„Sie sind mir sympathisch.“ – Wenn Kommunikation nicht funktioniert, kann so ein Satz eine Existenz vernichten. Gelöst ist am Ende des Theaterabends gar nichts und der Ball liegt beim Publikum. Zu Ulrich Wallers Inszenierung von David Mamets „Oleanna“ am Hamburger St. Pauli Theater.

Die Kritik
„Ich verstehe Sie nicht.“ Leitmotivisch zieht sich dieser Satz durch das gesamte Stück. Anfangs ist es vor allem die Studentin Carol (Johanna Asch), die ihn fragend-fordernd ausspricht. Später entfährt er dann dem zunehmend verzweifelten Professor John (Sven-Eric Bechtolf). Nein, es klappt überhaupt nicht mit dem gegenseitigen Verstehen. Denn Kommunikation ist ja ein ein vielschichtiger Prozess zwischen jemandem, der eine Nachricht sendet, und jemandem, der diese Nachricht empfängt. Bei beiden spielen Alter, sozialer Stand, aktuelle Gefühle und die jeweilige Absicht eine Rolle, aber die harmonieren leider nicht immer. Tja, und genau das ist in David Mamets „Oleanna“ der Fall oder besser: das Problem.
Gleich nach der Uraufführung 1992 erhielt das Drama das Etikett „Skandalstück“, hatte doch der amerikanische Dramatiker und Drehbuchautor Mamet (u.a. „Wenn der Postmann zweimal klingelt“) ein sensibles Thema angerissen: die Frage danach, wann etwas als sexueller Übergriff gewertet werden kann oder muss. Damit geht es aber auch gleichzeitig um Machtverhältnisse. Nicht umsonst trägt die Inszenierung am St. Pauli Theater den Untertitel „Ein Machtspiel“. In drei Akten verschiebt sich das Gefüge zwischen der Studentin Carol und ihrem Professor John. Ist es zunächst sie, die wie eine Bittstellerin in seinem Büro erscheint, weil sie etwas in seinem Seminar nicht verstanden hat, gerät zunehmend John in die Defensive, weil er nicht versteht, was genau ihm vorgeworfen wird.
Der Fokus liegt auf dem Abstand zwischen den Generationen.
Die Bühne (Raimund Bauer) erinnert mit dem erhöhten kreisrunden Boden an eine Arena, zu der die beiden Protagonist:innen – oder soll man sagen: Kämpfer:innen? – hinaufsteigen. Hier befindet sich Johns modern eingerichtetes Büro mit Couch, Tisch und Drehstuhl, die mit jedem Akt neu arrangiert werden. Sven-Eric Bechtolf hatte den Professor bereits 1994 in der Regie von Jürgen Flimm am Thalia Theater gespielt, damals also noch nur wenig älter als seine Studentin. Jetzt gut 30 Jahre später verschiebt sich die Rolle in Richtung „alter (weißer) Mann“ und setzt den Fokus auf den Abstand zwischen den Generationen. Bechtolfs John ist sich seiner Position sehr sicher. Er ist verheiratet, hat einen Sohn und ist drauf und dran an der Universität eine Stellung auf Lebenszeit zu bekommen. Das damit verbundene hoch dotierte Einkommen investiert er schon mal in den Kauf eines Hauses. Der ist allerdings noch nicht in trockenen Tüchern, weshalb er ständig wahlweise von seiner Frau Grace oder seinem Freund Jerry angerufen wird. Das ständig das Gespräch mit Carol unterbrechende Telefonklingeln nervt nicht nur, es verleiht John auch eine zusätzliche Wichtigkeit, etwas Unabkömmliches.
Carol hat während des Gespräches alles mitgeschrieben. Damit schwindet ihre Schüchternheit.
