Der schwarze Mönch

Wo ist das Glück, die Freiheit? In der geordneten Bürgerlichkeit oder im rauschhaften Wahnsinn? Kirill Serebrennikovs überbordende Inszenierung am Thalia Theater nach einer Erzählung von Anton Tschechow.

Kowrin (Odin Biron, Filipp Avdeev, Mirco Kreibich) im Bann des schwarzen Mönchs – Foto: Krafft Angerer

DIE KRITIK

Die Geschichte an sich ist schnell erzählt. Andrej Kowrin, ein junger, verstörter Künstler, sucht Ruhe. Die glaubt er auf dem Land zu finden, genauer bei dem Alten, der einen Gärtnereibetrieb besitzt und den Kowrin schon  aus Kinder- und Jugendtagen kennt. Dessen Leben verläuft im Gegensatz zu Kowrins in geordneten Bahnen, denn als Gärtner richtet es sich nach den Notwendigkeiten, die ihm die Natur auferlegt. Um die Nachfolge für seinen Betrieb zu regeln, verheiratet der Alte seine Tochter mit Kowrin. Doch der erträgt die Normalität nicht. Als eine Art Alter Ego erscheint ihm als Vision der schwarze Mönch, der ihn in seinem Wunsch nach Freiheit und Grandiosität bestärkt und Kowrin letztlich wahnsinnig werden lässt.  

Ein Ensemble aus russischen, deutschen, amerikanischen und lettischen Künstlern

So weit, so knapp. Dass aus Anton Tschechows in Deutschland weitgehend unbekannter Erzählung „Der schwarze Mönch“ ein wahres Theaterereignis wurde, ist dem russischen Regisseur Kirill Serebrennikov  zu verdanken. Wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern zunächst zu zwei Jahren Hausarrest verurteilt, durfte er nach dessen Aufhebung seit 2019 Russland nicht mehr verlassen. Er inszenierte zwar an verschiedenen Theatern und Opernhäusern, aber immer nur per Zoom. Anfang diesen Jahres konnte Serebrennikov völlig überraschend für die Endproben nach Hamburg ausreisen. Seit Kriegsbeginn ist er nicht wieder nach Russland zurückgekehrt und lebt jetzt in Berlin. Mit einem Ensemble aus russischen, deutschen, amerikanischen und lettischen Künstlern erlebte „Der schwarze Mönch“ im Januar seine umjubelte Uraufführung im Thalia Theater, im Juli eröffnete die Produktion das Festival d’Avignon im Cour d’Honneur des Papstpalastes, belohnt mit stehenden Ovationen eines internationalen Publikums.

Das reale Geschehen wird im zweiten und dritten Teil zunehmend von Wahnvorstellungen überlagert

Serebrennikov, auch verantwortlich für das Bühnenbild,  erzählt die Geschichte um Kowrin als Bewusstseinsstrom in vier Abschnitten, leitmotivisch verbunden durch sakrale Choräle (Musik: Jëkabs Nïmanis). Mit jedem Teil ergibt sich Kowrin, gespielt von drei verschiedenen Schauspielern (Mirco Kreibich, Odin Baron, Philipp Avdeev) mehr und mehr dem schwarzen Mönch und damit dem Wahnsinn. Finden sich im ersten Teil die drei Gewächshäuser des Alten als Spiegel der Ordnung noch prominent in der Bühnenmitte und wird auch hier noch die Handlung nachvollziehbar erzählt, werden die Gewächshäuser und damit die Normalität mit jedem Teil weiter nach hinten gedrängt, bis sie schließlich auf dem Kopf stehen. Das reale Geschehen wird im zweiten und dritten Teil zunehmend von Wahnvorstellungen überlagert: Erinnerungen blitzen als Textfetzen oder über Figuren auf und vermischen sich mit Visionen und Zeitsprüngen. Die junge Tanja, Tochter des Alten und Frau von Kowrin (Viktoria Miroshnichenko), erscheint gleichzeitig mit der älteren, von Kowrin verlassene Tanja (Gabriela Maria Schmeide), der Alte (Bernd Grawert) brabbelt seinen Text nur im Hintergrund. Auf kreisrunden, mondartigen Scheiben erscheint das  zur Fratze gewordene Gesicht der drei verschiedenen Kowrins, seine Identität ist aufgelöst. Mit jedem Teil erscheinen immer mehr schwarz gewandete Tänzer, schwarze Mönche, die Kowrins Bewusstsein vernebeln. Im vierten Teil fluten sie die Bühne und verschlucken Kowrin. Glücklich lächelnd stirbt er.

