A long way down

Schluss machen oder dem Leben eine neue Chance geben? Christian Nickels Inszenierung bringt Nick Hornbys Roman ohne Mätzchen auf den Punkt.

Martin Sharp (Kai Hufnagel) kurz vor dem Sprung – Foto: Bo Labola

DIE KRITIK

Silvester ist so ein Datum. Ein Jahr geht zu Ende, ein neues beginnt. Zeit, um Bilanz zu ziehen, Zeit für einen Neustart. Das mit dem Neustart hat Martin Sharp schon mal zu den Akten gelegt. Seine Bilanz sieht mies aus, das Leben zu beenden scheint ihm die beste Lösung. Also steigt er auf das Dach eines Londoner Hochhauses und will springen. Dumm nur, dass in diesem so privaten Moment noch nach und nach drei andere Suizidwillige eintrudeln, jeder mit den besten Gründen für seine Absicht. Die allerdings gilt es jetzt erst einmal vor allen zu erklären.

Mehr als nur nette Unterhaltung

Nick Hornby, Autor von Bestsellern wie „High Fidelity“ oder „Fever Pitch“, hat in seinem 2005 erschienenen Roman „A long Way down“ vier sehr unterschiedliche Menschen mit Selbstmordabsichten auf einem Hochhausdach zusammengebracht. In der ihm eigenen bitter-komischen Art lässt er sie über ihr bisheriges Leben, ihre geplatzten Träume und ihre Wünsche nachdenken. Hausherr Axel Schneider hat für sein Altonaer Theater eine Bühnenfassung geschrieben, die nicht bei Hornbys Gags stehenbleibt, sondern auch die Ernsthaftigkeit des Themas auslotet. Christian Nickels Inszenierung findet genau den richtigen Ton zwischen Schnodderigkeit und Nachdenklichkeit, so dass der 2 1/2stündige Abend viel mehr als nur nette Unterhaltung bietet.

Ein Selbstmordkandidat ist nichts zum Lachen

Auf der Bühne stehen unterschiedlich große rechteckige und quadratische metallfarbene Würfel mit schmalen Löchern. Die Projektion einer Großstadt von oben bildet den Hintergrund (Ausstattung: Birgit Voss). Es ist zunächst ganz still, wenn Martin (Kai Hufnagel) mit seinem neckischen Silversterhütchen auf einen Würfel steigt, in die Tiefe blickt und mit den Armen rudert. Ein Selbstmordkandidat ist nichts zum Lachen. Mit dem Erscheinen von Maureen (Anne Schieber), JJ (Johan Richter) und Jess (Nadja Wünsche), die ebenfalls springen wollen, kippt die Situation ins Absurde. Eine lakonische Bemerkung übertrifft die andere – und schon finden wir uns im schönsten Nick-Hornby-Universum. 

„I can get no satisfaction“

Die vier Figuren könnten unterschiedlicher nicht sein: Anne Schiebers Maureen ist eine subalterne, religiöse, ältliche Frau. Nach einem einmaligen One-Night-Stand ist sie schwanger geworden und nun alleinerziehende Mutter eines schwerstbehinderten Sohnes. Je mehr sich die Vier gegenseitig anvertrauen, desto mehr löst sie sich. Hemmungslos und falsch schmettert sie „ I can get no satisfaction“, als die Rede auf die Rolling Stones kommt. Die hatte JJ als seine großen Vorbilder erwähnt. Unaufdringlich spielt Johan Richter dessen Frustration als gescheiterter, von seiner Band verlassener Musiker. Seine Traurigkeit darüber schimmert auch bei den besten Sprüchen durch.  Kai Hufnagel greift das Stones-Stichwort auf, um eine bemerkenswerte Imitation von Mick Jaggers Tanzstil hinzulegen. Trotzdem verrät er seine Figur, diesen wegen Sex mit einer Fünfzehnjährigen zu Gefängnis verurteilten Star aus dem Frühstücksfernsehen, in keiner Minute. Der Schmerz über dieses Kapitel seines Lebens liefert den Unterton für sein Spiel. Jess dagegen ist bei Nadja Wünsche vor allem eine augenrollende, schmollende, obergenervte Göre. Immerhin ist sie eine derjenigen, die die Idee für einen 90-Tage-Aufschub hat.

„Will irgendwer springen?“

Erst dann soll man sich zum nächsten Selbstmordversuch treffen. 90 Tage geben sich die Vier Zeit für einen gemeinsamen Urlaub und Zeit zum Nachdenken alleine. Nach dieser Frist findet man sich erneut auf dem Dach zusammen. „Will irgendwer springen?“, lautet die Frage. Keiner. Jeder will noch einmal versuchen, „was vorher nicht funktioniert hat.“ Die Würfel werden an den Bühnenrand geschoben, die Vier steigen darauf und singen: „Ob-la-di, ob-la-da /Life goes on, brah/ Lala how the life goes on“. Die guten alten Beatles – Recht hatten sie.  