Johanna Asch kann einem gestandenen Theaterstar wie Bechtolf locker das Wasser reichen. Mit Bravour vollzieht sie die Wandlung der Studentin von einem kleinen Niemand zur mächtigen Richterin über Johns Verhalten. Bechtolfs feines Spiel macht John nicht automatisch zum Unsympathen und Schuldigen. Er zeigt vielmehr, wie John seine Unbeholfenheit im Umgang mit der Jugend, ihrer Sprache und Werten mit Großspurigkeit zu kaschieren sucht, am Ende aber kläglich scheitert. Carol, die beinahe unterwürfig mit einem Heft vor der Brust ihre Fragen zum Seminar stellt, unterbricht er zunächst ständig, spreizt sich dann aber in ausführlicher Selbstgefälligkeit, wenn er ihr einzelne Begriffe oder seine Thesen erläutern kann. Mit kurzen Handbewegungen dirigiert er sie auf den Stuhl, später auf die Couch neben sich. Dass er beim Suchen nach dem klingelnden Telefon über ihre Schulter greift und sein allmählich wachsendes Interesse an ihren Fragen mit dem Satz begründet „ weil Sie mir sympathisch sind“, wird ihm später zum Verhängnis. Denn Carol hat während dieses Gespräches alles mitgeschrieben. Damit schwindet ihre Schüchternheit.
John wollte „nicht der kalte, rigide Lehrer sein“.
Im zweiten Akt sitzt sie mit dem Rücken zum Publikum, aufrecht wie eine Richterin und lässt John zappeln. Sie hat im Namen anderer Studierender (er sagt immer noch Studenten und muss sich den genderneutralen Begriff stets neu vergegenwärtigen) eine Beschwerde an die Kommission formuliert. Darin hat sie Johns Verhalten „ganz sachlich“, wie sie behauptet, dokumentiert und es als „sexistisch“ und „elitär“ bezeichnet, was John überhaupt nicht begreift. Er wollte „nicht der kalte, rigide Lehrer sein“, also ein Typ, unter dem er selbst seinerzeit zu leiden hatte. Als sie nicht einlenken will, hält er sie am Arm fest und wirft sich auf sie. Damit ist sein Schicksal besiegelt. John wird vernichtet. „Sie.Haben. Nicht. Mehr. Die. Macht.“, betont Carol jedes einzelne Wort. Denn jetzt ist sie dran. Ihre Körpersprache hat sich verändert. Schwarz gekleidet in Hose, Blazer und Stiefeln (Kostüme: Ilse Welter) steht sie ruhig und sicher vor ihm. Er dagegen hat im auf der Couch geschlafen und wirkt schon rein äußerlich ramponiert. Seine Selbstgefälligkeit ist dahin, denn Carol und ihre Gruppe haben jetzt wegen seines körperlichen Angriffs Klage eingereicht. Seine Anstellung auf Lebenszeit ist damit vom Tisch, das Haus wird er sich auch nicht mehr kaufen können. Übrig bleibt ihm ohnmächtige Wut. Beschimpfungen wie „woke Blase“ und „alte Fotze“ sind nur noch Ausdruck seiner Hilflosigkeit. Ihm bleiben stammelnde Entschuldigungen und die Möglichkeit, eine von Carol formulierte Erklärung zu unterschreiben.

Wer ist denn nun im Recht? Und was ist hier eigentlich passiert? Eindeutige Antworten gibt es nicht. Noch auf dem Weg zur S-Bahn diskutieren Zuschauer:innen darüber. Das macht einen spannenden Theaterabend aus.
Weitere Informationen unter: https://www.st-pauli-theater.de/programm/oleanna/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Kommunikationsprobleme zwischen den Generationen
- Aufeinanderprallen unterschiedlicher Weltsichten
- Spiel mit der Macht
Formale SchwerpunKte
- Realistische Spielweise in realistischem Bühnenbild
- Statuswechsel vom ersten zum dritten Akt
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 16/17 Jahre, ab Klasse 11/12
- Empfohlen für den Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
John ist Professor an einer amerikanischen Universität und kurz vor der Verbeamtung auf Lebenszeit. Mit dem deutlich höheren Honorar in Aussicht ist er dabei, für sich und seine Familie ein angemessenes Haus zu kaufen. Als seine Studentin Carol in seinem Büro erscheint, muss er den Maklertermin aufschieben, denn Carol hat Fragen zu seinem Seminar, das das Thema „Bildung“ untersucht. Schon bald werden Kommunikationsprobleme in dem Gespräch deutlich. Das von John angeblich gut gemeinte nette Verhalten Carol gegenüber versteht sie ebenso wie bestimmte Begriffe ganz anders. Sie reicht zunächst Beschwerde gegen ihn ein und erweitert diese, nachdem John sich verzweifelt auf sie gestürzt hat, zu einer Anklage gegen ihn. Damit ist Johns universitäre Laufbahn vernichtet.
