Nachtflug

Welchen Wert hat ein Menschenleben gemessen am technischen Fortschritt? Welche Verantwortung tragen Unternehmer? Zur ersten deutschsprachigen Aufführung von Antoine de Saint-Exupérys Roman in Lars Cegleckis Inszenierung im Theater das Zimmer.

Dominik Velz und Erika Döhmen in „Nachtflug“ – Foto: Patrick Bieber

Die Kritik

„I’m on the top of the world, looking down on creation“, singen sie. Stolz, triumphierend müsste es eigentlich klingen, wenn jemand vom Dach der Welt nach unten auf die Schöpfung blickt. Tut es aber nicht. Es hat eher etwas vom Pfeifen im Wald, um die Angst zu vertreiben. Und tatsächlich hat der Pilot Fabien, den Erika Döhmen und Dominik Velz in diesem Moment darstellen, Todesangst. Denn während des Nachtflugs über Argentinien ist er in ein Unwetter geraten und hat den Kontakt zur Bodenstation verloren.

1931 erschien Antoine de Saint-Exupérys Roman „Nachtflug“, wurde noch im selben Jahr mit dem Prix Femina ausgezeichnet und machte den Autor über Nacht berühmt. Erst 1943 veröffentlichte ein Verlag in New York (dort hielt er sich zu der Zeit im Exil auf) „Der kleine Prinz“, das seinen Weltruhm endgültig besiegelte. Trotz dieser Erfolge hat sich Saint-Exupéry stets als Pilot bezeichnet, der die Schriftstellerei nur im Nebenjob betrieb. Ende der Zwanziger Jahre war er in Argentinien verantwortlich für die ersten Nachtflüge. Ein risikoreiches Unterfangen, das die Fluggesellschaften gegen die Konkurrenz im Schienen- und Schiffsverkehr engstirnig verfolgten. 

Ist der technische Fortschritt wichtiger als ein Menschenleben?

Diese Situation ist Kern von „Nachtflug“, das im Theater das Zimmer erstmals auf einer deutschen Bühne zu sehen ist. Inszeniert hat Lars Ceglecki aus dem Leitungsduo des Mini-Theaters in Horn. Einfach macht er es sich und den beiden Schauspieler:innen nicht. Saint-Exupéry hat einen nachdenklichen, poetischen Text geschrieben. Die äußere Handlung spielt eine untergeordnete Rolle, Dialoge gibt es wenige. Wichtiger sind die Gedanken und Gefühle der Figuren: Da ist der um sein Leben kämpfende Pilot Fabien, seine wartende Frau und da ist vor allem der Direktor Rivière, der in der Bodenstation auf Fabiens Flugzeug wartet. Dessen Fracht soll pünktlich weiter nach Europa geschickt werden und damit die Konkurrenten von Schiffs- und Bahnverkehr hinter sich lassen. Während es Wartens muss Rivière miterleben, dass Fabien in dem über ganz Argentinien wütenden Zyklon chancenlos ist. Durch Rivière macht Saint-Exupéry seine Zweifel am Sinn der Nachtflüge und seine Reflexionen zur Verantwortung eines Menschen deutlich. Ist der technische Fortschritt tatsächlich so wichtig, dass Menschenleben geopfert werden?

Um die beiden Handlungsebenen zu unterscheiden steht vorne links auf der Bühne ein Tisch für die Bodenstation, rechts und hinten in der Mitte zwei Leitern und übereinander gestapelte Podeste, um die Lage im Flugzeug zu beschreiben. Döhmen und Velz, beide in blauen Latzhosen, nehmen keine festen Rollen ein. Nur über ihre Körperhaltung oder ihre Position im Raum werden sie zu Rivière, zu Fabien, zu dessen Frau oder zu einem Mitarbeiter Rivières. Schnell wechseln sie innerhalb der enormen Textmassen vom Dialog und Spiel in die Situation des Erzählens. Jede Figur wird plastisch: die des um sein Leben kämpfenden Fabien, die seiner vor Angst wahnsinnigen Frau und die von Rivière, der mit seinem Auftrag hadert. Was ist ein Menschenleben wert? Ceglecki, Döhmen und Velz gelingt es, in 90 spannenden Minuten diese existenzielle Frage zu verhandeln. Ein mutiger Abend. 

