Was hat Johnny Cashs „I Walk The Line“ mit „Der Geizige“ von Molière zu tun? Mehr als man vermuten mag. Der Song ist nur einer von ein paar ausgewählten, fantastisch interpretierten Titeln, der dessen Komödie intelligent und witzig anreichert. Zu Anton Preisslers mitreißender Inszenierung am Ernst Deutsch Theater.
Die Kritik
Der tiefblau angestrahlte Vorhang hebt sich nur ein wenig. Zur „Hunting Polka“ von Johann Strauß sieht man nur Beine mit Strumpfbändern und Schnallenschuhen einig hin- und herlaufen. Dann eine Stimme aus dem Off (es ist die des „Drei ???“- Sprechers Jens Wawrczeck). Sie gibt das wieder, was sich so mancher im Publikum gerade heimlich denken mag: „Molière. Der ist auch ganz schön alt. Hoffentlich wird das nicht wieder so ein neumodischer Mist…“. Auch von möglichem Einschlafen ist die Rede. Aber dann geht es so rasant los mit dem „ Geizigen“, dass selbst Sedierte über die kommenden zwei Stunden (inklusive Pause) nicht wegdämmern könnten.
Anatol Preissler hat Molières Komödie neu übersetzt, bearbeitet und mit einem großartigen Ensemble inszeniert. Das Ganze hat Frische, exzellentes Timing und Schwung. Wir erinnern uns: Molière war im 17. Jahrhundert der angesagteste Komödienschreiber unter Ludwig XIV , gerade weil er mit Witz und Schärfe menschliche Schwächen oder wie bei „Der Geizige“ sogar Todsünden der Lächerlichkeit und damit der Be- oder besser der Verurteilung preisgab. Mit einem Augenzwinkern bezieht Preissler die Entstehungszeit mit ein: Die Bühne (Heiko Mönnich) mit blau schimmernden Tapeten und goldgerahmten Schwingtüren und die Kostüme (Lara Hohmann) mit Rockschößen, Puffärmelchen und Miedern verweisen auf das 17. Jahrhundert. Die Sprache hat Preissler ans Heute angeglichen, macht sich aber einen Spaß daraus, Altertümliches weiter zu verwenden. „Ich wamse dich“, sagt ja aktuell kein Mensch mehr, wenn er jemandem Prügel androht. Damit vermeidet er eine platte Aktualisierung und überrascht genauso wie mit den sinnvoll eingesetzten Songs, meist zur Gitarre begleitet von David Berton in der Rolle des Valère. Berton ist wie auch Daniel Schütter, der als Cléanthe manchmal auch Klavier spielt, nicht nur Schauspieler, sondern auch Musiker, was ihren Darbietungen unbedingt zugute kommt. Das gleiche gilt für die Schauspielerin und Sängerin Dagmar Bernhard als Punaise. Berton wird am Ende die „Unchained Melody“ von den Righteous Brothers herzzerreißend interpretieren, wenn zu diesem Liebeslied Harpagon (Boris Aljinović) mit seiner Geldkassette schmust und die Paare einander gefunden haben.
Beeindruckend ist Aljinovićs Monolog zu Eminems „Mockingbird“.
Preissler hat Molières Personal auf sieben Schauspieler*innen eingedampft. Oliver Warsitz spielt sowohl die auf Honorare fixierte Kupplerin Frosine, später aber auch Anselme, den finanzkräftigen Vater von Marianne und Valère. Dagmar Bernhards Punaise ist schon durch Kostüm und Schminke als Clown gekennzeichnet. Ähnlich dem Arlecchino aus der Commedia dell’Arte ist sie biegsam, als Energiebündel ständig in Bewegung und wandlungsfähig. Denn Punaise ist sowohl Diener als auch Kutscher, Koch und später sogar Polizist. Mehrere Diener eines Herrn also, die nur ein Pappschildchen im Haar kennzeichnen und die Punaise Raum für jede Menge Frechheiten geben. Sie hat es mit Harpagon auch nicht leicht. Der ist bei Boris Aljinović als Geizkragen typisiert, fast karikiert, indem er bei dem Wort „Gold“ jedesmal runde Augen bekommt und losrennt, um nach dem vergrabenen Schatz zu sehen. Beeindruckend ist Aljinovićs Monolog über das Geld zu Eminens „Mockingbird“. Harpagon will die junge Marianne (selbstbewusst: Iris Niere) heiraten, aber die liebt leider seinen Sohn Cléanthe, den Daniel Schütter mit den Posen eines Popstars ausstattet. Auch seine Tochter Elise – bei Annika Martens eine Zuckerwatte essende Göre, die sich wenig vom Vater sagen lässt – ist verliebt, und zwar in Mariannes Bruder Valère. Der ist Harpagons Diener und bei David Berton ein windelweicher Schleimer und Opportunist. Wie er von Marianne gepuscht wird, das Richtige zu sagen, wie sie sich hinter seinem und des Vaters Rücken über Zeichen mit Cléanthe verständigt, ist lebendig, öffnet eine zweite Ebene und macht ganz einfach Spaß. Aber das gilt für den gesamten Abend. Bleibt eigentlich nur noch zu sagen: Hingehen und das Grau und Trübe dieser Zeit einfach mal vergessen!
