Nur mal kurz die Welt retten. Mit dem Stück des Australiers Finegan Kruckemeyer bietet das Hamburger Schauspielhaus eine unterhaltsame Möglichkeit an.
DIE KRITIK
Man kann ja zu den Aktionen von „Extinction Rebellion“ oder „Die letzte Generation“ stehen, wie man will. Auf jeden Fall haben sie wie vor ihnen Greta Thunberg und „Fridays For Future“ erkannt, dass es so nicht mehr weitergeht. Der egoistische Mensch hat die Welt derart ausgebeutet, dass er sich sein eigenes Grab geschaufelt hat. „Die Berge stöhnten, das Meer wurde traurig“, erzählt die Schauspielerin Lina Beckmann, wenn sie durch die Zuschauerreihen des Schauspielhauses wandert. Und dennoch hätten wir „vor der Zukunft die Augen verschlossen“ und uns mit dem Lob der Smartphone-Uhren für unsere körperlichen Aktivitäten („Gut gemacht!“) blenden lassen.
Dass dieser Einstieg in Finegan Kruckemeyers „Der lange Schlaf“ nicht oberlehrerhaft ausfällt, sondern eher poetisch, liegt auch an der wunderbaren musikalischen Untermalung des fünfköpfigen Ensembles (Klavier, vier Streicher). Die sparsam, aber wirkungsvoll eingesetzten Kompostionen des Pianisten Tristan Breitenbach geben der Inszenierung über den gesamten Abend einen melancholischen Unterton. Philipp Stölzl, eigentlich eher im Bereich von Spielfilm, Musikvideos und Oper zu Hause, fängt diese Stimmung auf und spürt in seiner Inszenierung der deutschsprachigen Erstaufführung den Abgründen nach, die unter dem Witz und den unterhaltsamen Dialogen des Stückes verborgen sind.
„Die ganze Welt ist krank, und wir müssen etwas finden, um sie zu heilen.“
Wissenschaftler mögen sich angesichts von Kruckemeyers Stück die Haare raufen. Das, was dort ausgesponnen wird, kann so nicht funktionieren und kommt teilweise auch recht platt daher. Macht aber nichts. Gerade jungen und/oder engagierten Leuten (siehe oben) wird „Der lange Schlaf“ als das Stück der Stunde erscheinen und sie zu Diskussionen anregen. Der Lockdown während der Pandemie und dessen positive Auswirkungen auf den CO2-Ausstoß mögen Anlass für das dreiteilige Stück gewesen sein. Teil eins beschreibt die Situation in der Welt, wie sie sich demnächst darstellen könnte. „Die ganze Welt ist krank und wir müssen etwas finden, um sie zu heilen“, verkündet der Minister für Weltraumforschung. Seine Idee von der Umsiedlung der Menschheit auf dem Mars wird verworfen zugunsten des zunächst absurd erscheinenden Vorschlags einer Assistentin. Der sieht vor, die Menschen weltweit zu einer bestimmten Stunde über ein spezielles Gas in einen 12-monatigen Schlaf zu versetzen. Dass dann aber trotzdem zwei Menschen wach bleiben, die auf Grund von Operationen eine künstliche Lunge haben und damit resistent gegen das Gas sind, erzählt der zweite Teil. Im letzten, leider deutlich zu langen Teil ist die Welt von Canberra über Bogotá bis Los Angeles wieder erwacht und bereitet sich dank des großen Erfolges auf dien nächsten langen Schlaf vor.
Projektionen zeigen stille, menschenleere Städte und Landschaften.
Die Inszenierung hätte gut daran getan, gerade diesen Teil mit seinen oft recht redundanten Dialogen zu straffen, aber insgesamt gelingen Stölzl und dem großartigen Ensemble ein sehenswerter, unterhaltsamer Abend. Das Problem der filmisch angelegten Teile eins und drei löst das Bühnenbild (Stölzl, Franziska Harm) durch sechs durch Stangen begrenzte Kuben, die – auch hier etwas plakativ – mit Charakteristika des jeweiligen Ortes bestückt sind (Palmen und Boote für Lagos, immerhin einer Metropole in Nigeria). Projektionen oberhalb der Bühne zeigen dazu allseits bekannte Katastrophenbilder, im mittleren Teil jedoch stille, menschenleere und daher umso berührender Städte und Landschaften. Sandra Gerling brilliert in ihrer Rolle der Emily. Die scheue Assistentin des selbstverliebten Politikers Warwick (Samuel Weiss) entwickelt sich nach und nach zu einer furiosen Aktivistin, die später von den Medien vereinnahmt wird und sich selbst nicht mehr kennt. Wie ihre Idee auf die Menschen wirkt, zeigt ein zum Schreien komischer Josef Ostendorf als sonnenbebrillte Seniorin Cassandra im Pflegeheim. Geht es in den Teilen eins und drei noch in hektischen Momentaufnahmen rund um die Welt, kehrt im mittleren Teil Ruhe ein. Lina Beckmann und Mehmet Atesçi als die beiden einzig Wachgebliebenen (Maggie und Pete) zeigen eindringlich und zart, was für sie die Situation bedeutet.
