Ellen Babić

Hat sie oder hat sie nicht? Und was genau wird ihr vorgeworfen? Lügt hier jemand, um Rache auszuüben? Oder wer vertuscht hier was? In Marius von Mayenburgs raffiniert gebautem Stück „Ellen Babić“ geht es um Grenzüberschreitungen, Fragen nach Missbrauch und der Suche nach Wahrheit. Zu Sewan Latchinians spannenden, unbedingt sehenswerten Inszenierung in den Hamburger Kammerspielen.

Problematischer Besuch (v. li: Till Demtrøder, Marie Fey, Katja Studt) – Foto: Bo Lahola

Die Kritik

„Er ist ein Arschloch!“ Klaras Urteil steht von Anfang an fest, und schon sehr bald wird ihr niemand im Publikum widersprechen. Er – das ist Wolfram (Till Demtrøde), der Schulleiter von Klaras Lebensgefährtin Astrid (Katja Studt), und Klara (Marie Fey) kennt ihn noch, als sie als Schülerin in seinem Chor gesungen hat. Wolfram hat sich für diesen Abend bei seiner Kollegin mehr oder weniger selbst eingeladen, angeblich, weil er ein wichtiges Thema mit ihr nicht auf dem Schulflur besprechen will. Astrid lebt seit gut sieben Jahren mit der deutlich jüngeren Klara zusammen. Das ist nur insofern pikant, als Astrid früher einmal Klaras Klassenlehrerin war, Klara also in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihr stand. Wenn sie die Beziehung zu diesem Zeitpunkt begonnen hätte, würde sie sich strafbar machen. Astrid fände es daher besser, wenn Klara an diesem Abend lieber das Haus verlassen würde – man wisse ja nie…

Schon durch dieses Verhältnis der drei Personen zueinander wird die Grundlage für eine Spannung gelegt, die sich immer weiter aufbaut, rasante Wendungen vornimmt und das Publikum während des knapp zweistündigen Abends (inkl. Pause) in Atem hält. „Ellen Babić“ ist der zweite Teil der sogenannten Lockdown-Trilogie (1. Teil: „Ex“, 3. Teil: „Egal“), den Marius von Mayenburg 2022 geschrieben hat und der seither mit großem Erfolg auf deutschen Bühnen gespielt wird. Aus gutem Grund: Von Mayenburg, seit Ende der 90er Jahre einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Gegenwartsdramatiker, hat ein Gespür für aktuelle Themen, die er in Kammerspiele mit klugen, blitzschnell ineinandergreifenden Dialogen verarbeitet. „Ellen Babić“ ist so eines. Die private Situation einer Lehrerin wird ihr eventuell zum beruflichen Problem. 

Sind das alles Zeichen für ein zumindest merkwürdiges Verhältnis der beiden Frauen?

Ausstatterin Birgit Voß hat die Vermischung der beiden Bereiche in ihrem Bühnenbild aufgenommen: Eine schwere, bis zur Decke reichende Schrankwand und ein Küchentresen im gleichen Stil versprühen den Charme eines Lehrerzimmers, verstärkt durch die vier von der Decke hängenden Kugellampen. So hat sich Astrid ihr Wohnzimmer eingerichtet. Klaras Habseligkeiten passen in eine Schublade, aber sie ist ja auch erst später zu Astrid gezogen. Sind das alles Zeichen für ein zumindest merkwürdiges Verhältnis der beiden Frauen? Marie Fey, die kurzfristig die Rolle der Klara übernommen hat, zeigt sich als Klara zunächst recht selbstsicher. Sie scheint Wolfram und sein Gehabe zu durchschauen und beginnt erst nach und nach an Astrids Darstellung zu zweifeln. Katja Studt gelingt es, Astrids Unsicherheit und ihre Angst nur in kleinen Momenten aufblitzen zu lassen, dann, wenn sie sich nicht im Wortgefecht mit Wolfram befindet und sich verteidigt oder unwissend gibt. Wolfram ist bei Till Demtrøder in der Tat ein echtes Arschloch. Kaum dass er die Wohnung betritt, lässt er sich Wein („nichts Schrottiges vom Supermarkt“) bringen, nähert sich übergriffig sowohl Astrid als auch Klara, beherrscht den Raum und sieht sich selbstgewiss als einen, der mehr weiß und Astrid in der Hand hat. Tatsächlich hat ihm der Vater von Ellen Babić, einer von Astrids Schülerinnen, gebeten zu klären, was auf der Klassenfahrt geschehen ist und wie sich Astrid als Lehrerin verhalten hat. Demtrøders Wolfram spielt dabei den Toleranten, der mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen kein Problem hat, der aber gerade diese als Angelhaken für seine Fragen verwendet. 

Sewan Latchinians behutsame Inszenierung gibt jeder einzelnen Figur Raum und schafft es, einen Abend zwischen Tempo und Ruhe so zu gestalten, dass kein Mensch im Publikum auch nur einmal auf die Uhr zu schauen wagt. Das schafft so schnell nicht mal der „Tatort“. Also: Hingehen!

Weitere Informationen unter: https://hamburger-kammerspiele.de/programm/ellen-babic/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Abhängigkeit
  • Machtmissbrauch
  • Diskriminierung
  • Wahrheitssuche
Formale SchwerpunKte
  • Realistisches Spiel in realistischem Bühnenbild
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • Ab 15/16 Jahre , ab Klasse 10
  • Möglich für Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Astrid lebt mit Klara, einer ehemaligen Schülerin, seit sieben Jahren in einer Beziehung. Klara ist, nachdem sie ihr Elternhaus verlassen hat, bei der deutlich älteren Astrid eingezogen. Als Wolfram, Astrids Schulleiter, eines Abend erscheint, weil er ein Problem lieber im privaten Raum als auf dem Schulflur besprechen will, wird diese Beziehung zum Thema. Wolfram ist nämlich Ellen Babićs Vater gebeten worden, zu klären, was mit Ellen auf der Klassenfahrt passiert ist, die von Astrid geleitet worden ist. Wolframs Fragen suggerieren Übergriffigkeit von Seiten Astrids, die diese aber widerlegt. Gleichzeitig verweist Wolfram auf ihre Beziehung zu Klara und versucht herauszufinden, wann diese begonnen und ob sich Astrid strafbar gemacht hat. 

Mögliche Vorbereitungen

 

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