Macbeth

Karin Henkels Inszenierung führt in das Hirn eines neurotisch-kindischen Tyrannen

Macbeth (Kristof Van Boven) und Chor – Foto: Lalo Jodlbauer

DIE KRITIK

Hat er es schon getan? Oder wird er es noch tun? In Embryo-Haltung kauert Macbeth (Kristof Van Boven) nackt bis auf die Unterhose und ein Paar Springerstiefel auf dem Boden. Verloren wirkt er in dem riesigen schwarzen Bühnenraum. Nichts ist da, was ihm irgendwelche Anhaltspunkte gibt. „Wie bin ich denn hierher gekommen?“, fragt er.  Fassungslos starrt er auf seine blutbesudelten Hände, stammelt: „Die Toten gehen nicht weg“, er weiß nicht, was passiert ist.

Er kokettiert wie ein kleines Kind

Raum und Zeit, Realität und Fantasie haben ihre Grenzen verloren. In Karin Henkels Inszenierung von „Macbeth“ gibt es keine Strukturen mehr. Sie sind verschluckt von einem „open space“, der nichts als dunkelste Fantasien zulässt. Ihre gut zweistündige Fassung, die sie zusammen mit Roland Koberg erarbeitet hat, setzt Shakespeares Original sehr frei um. Es geht hier nicht darum, Motive für Macbeth Handlungen zu ergründen.  Der Mord an Duncan, den Macbeth ausführt, um sich selbst als König von Schottland ausrufen zu lassen, wird nicht vorbereitet. Die blutigen Hände beweisen, dass die Tat bereits zu Beginn schon geschehen ist. Andererseits fragt sich Macbeth, ob er die Tat begehen soll. Er kokettiert wie ein kleines Kind mit der Möglichkeit, macht das Publikum durch Fragen zum Komplizen. Sein Hirn spielt verrückt. 

„Macbeth – König von Schottland“

Eine Schar von 21 Kindern, alle mit schwarzen Pagenköpfen, weißen Blusen und schwarzen Röcken wie Klone ihrer Anführerin (Angelika Richter) ausgestattet (Kostüme: Adriana Braga Peretzki), steigt aus dem Bühnenhintergrund auf, trampelt mit ihren Springerstiefeln und flüstert und ruft: „Macbeth – König von Schottland“. Immer und immer wieder. Leitmotivisch zieht sich diese Prophezeiung durch die Inszenierung. Eine fixe Idee, die sich in Macbeth Kopf eingefressen hat. Wie ein Alptraum taucht dieser Kinderchor auf, marschiert wie kleine Soldaten in Reih und Glied oder deutet mit blutenden Lippen und grünen Handflächen Macbeths weitere Morde und seinen eigenen Tod im oder besser durch die als Wald getarnten Truppen seines Gegners Macduff an. 

Hohl klingt seine Propaganda

Henkel hat ihren „Macbeth“ fast zu einer One-Man-Show für den fantastischen Kristof Van Boven gemacht. Alle anderen sind Teil seiner Wahnvorstellung: Michael Weber, Jan-Peter Kampwirth, Kate Strong und Angelika Richter verkörpern Diener, den König Duncan oder dessen Sohn oder haben, mit Ausnahme von Lars Rudolph als Banquo, ebenso wie der Kinderchor keine feste Rollenzuweisung. Herabfallende weiße Girlanden – schon für Katrin Bracks Bühnenbild lohnt sich der Theaterbesuch – lassen an das Innere eines Hirns denken, an die Säulen eines Schlosses oder an einen Wald. Der ist es schließlich auch, der Macbeth Angst macht. Denn durch ihn soll er sterben. Hohl klingt seine Propaganda vom „Beginn einer neuen, glücklichen Epoche mit mir an der Spitze“. Sein fratzenhaftes Grinsen, sein Heranwanzen ans Publikum, von dem er so gerne bestätigt werden möchte, sind Zeichen seiner Unsicherheit. Er schwitzt, er steht mit dem Rücken zur Wand, er bläst zum Krieg. „Jeden Morgen heulen neue Witwen“, sagt man ihm, aber es interessiert ihn nicht. Am Ende fällt er im Sturm von Herbstblättern, das ein Gebläse auf ihn richtet. Ein wunderschönes, ein poetisches Bild für den Tod eines Tyrannen.