Weitere Informationen unter: https://www.ernst-deutsch-theater.de/programm/veranstaltung/der-geizige-370
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Geiz als dominanter Charakterzug
- Konsequenzen des Geizes
Formale SchwerpunKte
- Angleichung der klassischen an die aktuelle Sprache
- historische Ausstattung
- typisierte Figuren
- Musik als ergänzendes Element
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- ab 15/16 Jahre, ab Klasse 10/11
- empfohlen für den Französisch-, Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Die Bearbeitung von Anatol Preissler weicht etwas vom Original ab.
Der Geizhals Harpagon will auf Betreiben der Kupplerin Frosine die junge Marianne heiraten. Sie ist die Schwester seines Dieners Valère und stammt offenbar aus einfachen Verhältnissen. Beide haben bei einem Schiffsunglück ihre Eltern verloren. Das Problem aber ist, dass Harpagons Sohn Cléanthe schon sehr viel länger Marianne liebt und das auf Gegenseitigkeit beruht. Ähnlich verhält es sich mit seiner Tochter Élise, die nämlich Valère liebt. Da der Vater seine Kinder mit seinen eigenen Heiratsplänen überrascht, scheinen diese machtlos zu sein. Allerdings gibt es mit der Dienerin Punaise jemanden, der sich alles zu erlauben scheint. Sie schenkt Harpagon nicht nur ständig reinen Wein ein, sie ist es auch, die seinen streng gehüteten Schatz findet und diesen letztlich zur Erpressung nutzt: Entweder die Kinder dürfen ihre Liebsten heiraten oder der Schatz bleibt für immer verschwunden. Natürlich ist Harpagon das Geld wichtig, deshalb sieht er von seinen Heiratsplänen ab. Hinzu kommt noch, dass plötzlich mit Anselme der Vater von Valère und Marianne auftaucht und sich auch noch als vermögend darstellt. Am Ende ist also alles gut.
Mögliche Vorbereitungen
Über Referaten oder als vorbereitende Hausaufgabe
- Molière: Der Geizige (Inhalt)
- Leben Molières
Speziell für den Theaterunterricht
Über Referate oder als vorbereitende Hausaufgabe
- Recherche zum Begriff „Komödie“ und zur Commedia dell’Arte
- Rolle der Musik im Theater
Erstellen einer Standbildreihe mit Musik
Aufteilung des Kurses in Vierergruppen
Aufgabe:
Erstellt zu nachfolgender Szene drei oder vier Standbilder, die durch Slow-Motion-Bewegungen nacheinander dargestellt werden (Als wenn man auf „Play“ drück). Findet dazu drei unterschiedliche Musikbeispiele: eines, das die Stimmung
a) unterstützt, b) konterkariert, c) ergänzt
Präsentation und Feedback
Aufgabe zur Aktualisierung der Sprache
- Erstellt zu derselben Szene eine Version in moderner Sprache. Dabei dürft ihr die Dialog kürzen, einiges auch weglassen.
- Probt die Szene mit eurem Text und präsentiert sie.
Text (andere Szenen sind ebenfalls möglich)
Zweite Scene
Cléanthe. Elise.
Cléanthe. Es ist mir lieb dich allein zu treffen, Schwester, denn ich konnte es nicht erwarten mit dir zu sprechen, um dir ein Geheimnis mitzuteilen.
Elise. Ich bin ganz Ohr, lieber Bruder. Was hast du mir zu sagen? –
Cléanthe. Sehr viel, Schwester. Und doch umschließt das alles ein einziges Wort: ich liebe.
Elise. Du liebst? –
Cléanthe. Ja, ich liebe. Ehe ich aber fortfahre – ich weiß, daß ich einen Vater habe, von dem ich abhänge, und daß der Name Sohn mich seinem Willen unterwirft; daß wir unser Herz nicht ohne die Einwilligung uns’rer Eltern verschenken dürfen; daß der Himmel sie als Gebieter über uns’re Wünsche eingesetzt hat, und daß es uns’re Pflicht ist, uns ihrer Führung zu überlassen; daß sie, von seiner thörichten Leidenschaft beherrscht, in der Lage sind, sich weit weniger als wir selbst zu täuschen, und viel besser zu beurteilen, was uns frommt; daß wir uns sicherer auf ihre Einsicht und ihr Urteil verlassen können, als auf uns’re Leidenschaft, und daß die stürmische Heftigkeit der Tugend uns nur zu oft in die gefährlichsten Abgründe stürzt. Das alles sage ich dir, meine gute Schwester, damit ich dir die Mühe erspare, es mir zu sagen, – denn meine Liebe will nichts hören, und ich bitte dich, mich mit allen Gegenvorstellungen zu verschonen.
