Die Welt steht kopf und alle Medien gleich mit. Alle? Nein, unbeirrbar gibt sich der „Kanale Kabale“. Clemens Sienknecht und Barbara Bürk haben im Hamburger Schauspielhaus mit „Kabale und Liebe – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ eine neue Ausgabe ihrer Radioshow inszeniert und treffen beim Publikum genau den richtigen Nerv.
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Die Kritik
Alles so vertraut hier: die Cocktailsessel mit dem Tischchen und der Stehlampe links, in der Mitte die Treppe, die zu einem Fenster und einer Glasveranda führt, rechts das Regie- und Mischpult, davor die Geräusche-Station. So sah die Bühne schon bei „Effi Briest“, „Die Nibelungen“ und „Anna Karenina“ aus, und so hat sie Anke Grot auch wieder für „Kabale und Liebe“ eingerichtet, der neuen Radioshow von Clemens Sienknecht und Barbara Bürk. Wie ihre Vorgänger trägt sie selbstverständlich auch den Zusatz „allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“.
Ablauf und Struktur halten sich ebenfalls an das bewährte Konzept: Sienknecht, zunächst in seriösem Politiker-Anzug (Kostüme ebenfalls Anke Grot) knipst das Licht an und nimmt mit verschiedenen Instrumenten Tonspuren für den ersten Song auf. Das – auch hier wieder grandiose – Ensemble (Yorck Dippe, Ute Hannig, Markus, John, Jan-Peter Kampwirth, Friedrich Paravicini und Michael Wittenborn) gruppiert sich und singt mit Verve „We’ re up all night to geht lucky“ von Daft Punk, einen von den vielen neu arrangierten Pop-Songs dieses Abends. Dann wechselt es wie gehabt zwischen den Rollen als Radio-Moderator:innen („Die super Schiller-Night“, „Das Beste aus dem Dichter-Olymp“) und Figuren aus Schillers Drama. Letztere werden ergänzt durch ausgedachte oder „vergessene Randfiguren“ wie Monika Millerin (Clemens Sienknecht) und Oberschenk Bertram von Bock (Michael Wittenborn).
Der Gesang des Ensembles hakt wie eine defekte Platte.
Wie immer werden Patzer eingebaut, wie immer sind sie wahnsinnig komisch, obwohl das Prinzip bekannt ist. Sei es, dass der Gesang des Ensembles hakt wie eine defekte Platte, sei es dass zur Einstimmung die Nadel des Plattenspielers auf die falsche Rille gesetzt wird und die Erzählstimme (Michael Prelle) erst von „Emilia Galotti“, über „Das Kätchen von Heilbronn“ und „Minna von Barnhelm“ zur gewünschten Passage von „Kabale und Liebe“ rutscht (und dabei brutal über die LP kratzt). Die tragische Geschichte der Bürgertochter Luise Millerin (Ute Hannig) und dem Adligen Ferdinand von Walther (Jan-Peter Kampwirth) wird in Teilen im Original-Text – selbstverständlich übertrieben – gespielt, das Getrappel von Pferden oder Vogelgezwitscher wird sichtbar von der Geräusch-Station eingespielt. Zwischen den einzelnen Szenen gibt es vom Regiepult erzählerische Überleitungen, Kalauer der flachsten Sorte, eingespielte Jingles („Radio mit Sturm und Drang“) und Werbe-Unterbrechungen („Steife Haare spät bis früh/ safe, safer Safety Sprüh!“), für die die Szene angehalten und der Werbespruch im Chor gesprochen wird. Ein Schelm, wer bei alledem an eine Satire auf das tatsächliche Gute-Laune-Radio der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender denkt. Was die allerdings nicht im Programmen haben, ist der unglaublich komische Tanz für Jung und Alt, den das Ensemble mit genauen Anweisungen („Wisch, wisch – schaufel, schaufel..“) und heiligem Ernst vorführt.