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INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Eintauchen ins Hirn eines Tyrannen
  • Wahn, Angst und Realitätsverlust 
  • Auflösung von Raum- und Zeitstrukturen
Formale Schwerpunkte
  • Konzentration auf eine Hauptfigur
  • Auflösung einzelner Figuren
  • Einsatz eines Chores
  • Durchbrechen der vierten Wand
  • zeichenhaftes Bühnenbild
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 16 Jahre/ Jahrgangsstufe 10/11
  • geeignet für den Englisch-, Geschichts- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Macbeth und sein Freund Banquo begegnen nach einer Schlacht drei „Weird sisters“ oder Hexen, die prophezeien, dass Banquo Stammvater eines Königsgeschlechts und Macbeth der neue König von Schottland wird. Die Idee setzt sich bei Macbeth fest, seine Frau Lady Macbeth treibt ihn an, den aktuellen König Duncan bei einem Gastmahl zu ermorden, um ihn als König ausrufen zu lassen. Der Plan gelingt, Duncans Söhne fliehen aus Angst, ebenfalls ermordet zu werden, nach England. Um seine Macht zu festigen, lässt Macbeth auch Banquo töten, damit dieser nicht ein neues Königsgeschlecht hervorbringt. Macduff , ein schottischer Edelmann, ahnt, was Macbeth getan hat und flieht zu Duncans Söhnen nach England. Aus Rache lässt Macbeth auch Macduffs Ehefrau und dessen Kinder töten. Mit Macduff an der Spitze eines als Wald getarnten Heeres kehrt Duncans Sohn Malcom nach England zurück. Macduff tötet Macbeth, Malcom wird neuer König von Schottland. 

Mögliche Vorbereitungen
  • Referate zur historischen Situation in Schottland um das Jahr 1040
  • Vergleich mit Shakespeares Drama

Speziell für den Theaterunterricht

  • Lehrervortrag oder Referat zu Bühnenformen (Shakespeare-Bühne im Vergleich zu Guckkasten- oder Arenabühne)
VORSCHLÄGE FÜR ÜBUNGEN
Übung 1
Chor und Formation
Ein-Körper-Chor
  • Bewegung durch den Raum
  • (Formation: Keil) Abstand zu Nachbarn bleibt immer gleich, Tempo und Bewegungsrichtung werden durch die äußere Person bestimmt.
  • Variante 1: Ein:e Spieler:in stellt sich vor Chor, führt mit Hand; Chor folgt mit Blick und Arm (stehend)
  • Variante 2: (Formation: Reihe) Chor verfolgt einen imaginären Punkt mit Blick und Oberkörper. Impulsgeber sind die äußeren Personen
  • Variante 3: Bewegung durch den Raum (II), (Formation: Block), Chor bewegt sich (s.o) durch den Raum; durch den Schrei der äußeren Person  („Go!“) vollführt er eine Wendung und beginnt eine neue Gangart/ Level. Führende Person bedeutet:„Stop!“, bestimmt mit ausgestrecktem Arm neuen Anführer.
  • Variante 4: Bewegung durch den Raum (III), Chor geteilt in A und B (Formation: Reihe) auf zwei verschiedenen Seiten des Raumes. A und B bewegen sich aufeinander zu, umkreisen sich, ziehen immer engere Kreise, durchdringen sich wie ein Kamm, formieren sich wieder zur alten Formation und gehen auf ihre alte Position zurück.
Übung 2
Lose-Menge-Chor

Aufstellung der Spieler: innen nach Größe;  Unterschiedliche Energielevels (2, 3, 4, 6); Situation: Überqueren einer mehrspurigen Straße; alle gehen auf Impuls in ihrem Level los.

Übung 3
Mehr-Körper-Chor

Gruppe liegt  auf dem Bauch geschlossen in Reihe; nah beieinander, aber ohne Körperkontakt, gemeinsame Blickrichtung (Publikum). Energiestufe 3; gemeinsames Aufstehen über Kniestand, gemeinsam hochkommen zum Stehen, gemeinsam lächeln, winken. Achten auf peripheren Blick

Übung 4
Wogende Welle
  • Gruppe kniet hintereinander, Oberkörper aufrecht. 
  • Alle biegen im gleichen Tempo den Oberkörper langsam nach rechts, dann nach links (synchron)
  • Erster in der Reihe biegt den Oberkörper langsam von links nach rechts, 
  • die anderen versetzt, so dass eine Wellenbewegung entsteht (parallel)
  • Variation: Die gleiche Übung synchron bzw versetzt mit erhobenen Armen
Übung 5
„Ha!“
  • Gruppe geteilt in A und B sitzt einander auf Würfeln gegenüber. Gemeinsame Grundposition (Hände auf Oberschenkel)
  • Kopf auf Brust sinken lassen
  • Kopf heben
  • Hände zur Seite fallen lassen
  • mit Oberkörper nach vorne gehen
  • aufstehen
  • Spiegelgleich schrittweise nach vorne gehen (A beginnt links, B rechts),
  • stehen bleiben, sich in die Augen sehen
  • hörbar einatmen, Sprung mit Kampfhaltung und „Ha!“ rufen
  • langsam umdrehen, dabei Blickkontakt so lange wie möglich halten
  • wenn ganz umgedreht, zurückdrehen, Sprung, „Ha!“
  • Arme sinken lassen
  • langsam spiegelgleich schrittweise zurückgehen.
  • wenn Sitzwürfel spürbar, langsam hinsetzen
  • Hände auf Oberschenkel, 
  • Kopf auf Brust fallen lassen

WICHTIG: Peripherer Blick (neben dem Gegenüber gibt es auch Spieler an der Seite), Pausen nach jeder Bewegung, Langsam.