Weitere Informationen unter: https://www.theater-das-zimmer.de/

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Der Wert eines Menschen gegenüber technischem Fortschritt und Profitdenken 
  • Verantwortung von Unternehmen
  • Überlebenskampf
Formale Schwerpunkte
  • Wechsel zwischen Erzählung und Dialog
  • Darstellung zweier Orte durch unterschiedliche Ebenen und Licht
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • ab 14/15 Jahre, ab Klasse 9/10
  • für Deutsch-Französisch- und Theaterunterricht 
Zum Inhalt

Es ist die Zeit der ersten Nachtflüge. Flugunternehmen versuchen damit konkurrierende Verkehrsmittel wie Schifffahrt und Eisenbahnverkehr auszustechen und gehen immer größere Risiken ein. Auch die Firma, für die der Postflieger Fabien arbeitet. Er befindet sich auf einem Nachtflug, als plötzlich ein Unwetter aufkommt, das sich über ganz Argentinien ausbreitet. Fabien verliert den Funkkontakt zur Bodenzentrale, verliert die Orientierung, kämpft um sein Leben. Am Boden verfolgt sein Vorgesetzter Rivière, der den Flug veranlasst und auf eine pünktliche Landung gedrungen hat, mit wachsender Sorge Fabiens aussichtslose Situation. Er beginnt an der Sinnhaftigkeit dieser Flüge zu zweifeln und seine eigene Verantwortung zu reflektieren. Verstärkt wird dieser Konflikt durch Fabiens Frau, die von Rivière Antworten erwartet. Fabien weiß, dass er nur noch Treibstoff für eine halbe Stunde hat und damit unmöglich landen kann, zumal er in dem Unwetter nichts sehen kann. Als er ein paar Sterne auszumachen glaubt, steigt er in die Höhe, lässt das Dunkel hinter sich und verschwindet. Es ist anzunehmen, dass er den Flug nicht überlebt hat.

Mögliche VorbereitungeN
Über Referate, in Gruppenarbeit oder als vorbereitende Hausaufgabe:
  • Lektüre von Antoine de Saint-Exupéry: Nachtflug (oder Inhaltsangabe)
Im Unterrichtsgespräch:
  • Was ist wichtiger: technischer Fortschritt oder ein Menschenleben? 
Speziell für den Theaterunterricht
Darstellung von Figuren und Empfindungen über Körperhaltung (Status)
Übungen zur Körperhaltung 

Auffädeln
Alle TN stehen im Kreis, Füße schulterbreit, Schultern gerade, Kopf gerade, als wenn ein Faden durch den Körper geht. Der Faden wird abgeschnitten, der Oberkörper fällt nach vorne und fädelt sich Wirbel für Wirbel auf, bis neutrale Haltung wieder eingenommen. Dann Arme nach oben ausstrecken so weit wie möglich, ohne dabei auf die Zehenspitzen zu gehen, dann wieder den Oberkörper fallen lassen und wieder auffädeln. 

Ausklopfen
Unterschenkel, Oberschenkel, Po, Bauch, Arme, Gesicht ausklopfen, Kopfmassage; mit der Zunge die Zähne putzen; Gesicht zusammenziehen, weiten (grinsen, staunen usw) > dient der Lockerung. 

Körperhaltungen probieren
Schulterbreiter Stand, Hände in die Hüften, Kinn nach oben > Macht
Beine übereinander gestellt, Kopf schräg > Unsicherheit
Am T-Shirt zupfen, von unten jdn. ansehen > Unterwürfigkeit, Unsicherheit 

Status 

Begriff entwickelt von Keith Johnstone aus Improvisationstheater. Der Begriff hat nichts mit sozialer Position zu tun; muss nicht mit Wertung verbunden sein; A-Status muss nichts Besseres sein; z.B. im engen Flur muss einer in den B-Status gehen und sich klein machen, damit man aneinander vorbeikommt. 

A-Status/ Hochstatus: herrschend; Körperhaltung groß, stark; herrisch, von oben herab, macht sich breit, nimmt viel Raum ein, beansprucht Platz in Breite und Höhe, spricht viel, nimmt an man hört gerne zu, spricht laut, spricht langsam und sorgfältig, Leute werden warten und zuhören, fummelt nicht herum, hält Blickkontakt, geht wohin sie will, andere müssen aus dem Weg gehen; geht nahe an andere heran, Selbstvertrauen, bewegt sich langsam, wohlüberlegt; Körperspannung; ist unnahbar; strahlt aus: Komm mir nicht so nahe 

B-Status/ Tiefstatus: gesenkter Kopf, an Klamotten ziehen; Trippelschritte; klein machen, langsam; hektisch, schüchtern; sitzt auf Stuhlkante, will keinen Platz beanspruchen, spricht schnell, nicht sehr laut, Reihe von ohs oder es, weil unsicher, verzieht nervös das Gesicht; Übersprungshandlungen; keine Spannung, zusammengefallen; strahlt aus: ich tue niemandem etwas 

Statusübergänge
Übergänge von Hoch- zu Tiefstatus meist fließend; bzw. gibt es Abstufungen. von 1 (niedrigstes) bis 5 (höchstes).

Statusübung – bzw spiel 

Einteilung in Fünfer-Gruppen. Gruppe 1 verlässt den Raum, Gruppe 2 nennt einen Ort, an dem die Szene spielen soll,. Gruppe 1 bekommt Ort genannt, jeder TN bekommt (geheim!) eine Nummer, die seinen jeweiligen Status darstellt. Die Gruppe betritt die Bühne, stellt den Ort mit den Personen in dem jeweiligen Status dar. Die anderen müssen den Status aufgrund der jeweiligen Körperhaltung erraten. Dann weiter mit Gruppe 2, 3 usw.