Mögliche Vorbereitungen
- Recherche zu David Mamet
- Recherche zu Inhalt und Rezeption von „Oleanna“
- Recherche zum Kommunikationsmodell von Paul Watzlawick
Im Unterrichtsgespräch:
- Welche Wertvorstellungen haben junge Menschen?
- Worin unterscheiden sie sich von denen ihrer Eltern und Großeltern?
Speziell für den Theaterunterricht
Übungen zu Status und Statuswechsel
Die Spielleitung verteilt unten stehende Tabelle zu Hoch- und Tiefstatus und leitet danach folgende Übungen an:
Raumlauf mit Hoch- und Tiefstatus
Die Spielleitung lässt alle Spieler:innen zunächst eine beliebige Haltung im Hochstatus einnehmen, mit der sie durch den Raum gehen sollen, danach eine Haltung im Tiefstatus.
Danach wird die Gruppe geteilt. A geht im Hoch-, B im Tiefstatus. Dann Wechsel.
Begenungen
Die beiden Gruppen stehen einander zunächst neutral gegenüber und gehen aufeinander zu. Je näher sie einander kommen, wechselt A in den Hoch – und B in den Tiefstatus.
Danach die gleiche Übung im Wechsel.
Party (nach Keith Johnstone)
Die Spielleitung teilt den Kurs in Gruppe A und B. Beide Gruppe spielen das Aufeinandertreffen auf einer Party (Buffet, Treffen alter Freunde, Small Talk).
Gruppe A spricht bruchstückhafte Sätze, Gruppe B korrekte Sätze.
- 1. Variation: Gruppe A fasst sich beim Sprechen ins Gesicht, B bewegt den Kopf nicht.
- 2. Variation: Gruppe A macht kleine, unsicherere Bewegungen, B bewegt sich langsam und geschmeidig.
- 3. Variation: Spieler wechseln allmählich den Status.
Tabelle zu Hoch- und Tiefstatus
Hochstatus | Tiefstatus |
Sei entspannter als die anderen, bewege dich weniger als sie. | Bewege dich hektischer/ruckhafter als andere. |
Halte den Kopf still, wenn du sprichst. | Bewege den Kopf hin und her |
Winke jemandem zu, indem du den Ellbogen gegen den Körper presst. | |
Halte den Blickkontakt. | Unterbrich den Blickkontakt, nimm ihn dann wieder auf. |
Nimm viel Raum ein. | Nimm möglichst wenig Raum ein. |
Nenne die Leute beim Namen. | Lache unmotiviert, zwinkere. |
Berühre andere im Gesicht, fahre ihnen durchs Haar, tätschele sie am Kopf. | Berühre dein Gesicht, deinen Kopf. |
Verwende manchmal ein langes „Ääh!“ bevor du sprichst. | Unterbrich deine Sätze durch kurze „Äähs“. |
Reagiere stets mit Verzögerung. | Antworte/ reagiere prompt. |
Bleibe meistens regungslos. | Trete von einem Bein auf das andere, bleibe nie ganz ruhig stehen. |
Halte den Kopf gerade, nimm die Hände weg vom Körper. | Spiele nervös mit den Händen. |
Verwende geführte und entspannte Bewegungen. | Drehe die Zehen nach innen |
Sprich in ganzen Sätzen. | Zupfe an deiner Kleidung, wenn du sprichst |
Achte auf ruhige Atmung. | Sei außer Atem, bevor du sprichst. |
Stimme allem zu, nicke eifrig. |