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Wie sieht die Bilanz des bisherigen Lebens aus?
  • Was gibt dem Leben einen Sinn?
  • Welche Bedeutung haben Erfahrungen für das weitere Leben?
Formale Schwerpunkte
  • minimalistisches Bühnenbild
  • psychologisch orientiertes Schauspielertheater
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 16 Jahre/ Jahrgangsstufe 10/11
  • geeignet für den Englisch-, Ethik- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Vier Selbstmordwillige begegnen einander zufällig in der Silvesternacht auf dem Dach eines Hochhauses. Jeder einzelne möchte springen. Aber da sie nun mehrere sind, geht das nicht mehr. Schließlich ist ein Suizid etwas Privates. Also stellen sie einander gegenseitig vor und erläutern die Gründe für ihre Absicht: Martin Sharp, ein ehemaliger Star aus dem Frühstücksfernsehen, saß wegen Sex mit einer Fünfzehnjährigen im Gefängnis. Seine Karriere ist verpfuscht, seine Ehe sowieso. Selbstmord scheint ihm der beste Ausweg. Ähnlich denkt auch JJ. Eigentlich wollte er mit seinen Jungs Rockmusik machen, aber dann löste sich die Band auf, der Traum platzte und er endete als Pizzabote. Maureen kann das Leben als alleinerziehende Mutter eines schwerstbehinderten Sohnes nicht mehr ertragen und Jess, die verwöhnte Tochter eines Ministers, leidet unter der fehlenden Kommunikation zu Hause vor allem, was das Verschwinden ihrer Schwester betrifft. Nachdem man sich bekannt gemacht hat, beschließen die Vier, den Selbstmord erst einmal um 90 Tage, genauer: bis zum Valentinstag, hinauszuschieben um zu sehen, ob man dann immer noch springen will. Jess schafft es, die Vier zum Medienereignis zu machen und dafür Geld zu kassieren. Die unfreiwillige Gemeinschaft beschließt daraufhin, von dem Geld gemeinsam nach Teneriffa zu fliegen und sich über die Wünsche und Träume jedes Einzelnen Gedanken zu machen. Beim Treffen am Valentinstag kommt es zu der Erkenntnis, dass jeder sich mit seinem Leben arrangiert und etwas gefunden hat, das das Weiterleben lohnt. 

Mögliche Vorbereitungen
  • Referat zu Nick Hornby
  • Lektüre von „A long way down“
Vorlesen – Gehen – Stehen bleiben

Die Lehrkraft liest die Inhaltsangabe langsam vor, dabei steht die Gruppe in einer Reihe und geht während des Vorlesens langsam Schritt für Schritt voran. Jede*r bleibt an der Stelle stehen, die ihm/ihr interessant erscheint und nennt im Anschluss den Aspekt, bei dem er/sie stehen geblieben ist. Anschließend werden diese Punkte der Reihe nach abgefragt und auf einzelnen Zetteln notiert, auch wenn mehrere denselben Aspekt genannt haben, denn hier zeichnen sich bereits Schwerpunkte ab. Um den gesamten Inhalt zu erfassen, wird dieser Vorgang noch einmal wiederholt: Vorlesen – Gehen – Stehen bleiben – Stichwörter notieren.

Danach bietet sich die Möglichkeit, über diese Themen zu recherchieren und Diskussionen zu führen oder – im Theaterunterricht- mögliche Darstellungsformen zu überlegen.

Speziell für den Theaterunterricht

Einsatz von Würfeln als multifunktionales Bühnenbild

Dabei können bisher erarbeitete Szenen oder z.B: auch eine Kurzgeschichte als Grundlage dienen. 

Mögliche Aufgabe: Erstellt aus unterschiedlich großen Würfeln ein Bühnenbild für mehrere  aufeinander folgende Szenen. Die Würfel dürfen für eine neue Szene verschoben oder gestapelt werden. Die Übergänge von einer zur anderen Szenen und das Umrangieren der Würfel müssen sichtbar und evtl. in die Handlung integriert werden.

Vorbereitung auf den Regiestil Stanislawskis: 
Übungen nach Stanislawski

Die Gruppe verteilt sich im Raum, jede:r nimmt sich einen Stuhl oder Hocker und vollzieht die Anweisungen der Lehrkraft. Sinnvoll ist es, die Gruppe in A und B zu teilen, so dass jeweils die eine Hälfte der anderen zusehen und später erklären kann, was sie gesehen hat: 

Die Lehrkraft kann folgende Anweisungen geben

Setze dich, um auszuruhen.

Setze dich, um dich zu verstecken, damit man dich nicht findet.

Setze dich, um zu hören, was im Nebenzimmer geschieht.

Setze dich, um zu beobachten, was hinter dem gegenüberliegenden Fenster geschieht.

Setze dich, um im Wartezimmer eines Arztes zu warten,  bis du an der Reihe bist.

Setze dich, um einen Kranken oder ein schlafendes Kind zu bewachen.

Setze dich, um zu beobachten, was rings um dich geschieht.

Setze dich, um herauszubekommen, wie viel 15 mal 345 ist.

Setze dich, um dich an eine vergessene Melodie zu erinnern.