Sie sind das berühmteste Liebespaar der Welt. Zigtausendmal ist Shakespeares Tragödie seit ihrer Uraufführung 1597 über die Bühnen dieser Welt gegangen: als Ballett, als Oper und vor allem als Drama im Sprechtheater. Es muss also gute Gründe geben, warum man die Geschichte von „Romeo und Julia“ im Jahr 2025 noch einmal erzählen will. Aber welche genau leiteten Anton Pleva bei seiner Inszenierung am Ernst Deutsch Theater?

Die Kritik
Es ist Nacht. Ein Scheinwerfer beleuchtet als Mond am Bühnenhimmel eine dunkle Stadt, deutlich hebt sich ein Vogel (eine Nachtigall? eine Lerche?) auf einem Dachfirst ab. Eine Gestalt in Mönchskutte stellt sich stumm an die Rampe und lauscht unbeweglich dem Streit zweier Gruppen. Es sind Vertreter der Montagues und Capulets, der beiden verfeindeten Familien. Dann wird es heller und wir sehen ein hoch aufgetürmtes Bühnenbild (Timo von Kriegstein), das einen zu erschlagen droht: Treppen, begehbare Häuser, die Terrasse eines Cafés, darunter weitere Verstecke, jede Menge wuchernde Pflanzen – und all das wird von der Drehbühne unermüdlich in Bewegung gesetzt. Die Fantasie des Publikums? Wird nicht benötigt. Ist ja alles auserzählt. Das hier soll Italien, wahrscheinlich die Stadt Verona sein, denn die ist ja der Ort, in dem die Tragödie von Romeo und Julia abläuft.
Ein Mix aus Irgendwie-Pumphosen und Straßenschuhen.
Regisseur Anton Pleva bleibt also an dem von Shakespeare beschriebenen Ort und setzt damit schon erste Grenzen. Diese Geschichte für die Gegenwart zu erzählen und ihre Gültigkeit auch jenseits vom Italien des 16. Jahrhunderts zu überprüfen, wird dadurch ungleich schwieriger. Auch die Kostüme (Amelie Müller) helfen nicht viel weiter: Historische Roben kennzeichnen die meisten Figuren, Romeo (Lasse Stadelmann) und Julia (Linda Rohrer) stecken in einem Mix aus Irgendwie-Pumphosen und Straßenschuhen, was sie aber auch nicht wirklich zeitlos erscheinen lässt. Der Text in der Übersetzung von Frank Günther orientiert sich überwiegend an der gebundenen Sprache (und den sehr ausführlichen, heute nicht mehr recht zündenden Wortspiel-Neckereien), nur ab und an schleicht sich aktuelle Umgangssprache ein.
Nichts Neues, nichts Überraschendes also. Die bekannte Geschichte wird brav nacherzählt und teilweise durch das Rotieren der Drehbühne, meist begleitet von ausführlich gespielten italienischen Canzones (Musik und Sounddesign: Henrik Demcker) in die Länge gezogen. Da können Romeos Vettern Benvolio (Alegra Tessmann) und Mercutio (Julika Frieß) noch so laut streiten oder „Bella Ciao“ grölen und Vater Capulet (José Barros Moncada) beim Maskenfest die laut kichernde Amme (Nina Sarita Balthasar) über die Bühne jagen, eine Dynamik will einfach nicht aufkommen, der Inszenierung fehlt das richtige Maß fürs Tempo.
Linda Rohrer ist die Entdeckung des Abends.
Deutlich glücklicher gelingt die Besetzung. Zwar bleibt die Frage, warum mit Alegra Tessmann und Julia Frieß zwei Frauen Romeos Vettern spielen, weil das Gender-Übergreifende hier nicht stimmig ist, aber sei’s drum, die beiden geben ihr Bestes. Ebenso der Rest des Ensembles, wobei vor allem Rune Jürgensen erwähnt sein soll. Er spielt den Kellner des Cafés, in dem die jungen Leute abhängen, und Pater Lorenzo, der Romeo und Julia heimlich traut und die Idee zu dem Julias Tod vortäuschenden Trank hat. In beiden Rollen zeigt er eine schmunzelnde Überlegenheit. Diese Jugend mit ihren spinnerten Ideen versteht er, auch wenn sie ihm auf den Keks geht, und er hilft, wo er kann.

Dass der nach der Ermordung Tybalts in die Verbannung geschickte Romeo Lorenzos Nachricht nicht erhält, lässt seinen Plan kippen: Romeo hält Julia tatsächlich für tot und nimmt sich das Leben. Aufbegehrt hätte er ohnehin nicht, denn Lasse Stadelmann legt ihn von Anfang an als weinerlichen Tropf an, und man fragt sich, warum um alles in der Welt ein Energiebündel wie Linda Rohrers Julia sich in dieses Weichei verliebt (das bei der ersten Begegnung auch noch in einem unvorteilhaften Clowns-Kostüm steckt). Rohrer ist die Entdeckung des Abends. Da gibt es kein Schmachten, kein aufgesetztes Pathos. Mit überbordender Lebenslust verknallt sie sich, kann nicht still sitzen, wenn sie auf Romeo wartet, fliegt ihm entgegen, wenn er endlich kommt. Der Tod ihres Vetters Tybalt (zunächst glaubt sie, dass Romeo gestorben sei) lässt sie stumm werden, ihre nach innen gekehrte Trauer wirkt stärker als jede große Geste. Mit ihr hat Pleva eine strake und sehenswerte Julia gefunden. Sie hätte der Schlüssel zu einer Inszenierungsidee gewesen sein können. Einer Idee dazu, warum man heute die Geschichte von Romeo und Julia noch einmal erzählen will. Aber die bleibt Pleva leider schuldig.