Nicht nur in Zeiten wie diesen will das Theater zur aktuellen Diskussion beitragen. Mit „Der lange Schlaf“ gelingt das dem Schauspielhaus auf jeden Fall.
https://schauspielhaus.de/stücke/der-lange-schlaf
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Die Schaffung einer besseren Welt für die Nachkommen
- Der lange Schlaf als Mittel für die Verbesserung der Welt
- Die Konsequenzen und Risiken des langen Schlafes
Formale Schwerpunkte
- Situationen und Orte auf einer Bühne (>Simultanbühne)
- Einsatz von Erzählern
- Wechsel von schnellem Orts- und Zeitenwechsel (Teil eins und drei) zu einheitlichem Ort-/Zeitgefüge und der Konzentration auf zwei Figuren (mittlerer Teil)
- Rollentausch
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
- ab 15/16 Jahre; ab Klasse 10
- empfohlen für Ethik-, WiPo-, NaWi- , Geographie – und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Es ist kurz nach Zwölf. Die Menschheit hat die Welt rücksichtslos und ohne nachzudenken nach Kräften ausgebeutet, eine Rettung für die Nachkommen scheint unmöglich. Im Ministerium für Weltraumforschung denken sie, dass man den Mars als möglichen Ausweichplaneten in Betracht ziehen sollte und Minister Warwick will diese Idee publik machen. Emily, eine junge Assistentin, hat jedoch einen anderen Vorschlag: Sie will mit Hilfe eines speziellen, nur den Menschen betreffendes Gas einsetzen, das die Welt zu einer verabredeten Stunde für zwölf Monate in einen langen Schlaf versetzt. Warwick, von der Idee überrumpelt, verkauft den Vorschlag als seinen eigenen, überzeugt Regierungen rund um den Globus und schafft es, dass tatsächlich kontinentübergreifend ein Signal ertönt und alle Menschen in einen tiefen Schlaf verfallen. Bis auf Maggie und Pete. Diese beiden haben durch Operationen eine künstliche Lunge bekommen, die gegen das Gas resistent ist. Beide streifen zunächst alleine durch menschenleere Städte und Landschaften, und als sie einander scheinbar zufällig begegnen, werden die Konsequenzen ihrer Situation deutlich. Beide verlieben sich ineinander und werden ein Paar, das auch nach dem langen Schlaf zusammenbleibt. Nach einem Jahr ist die Welt wieder erwacht, Emily ist zu einer von der Politik hofierten Aktivistin geworden, ihre Idee geht in Serie. In regelmäßigem Turnus soll die Welt in einen langen Schlaf verfallen. In der Hoffnung, sie dadurch für die Nachkommen zu retten.
Mögliche VorbereitungeN
In Gruppenarbeit oder über Referate recherchieren zu folgenden Fragen:
- Wie hoch sind die aktuellen Treibhausemissionen weltweit?
- Welche Prognosen gibt es?
- Welche Klimaziele gibt es?
- Welche Länder halten sich an die vorgegeben Klimaziele, welche nicht?
- Welche Möglichkeiten zum Erreichen der Klimaziele gibt es?
Speziell für den Theaterunterricht
Übung zu Körperhaltung und Gangart
Die Reise
Die Gruppe liegt verteilt im Raum auf dem Boden. Die Spielleitung erzählt nachfolgende „Geschichte“ von einer Reise, die Gruppe setzt die jeweiligen Stationen durch Körperhaltung und Gangart um. Zwischen den einzelnen Anweisungen sollte genug Zeit sein:
- Du erwachst langsam aus einem tiefen Schlaf, schlägst die Augen auf, rekelst dich.
- Du setzt dich langsam auf und schaust um dich.
- Du nimmst deine Umgebung wahr, stehst auf und gehst los. Zeige jetzt an deiner Art zu gehen, wie sich der Boden anfühlt:
- Zuerst ist er sehr matschig.
- Je weiter du gehst, desto tiefer und schwerer wird der Schlamm
- Der Schlamm wird zu einer trockenen, sehr heißen Kruste.
- Du überquerst diesen heißen Untergrund und gelangst in einen kühlen Wald. Schau um dich.
- Der Boden ist mit Blättern und Zweigen übersät. Es knistert, wenn du darüber gehst.
- Du gelangst auf eine Wiese mit weichem Gras. Die Sonne scheint.
- Plötzlich fängt es an zu regnen. Es gießt. Du suchst Schutz .
- Du erreichst eine Stadt mit hohen Häusern. Du betrachtest sie.
- Du willst eine viel befahrene mehrspurige Straße überqueren – und schaffst es schließlich.
- Du betrittst eine beeindruckende Kathedrale. Zeige das an deiner Körperhaltung und deinem Gang.
- Du verlässt die Kathedrale und kommst in eine dunkle, unübersichtliche Gasse. Du fühlst dich unwohl, hast sogar Angst.
- Plötzlich begegnet dir eine fremde Person. Ihr umkreist euch, wisst nicht, was der/die andere von dir will.
- Du merkst, dass die andere Person aggressiv ist, du wirst es auch.
- Ihr beruhigt euch, trennt euch friedlich.
- Du gehst alleine weiter, deine Anspannung verfliegt allmählich.
- Du kommst endlich in eine vertraute Umgebung. Es ist dein Zuhause.
- Du legst dich in dein Bett und erholst dich von der anstrengenden Reise