„Nicht länger als 119 Minuten“ (da stimmt die Ankündigung im Programmheft) dauert die Show mit all ihren wohlbekannte Ingredenzien. Das Publikum rast vor Begeisterung, der nächste Schauspielhaus-Hit ist hiermit im Kasten. Und was wusste Schiller schon 1784? „Wenn Gram an den Herzen nagt, wenn trübe Laune unsere einsamen Stunden vergiftet, wenn uns die Welt und Geschäfte anekeln (…), so empfängt uns die Bühne – in dieser künstlichen Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wiedergegeben (…).“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Weitere Informationen unter: https://schauspielhaus.de/stuecke/kabale-und-liebe-allerdings-mit-anderem-text-und-auch-anderer-melodie
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Schillers Drama „Kabale und Liebe“ in Auszügen
- Darstellung einer Radioshow
Formale SchwerpunKte
Mixtur aus Erzählpassagen, neu arrangierte Pop-Songs, Moderationen, Werbesprüchen und Original-Szenen.
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- 15/16 Jahre, ab Klasse 10 (Vorkenntnisse zu Schillers „Kabale und Liebe“ erhöhen den Genuss!)
- empfohlen für den Deutsch-, Musik- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Sienknecht und Bürk nehmen Schillers Tragödie als Grundlage, ändern sie aber teilweise ab.
Gezeigt wird die Entstehung einer Radioshow zu „Kabale und Liebe“. Dazu werden Popsongs, Werbung, Kalauer und Jingles eingespielt. Regieanweisungen für die Szenen werden laut vorgelesen und umgesetzt.
Mögliche Vorbereitungen
Friedrich Schiller: Kabale und Liebe (Lektüre oder inhaltliche Zusammenfassung)
Speziell für den Theaterunterricht
In der Inszenierung werden teilweise Szenenanweisungen verlesen, die die Spieler:innen entsprechend ausführen.
Die Spielleitung teilt Dreiergruppen ein.
Aufgabe:
- Setzt die nachfolgende Szene (Erster Akt, erste Szene) aus „Kabale und Liebe“ um, indem
- eine:r von euch die Regieanweisungen so langsam vorliest, dass zwei Spielende sie entsprechend umsetzen können. Hier darf gerne übertrieben oder noch während des Spiels verbessert werden.
- Die Dialoge dürfen (stark) auf das Wesentliche gekürzt werden.
- Probt die Szene mehrfach. Überlegt, an welchen Stellen durch euer Spiel Komik entstehen könnte.
Präsentation und Feedback.
Text
Zimmer beim Musikus.
Miller steht eben vom Sessel auf und stellt sein Violoncell auf die Seite. An einem Tisch sitzt Frau Millerin noch im Nachtgewand und trinkt ihren Kaffee.
Miller (schnell auf- und abgehend). Einmal für allemal! Der Handel wird ernsthaft. Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei. Mein Haus wird verrufen. Der Präsident bekommt Wind, und kurz und gut, ich biete dem Junker aus.
Frau. Du hast ihn nicht in dein Haus geschwatzt – hast ihm deine Tochter nicht nachgeworfen.
Miller. Hab‘ ihn nicht in mein Haus geschwatzt – hab‘ ihm ’s Mädel nicht nachgeworfen; wer nimmt Notiz davon? – Ich war Herr im Haus. Ich hätt‘ meine Tochter mehr coram nehmen sollen. Ich hätt‘ dem Major besser auftrumpfen sollen – oder hätt‘ gleich Alles Seiner Excellenz, dem Herrn Papa, stecken sollen. Der junge Baron bringt’s mit einem Wischer hinaus, das muß ich wissen, und alles Wetter kommt über den Geiger.
Frau (schlürft eine Tasse aus). Possen! Geschwätz! Was kann über dich kommen? Wer kann dir was anhaben? Du gehst deiner Profession nach und raffst Scholaren zusammen, wo sie zu kriegen sind.
aus: https://www.projekt-gutenberg.org/schiller/kabale/chap001.html