmoralisches Handeln/ Grausamkeit
Formale Schwerpunkte

Überspitzungen

revueartige Tanzeinlagen

Elemente des Brechtschen Theaters: 

  • den Inhalt kommentierende Songs
  • Tafeln (hier: Projektionen), die das folgende Geschehen zusammenfassen
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 14/15 Jahre; ab Klasse 9/10
  • empfohlen für Deutsch-, Musik- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Jonathan Jeremiah Peachem besitzt in London die Firma „Bettlers Freund“. Dort stattet er Bettler und solche, die es werden wollen, mit kategorisierten Kostümen aus und schickt sie in die Bezirke, in denen die Bewohner für das jeweils dargestellte Elend am empfänglichsten und somit am spendabelsten sind. Klar, dass die organisierten Bettler nach getaner Arbeit den Großteil ihres Lohns bei Peachum abliefern müssen. Peachum gilt als ehrbarer Geschäftsmann und Bürger im Gegensatz zu Macheath, genannt Mackie Messer. Der ist ein gefürchteter Gangster, der wie ein Unternehmer einer mehrköpfigen Bande vorsteht. Seine Raubzüge haben ihm bereits ein beträchtliches Vermögen eingebracht, so dass er erwägt, in absehbarer Zeit ins Bankgeschäft, also in die Bürgerlichkeit, zu wechseln. Die Polizei muss er nicht fürchten. Zusammen mit Tiger Brown, Londons oberstem Polizeichef, hat er früher in der Armee gedient, jetzt verbindet beide weiterhin eine Freundschaft, die auf Geben und Nehmen beruht: Macheath schmiert die Polizei, die wiederum verrät ihm, wann und wo Razzien stattfinden. 

Zum Ärger von Peachum hat seine Tochter Polly Macheath heimlich geheiratet. Peachum fürchtet um seinen Ruf und will die Ehe so schnell wie möglich rückgängig machen. Da Polly einer Scheidung nicht einwilligt, bringen Peachum und seine Frau die Huren, bei denen Macheath regelmäßig verkehrt, dazu, ihn zu verraten. Es gelingt schließlich, Macheath ins Gefängnis und sogar an den Galgen zu bringen. Doch bevor der Tod durch den Strang vollzogen wird, erscheint der reitende Bote des Königs, begnadigt den Gangsterboss und hebt ihn sogar in den Adelsstand. 

Mögliche VorbereitungeN

Über Referate, in Gruppenarbeit oder einen Vortrag der Lehrkraft:

  • Die gesellschaftliche Situation zu Beginn des 20. Jahrhundert im Vergleich mit der im 21. Jahrhundert
  • Inhalt der „Dreigroschenoper“ (über Inhaltsangabe oder Lesen des Stücks) 
  • Interpretation einzelner Songtexte, z.B. „Über die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse“, „Denn wovon lebt der Mensch?“,  „Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“,  „Die Ballade vom angenehmen Leben“
  • Biografie Bertolt Brechts
  • Entstehung und Rezeption der „Dreigroschenoper“
  • Musikstile innerhalb der „Dreigroschenoper“

Speziell für den Theaterunterricht

In Gruppen vorbereiten und präsentieren:

Das  epische Theater Bertolt Brechts (Vergleich zwischen aristotelischem und nicht-aristotelischem Theater)

Umsetzung am Beispiel eigener Szenen

Teilung in Sechser-Gruppen. Jede Gruppe sucht sich ein Thema/ ein gesellschaftliches Problem und stellt dieses als Standbild oder kurze Szene dar. Ein:e Spieler:in tritt aus dem Bild/der Szene heraus und kommentiert es mit Mitteln des epischen Theaters (Plakat, eigener Text, Song)

Möglich ist dieses Verfahren auch für Szenen aus der laufenden Szenenarbeit.