Elise. Hast du dich schon mit deiner Geliebten verlobt, Bruder?
Cléanthe. Nein, aber ich bin dazu entschlossen, und ich beschwöre dich noch einmal, komme mir nicht mit Gründen, um mir’s auszureden.
Elise. Hältst du mich denn für so wunderlich?
Cléanthe. Nein, Schwester; aber du liebst nicht; du weißt nichts von der süßen Gewalt, die eine zärtliche Neigung über unser Herz hat, und ich fürchte dein besonnenes Urteil.
Elise. Ach, Bruder, sprechen wir nicht von meiner Besonnenheit; es giebt niemand, den sie nicht einmal im Stich ließe, und wenn ich dir mein Herz eröffnen wollte, würde ich dir vielleicht sehr viel unbesonnener vorkommen als du dir selbst.
Cléanthe. O, wollte doch Gott, deine Seele, wie die meinige, wäre …
Elise. Sprechen wir nur zuerst von deinen Angelegenheiten, und sage mir, wen du liebst? –
Cléanthe. Ein junges Mädchen, das erst seit kurzem in dieser Gegend wohnt und ganz dazu geschaffen scheint, jedem, der sie erblickt, Liebe einzuflößen. Nie hat die Natur etwas Reizenderes hervorgebracht und ich war vom ersten Augenblick an bezaubert von ihrer Schönheit. Sie heißt Marianne und lebt unter der Obhut einer guten ehrlichen Mutter, die fast immer krank ist, und für welche das liebe Mädchen die rührende Sorgfalt an den Tag legt. Sie pflegt sie, tröstet sie, und bemitleidet sie in einer Weise, die dein ganzes Herz gewinnen würde. Alles, was sie thut, ist anmutig, jeder Bewegung leiht sie einen neuen Reiz, und zeigt eine so liebenswürdige Sanftmut, eine so unwiderstehliche Güte, eine so entzückende Sittsamkeit, ein … Ach, Schwester, ich wünschte nur, du könntest sie sehn! –
Elise. Ich sehe schon genug, Bruder, aus allem, was du mir von ihr sagst; und um ihren Wert zu erkennen, brauche ich nur zu wissen, daß du sie liebst.
Cléanthe. Ich habe unter der Hand erfahren, daß sie nicht wohlhabend sind, und daß sie trotz ihrer Eingezogenheit Mühe haben, ihre wenigen Ausgaben zu bestreiten. Denke nur, Schwester, welche Freude es sein müßte, die Lage eines geliebten Wesens zu verbessern, auf seine Weise dem bescheidnen Bedarf einer tugendhaften Familie zu Hilfe zu kommen, und du wirst einsehn, wie schmerzlich es für mich sein muß, mich durch den Geiz uns’res Vaters außer stande zu sehn, mir dies Glück zu verschaffen, und meiner Geliebten irgend einen Beweis meiner Zärtlichkeit zu geben.
Elise. Ja, ich begreife ganz, Bruder, welchen Kummer du dabei empfinden mußt.
Cléanthe. Ach, Schwester, er ist größer als du ihn dir vorstellen kannst. Sag selbst, kann man sich etwas Grausameres denken als die harte Sparsamkeit, die man gegen uns ausübt, und die unerhörte Dürftigkeit, in der wir schmachten müssen? – Wozu hilft uns unser Vermögen, wenn es uns erst in einer Zeit zufällt, wo wir nicht mehr in den schönen Jahren sind, es genießen zu können? wenn ich jetzt, um nur zu bestehn, nach allen Seiten Schulden machen muß und so wie du gezwungen bin, täglich die Gefälligkeit der Kaufleute in Anspruch zu nehmen, um mir nur einigermaßen anständige Kleider zu verschaffen? – Ich habe dich bitten wollen, liebste Schwester, mir unsern Vater über meine Neigung ausforschen zu helfen; und wenn ich sehe, daß er taub für meine Wünsche bleibt, bin ich entschlossen, mir eine andere Heimat zu suchen, und mit dem geliebten Mädchen mein Schicksal dem Himmel anheimzustellen. Ich bemühe mich deshalb wo ich kann Geld aufzunehmen, und wenn deine Lage, liebste Schwester, der meinigen gleichen sollte, und unser Vater sich dir ebenso widersetzt wie mir, so laß uns ihm beide entfliehen und uns von der Tyrannei frei machen, in der sein unerträglicher Geiz uns schon so lange gekettet hält.
Elise. Es ist wahr, daß er uns täglich mehr und mehr Ursache giebt, den Tod uns’rer Mutter aufs neue zu beweinen.
Cléanthe. Ich höre seine Stimme: laß uns in dein Zimmer gehn, um unsere Geständnisse weiter auszutauschen, und dann mit vereinten Kräften einen Angriff auf seinen harten Sinn versuchen.
aus: https://www.projekt-gutenberg.org/moliere/geizige/chap002.html