Weitere Informationen unter: https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/veranstaltung/romeo-und-julia-372
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Feindschaft zwischen zwei Familien
- Überwindung der Feindschaft durch die Liebe
Formale SchwerpunKte
- Viel Bewegung durch Bühnenbild auf mehreren Ebenen
- Am Realismus orientierte Spielweise
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 15/16 Jahre, ab Klasse 9/10
- Möglich für Englisch-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Die Familien der Montagues und Capulets leben seit ewigen Zeiten in Feindschaft, und doch verlieben sich deren Kinder Romeo und Julia auf dem Maskenball der Capulets, auf den sich Romeo mit seinen beiden Vettern eingeschlichen hat, ineinander. Julia soll zwar in wenigen Tagen den Grafen Paris heiraten – so will es ihr Vater-, aber das hindert sie nicht daran, sich von Pater Lorenzo heimlich mit Romeo trauen zu lassen. Bei einem Streit zwischen den jungen Leuten beider Familien ersticht Romeo Julias Vetter Tybalt und wird dafür in die Verbannung geschickt. Julia, deren Hochzeit mit dem Grafen Paris für den übernächsten Tag festgesetzt ist, holt sich Rat bei Pater Lorenzo. Mit einem Trank, der sie für 36 Stunden wie tot sein lässt, täuscht sie ihre Familie und den Grafen. Man bettet sie in eine Gruft, wo sie, so der Plan des Paters, auf Romeo warten soll. Ein Brief soll Romeo erklären, was zu tun ist. Allerdings wird der Bote aufgehalten und Romeo, der aus anderer Quelle vom Tod Julias erfahren hat, begibt sich zu der Gruft, findet dort die tot erscheinende Julia und bringt sich um. Wenig später erwacht Julia, sieht den Leichnam Romeos und tötet sich nun ebenfalls.
Mögliche Vorbereitungen
- Shakespeare: Romeo und Julia (Inhaltsangabe)
- Recherche zur Wirkungsgeschichte vor „Romeo und Julia“
Im Unterrichtsgespräch:
- Welche Aspekte der Geschichte erscheinen euch wichtig?
- Welche Aspekte sind heute noch gültig?
Speziell für den Theaterunterricht
Dialog und Bewegung
Die Spielleitung erstellt mit der Gruppe eine Art Parcours auf der Bühne (evtl. mit verschiedenen Ebenen) und teilt Dreiergruppen ein.
Aufgabe:
- Lest den nachfolgenden Dialog und streicht ihn so zusammen, dass Romeo und Julia jeweils nur zwischen 30 und 50 Wörter sprechen. Konzentriert euch dabei auf das, was euch wichtig erscheint.
- Probt jetzt diesen Dialog, indem ihr dabei den Parcours nutzt und möglichst viele Bewegungen vollführt. Eine:r in der Gruppe führt dabei Regie.
- Danach: Präsentation und Feedback zur Wirkung.
Text
ROMEO
Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt.
Julia erscheint oben an einem Fenster.
Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?
Es ist der Ost, und Julia die Sonne! –
Geh auf, du holde Sonn! Ertöte Lunen,
Die neidisch ist und schon vor Grame bleich,
Daß du viel schöner bist, obwohl ihr dienend.
O da sie neidisch ist, so dien ihr nicht!
Nur Toren gehn in ihrer blassen, kranken
Vestalentracht einher; wirf du sie ab!
Sie ist es, meine Göttin, meine Liebe!
O wüßte sie, daß sie es ist! –
Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das?
Ihr Auge redt, ich will ihm Antwort geben. –
Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir.
Ein Paar der schönsten Stern am ganzen Himmel
Wird ausgesandt und bittet Juliens Augen,
In ihren Kreisen unterdes zu funkeln.
Doch wären ihre Augen dort, die Sterne
In ihrem Antlitz? Würde nicht der Glanz
Von ihren Wangen jene so beschämen
Wie Sonnenlicht die Lampe? Würd ihr Aug
Aus luftgen Höhn sich nicht so hell ergießen,
Daß Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen?
O wie sie auf die Hand die Wange lehnt!
Wär ich der Handschuh doch auf dieser Hand
Und küßte diese Wange!
(…)
JULIA
O Romeo! Warum denn Romeo?
Verleugne deinen Vater, deinen Namen!
Willst du das nicht, schwör dich zu meinem Liebsten,
Und ich bin länger keine Capulet!
ROMEO
für sich.
Hör ich noch länger, oder soll ich reden?
JULIA
Dein Nam ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst,
Und wärst du auch kein Montague. Was ist
Denn Montague? Es ist nicht Hand, nicht Fuß,
Nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Teil
Von einem Menschen. Sei ein andrer Name!
Was ist ein Name? Was uns Rose heißt,
Wie es auch hieße, würde lieblich duften;
So Romeo, wenn er auch anders hieße,
Er würde doch den köstlichen Gehalt
Bewahren, welcher sein ist ohne Titel.
O Romeo, leg deinen Namen ab,
Und für den Namen, der dein Selbst nicht ist,
Nimm meines ganz!
Aus: https://www.projekt-gutenberg.org/shakespr/romeo1/romeo.html