https://www.thalia-theater.de/stueck/der-schwarze-moench-2021

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Flucht aus der Normalität 
  • Bürgerlichkeit vs Genialität und Freiheit
  • Die Auflösung des Ich
Formale Schwerpunkte
  • Wiederholungen und Variationen eines Inhalts
  • Fragmentierung einer Handlung in Teilstücke  und deren neue Zusammensetzung
  • Musik als Verweis auf Tradition der Mönche
  • Tanz als Ausdrucksmittel für zunehmenden Wahnsinn
  • Videoaufnahmen zur Darstellung des Wahnsinns
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 16 Jahre/ Jahrgangsstufe 10/11
  • geeignet für den Theater- und Ethikunterricht
Zum Inhalt

Andrej Kowrin, ein junger, verstörter Künstler, flieht von der Stadt aufs Land, um dort Heilung und Ruhe zu finden. Bei dem Alten, der einen Gärtnereibetrieb besitzt und den er aus seiner Jugend kennt, findet er Unterkunft. Er ist fasziniert von dessen Ordnung und Struktur, die im vollkommenen Gegensatz zu seinem eigenen Chaos stehen.Der Alte sorgt sich um seine Nachfolge, da er die sorgsam aufgebaute und gehegte Gärtnerei nicht verkommen lassen möchte. Kowrin geht auf seinen Vorschlag ein, seine Tochter Tanja zu heiraten und damit die Nachfolge anzutreten. Doch Kowrin ist eine Enttäuschung. Kaum verheiratet widmet er sich wieder der Kunst, der Freiheit und flieht aus der Bürgerlichkeit. Dazu erfindet er die Vision vom schwarzen Mönch, einer Art Alter Ego. Mit ihm verlässt er die Ehe und alles Bürgerliche und ergibt sich im Glauben an die eigene Grandiosität dem Wahnsinn. Er stirbt glücklich lächelnd.  

Mögliche Vorbereitung

Überlegungen zu einem Lebensentwurf (evtl. über einen anonymen Fragebogen) unter dem Titel „Wie will ich leben?“

Mögliche Aspekte: 

  • Bürgerlich? Was bedeutet Bürgerlichkeit? Welche Konsequenzen hat sie auf mein Leben? Welche Vor- und welche Nachteile bieten sie? 
  • Frei? In welcher Form kann ich frei sein? Wie definiere ich Freiheit? Welche Konsequenzen hat sie für  mein Leben? Welche Vor- und welche Nachteile bietet sie?

Nach der Auswertung der Fragebögen könnte eine Diskussion über die Art der Lebensgestaltung erfolgen.

Speziell für den Theaterunterricht

VORSCHLÄGE FÜR ÜBUNGEN
Vorlesen – Gehen – Stehen bleiben

Die Lehrkraft liest die Inhaltsangabe langsam vor, dabei steht die Gruppe in einer Reihe und geht während des Vorlesens langsam Schritt für Schritt voran. Jede:r bleibt an der Stelle stehen, die ihm/ihr interessant erscheint und nennt im Anschluss den Aspekt, bei dem er/sie stehen geblieben ist. Anschließend werden diese Punkte der Reihe nach abgefragt und auf einzelnen Zetteln notiert, auch wenn mehrere denselben Aspekt genannt haben, denn hier zeichnen sich bereits Schwerpunkte ab. Um den gesamten Inhalt zu erfassen, wird dieser Vorgang noch einmal wiederholt: Vorlesen – Gehen – Stehen bleiben – Stichwörter notieren.

Figurensplitting

Auswahl einer Szene mit ein oder zwei Figuren. Zwei oder drei Schüler:innen spielen die gleiche Figur. Sie benutzen dieselbe Handlung, dasselbe Kostüm, setzen aber eigene Schwerpunkte bei der Umsetzung. Dadurch werden unterschiedliche Facetten oder Entwicklungen der Figur deutlich.

Einsatz von Musik, Tanz und Videoeinspielungen als erzählende Elemente