Nur noch wenige Tage ist Björn Kruses bitterböse, komisch-traurige Inszenierung von Georg Kreislers „Heute Abend: Lola Blau“ im Theater Das Zimmer zu sehen. Der Besuch in Hamburg kleinstem Theater lohnt sich unbedingt. Und 40 Plätze sind schnell ausverkauft.
Die Kritik
Politik kümmert sie nicht. Lola Blau ist Künstlerin und was 1938 in Österreich passiert, kriegt sie gar nicht richtig mit. Dabei ist sie als Jüdin durchaus in Gefahr. Doch die Aufforderung ihres Freundes Leo Glücksmann, sofort in die Schweiz zu emigrieren, ignoriert sie. „Der Hitler kann vertragsbrüchig werden, aber nicht Lola Blau“, befindet sie und bereitet sich auf ihr Engagement am Landestheater Linz vor. Was daraus tatsächlich wird und wie sie nach Hitlers Einmarsch über die Schweiz in die USA emigriert, dort ein Star wird und nach 1945 wieder zurückkehrt nach Wien, davon erzählt Georg Kreislers Musical „Heute Abend: Lola Blau“. Kreisler, bekannt als bissiger, scharfzüngiger Dichter, Komponist und Sänger, war als Sohn jüdischer Eltern 1938 in die USA emigriert, dort amerikanischer Staatsbürger geworden und 1955 dann doch wieder nach Österreich zurückgekommen. Einen ähnlichen Weg geht seine Protagonistin Lola Blau. Im Theater Das Zimmer hat Björn Kruse Kreislers „Musical für eine Schauspielerin“ mit Sandra Kiefer inszeniert. Und, um es gleich vorweg zu nehmen, es wird ein berührender, komischer und gleichzeitig bitterböser Abend.
Die Bühne (Nicole Bettinger) ist klug eingerichtet: Ein Schminktisch für Lolas Auftritte, ein paar Koffer mit notwendigen Requisiten und ein geöffneter Schrankkoffer mit Garderobenteilen, die neben dem Glamour auch auf Rastlosigkeit und Emigration hinweisen, ein Klavier an der Seite. Darauf begleitet Henriette Zahn mit Frack und weißem Hemd nicht nur die Songs, sie schlüpft auch in unterschiedliche Mini-Rollen (und spricht in ganz verschiedenen Mundarten), um Stationen in Lola Blaus Leben zu illustrieren. Kreislers Songs im Stil der 30er Jahre tragen den Hauptanteil der Geschichte, und Sandra Kiefers Interpretationen geben ihnen Raum für ihre Vieldeutigkeit und ihren bissigen Charme.
Sandra Kiefer zeigt Lolas naive Ich-Bezogenheit, ohne sie zu verraten.
Kiefer tritt gebeugt mit einem Koffer und schwarzem Tuch vom Eingang des winzigen Theaters auf die Bühne. Ein Bild, das sich am Ende des knapp zweistündigen Abends wiederholt. Insofern wirkt dieser Anfang so, als ob sich die Rückkehrerin erinnert an das, was gewesen ist: Vorsichtig streicht sie über den Schminktisch und begutachtet melancholisch die Gegenstände, die sich dort finden. Mit dem Anruf ihres Onkels und der Warnung vor Hitlers Einmarsch wird das Vergangene lebendig. Kiefer zeigt jetzt eine junge Frau, die vor allem ihre Karriere im Auge hat und gar nicht daran denkt, Österreich zu verlassen, denn „Im Theater ist was los“, so der Gassenhauer zu Beginn. Mit Erstaunen nimmt sie die Ablehnung des Theaters Linz „unter den gegebenen Umständen“ wahr. Gedanken um Hitlers Politik macht sie sich nicht, nimmt es eher persönlich, dass sie auch keine gültige Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz besitzt und deshalb in die USA emigriert. Kiefer zeigt Lolas naive Ich-Bezogenheit, ohne sie zu verraten. Im Gegenteil. Man freut sich mit ihr, vergisst einen Moment lang – und das ist ja das Perfide bei Kreisler – die politische Gesamtlage und hilft bei der Übersetzung des mit deutschem Akzent vorgelesenen Schreibens aus New York. Dort wird sie ein Star, tritt in Glitzerkleid mit roten Handschuhen auf und sing lasziv (aber mit Augenzwinkern): „Sex is a wonderful habit“. Die stimmigen Choreografien (Ines Dyszy) unterstreichen die jeweilige Stimmung und werden besonders eindringlich, als Lola Blau nach der „bedingungslosen Kapitulation“ (aus dem Off eingespielte Stimme aus dem Volksempfänger) nach Wien zurückkehrt: Sandra Kiefer singt das Lied von Frau Schmidt und bearbeitet dazu energisch und gewissenhaft ein Nundelholz. Sie zeigt das Bild einer selbstgefälligen Sauberfrau, einer Frau mit dem unauffälligen Allerweltsnamen Schmidt, die nichts dazu gelernt hat und immer noch rassistisches Gedankengut hegt. Lola Blau sieht bei ihrer Rückkehr nur Zerstörung. Indem Kiefer Zettel mit Städtenamen anheftet (u.a. Rafah, Cherson oder Kabul), schlägt die Inszenierung den Bogen zur Gegenwart und stellt damit auch die Frage nach den Möglichkeiten der Kunst heute. Denn Lola versucht ein Engagement zu bekommen und ihr verzweifeltes, allerdings virtuos und hochkomisch gespieltes Vorsprechen beim „Herrn Direktor“ ist vergeblich. „Im Theater ist nichts los“, resümiert sie. Sie versucht es mit Cabaret, stellt aber fest: „Ich singe Lieder, bleibe wirkungslos.“ Ein bitteres Statement, das (hoffentlich) so nicht ganz zutrifft. Zumindest dieser Abend stimmt bei aller Unterhaltung nachdenklich.
„Heute Abend: Lola Blau“ ist nur noch am 24.,25. und 26. Mai in der Washingtonallee 42 zu sehen. Also sofort Karten ordern, es lohnt sich.
Weitere Informationen unter: https://www.theater-das-zimmer.de/Veranstaltung/lola-blau/