Die Rache der Fledermaus

Artensterben im Walzerschritt. Am Thalia Theater wird die Operette von Johann Strauß mit Texten von Thomas Köck aufgemischt.

Showdown bei Orlofskys Maskenball – Foto:  Krafft Angerer

DIE KRITIK

„Das hier ist keine Operette“, stellt der Frosch schon mal zu Anfang klar. Seine Stimme klingt, als habe er tonnenweise Helium inhaliert. Seine Bewegungen sind tänzerisch-elegant, seine Ansagen haben einen spitzbübischen Charme. Ein Spielverderber will er sein. Will mit dem folgenden Stück nicht informieren, nicht beeindrucken und auch nicht unterhalten. Also was denn nun?! Der rotsamtene, nach beiden Seiten geraffte Vorhang sieht doch schon mal nach Operette aus. Allerdings gähnt dahinter ein undurchdringliches Dunkel, in das weiße, schemenhafte Tierkörper projiziert sind. Es herrscht Endzeitstimmung. „Die Fledermaus“, einst wegen seiner Beschwingtheit Lieblingsstück im Silvesterprogramm deutschsprachiger Bühnen, trudelt nicht einfach so auf den Spielplan des Thalia Theaters. Hier haben Anna-Sophie Mahler (Regie) und Julia Lochte (Dramaturgie) die Strauß’sche Walzerseligkeit mit den düsteren Texten aus Thomas Köcks „und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr“ aufgebrochen. Das Artensterben und das, was wir Menschen auf der Erde, speziell in der Natur angerichtet haben, soll den Unterton für die Geschichte liefern. Eine Geschichte im Futur Zwei, denn „wir werden verschwunden sein“, weissagt der Frosch. Grollend untermalt das fünfköpfige Orchester (musikalische Leitung, Arrangement: Arno Waschk) seinen Auftritt.

Weit weg von jeglicher Fröhlichkeit

Es ist ein Anfang, der neugierig macht. Und doch ist er noch immer nicht zu Ende. Das charmante Fröschlein (Cathérine Seifert) erzählt weiter, was „das hier“ nicht ist. Aber dann setzt die Musik mit einem schrammelnden, schiefen Walzer ein. Man könnte danach tanzen. Nur die Figuren mit den aufwendig gestalteten Vogel- und Bärenköpfen (Maske: Julia Wilms, Esther Chahbaznia, Maria Graf, Judith Rauprich) bleiben stehen. Mit hängenden Schultern, tief melancholisch, weit weg von jeglicher Fröhlichkeit. Einer, der sich später als Alfred (bleibt konsequent bei ruckartigen Vogelbewegungen: Julian Greis) entpuppt, besingt engelsgleich sein „Täubchen, liebes Täubchen“. Gemeint ist Rosalinde (souverän und hinreißend: Gabriela Maria Schmiede), die sehr bald entnervt mit einem „Ach Alfred, hör doch auf!“, ihre Maske abnimmt und den Sänger in die Schranken weist. Verheiratet ist sie mit Gabriel von Eisenstein. Felix Knopp zeigt eine völlig durchgedrehten, ständig die silberfarbene Hose hochziehende, zwielichtige Gestalt. Von Eisenstein neigt zur Gewalt, ihn erwartet eine Gefängnisstrafe. Sein Freund Dr. Falke (Björn Meyer) überredet ihn jedoch, es gemeinsam auf den Maskenball des Prinzen Orlowsky (geschmeidig-aasig: Odin Baron) erst einmal richtig krachen zu lassen. Die Zofe Adele (völlig unterfordert: Victoria Trauttmansdorff) hat Order, dort ebenfalls zu erscheinen.

„Glücklich ist, wer vergisst“

Eine pyramidenartige Treppe (Bühne: Katrin Connan) bietet den Rahmen für das große Fest. Rosalinde erscheint mit Gazellenkopf in eng anliegendem Glitzerkleid (Kostüme: Pascale Martin) und bewegt sich so sexy, dass ihr Gatte den Verstand zu verlieren droht.   „Glücklich iiiist, wer vergiiiisst, was nicht mehr zu ändern ist.“ Den Gassenhauer aus der Operette singt zunächst das Partyvolk, dann verstärkt ein 16-köpfiger Chor und schließlich wird auch das Publikum im Theater zum Mitsingen animiert. Die Untaten vergessen, keine Verantwortung übernehmen – ein starker, bitterböser Moment in dieser Inszenierung. Scharf blitzt hier die Verbindung zwischen der Strauß-Operette und den Köck-Texten auf. Meist aber sucht man in den knappen zwei Stunden, die der Abend dauert, vergeblich danach. Ebenso wie eine plausible Geschichte fehlt. Warum zum Beispiel Orlowsky aus dem Zuschauerraum auftritt, wo er anfangs geräuschvoll seinen Platz gesucht hat, wird nicht klar. Und warum findet zu Beginn schon eine Art Maskenball statt?  Welche Funktion hat der als Fledermaus verkleidete Dr. Falke außer, dass er titelgebend ist? Der ursprüngliche Impuls für die Geschichte nämlich – Dr Falke nimmt Rache, weil er nach einem Maskenball in seinem Kostüm schlafend im Garten zurückgelassen und darüber zum Gespött der Leute wurde – taucht erst ziemlich am Schluss auf, gibt aber in dieser Inszenierung kein Motiv ab. Die Verschränkung von Strauß und Köck ist ein ehrenwertes und ambitioniertes Unterfangen, aber es gelingt nicht wirklich. Immerhin erfahren wir am Ende von dem netten Frosch, welche Arten aussterben werden. Es sind unendlich viele, darunter ist auch die Wimpernfledermaus.

https://www.thalia-theater.de/stueck/die-rache-der-fledermaus-2022

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Verantwortungslosigkeit gegenüber der Natur
  • Artensterben
  • Flucht in Rausch
Formale Schwerpunkte
  • Verfremdung durch Tierköpfe
  • Aufbrechen der Operettenstruktur
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 16 Jahre; Jahrgangsstufe 10
  • geeignet für Theater- und Musikunterricht
Zum Inhalt

Gabriel von Eisenstein soll wegen Beamtenbeleidigung eine Gefängnisstrafe verbüßen. Sein Freund Dr Falke, bereits als Fledermaus verkleidet, überredet ihn, mit ihm gemeinsam zum Maskenball des Prinzen Orlowsky zu gehen. Dort wird gefeiert und keine Verantwortung übernommen, der Rausch ersetzt die Auseinandersetzung mit den Tatsachen wie zum Beispiel der Ausbeutung der Natur. Auf dem Ball trifft von Eisenstein unvermutet auf seine als Gazelle verkleidete Gattin Rosalinde, die von Alfred umworben wird, dem aber einen Korb gibt. Die Gäste des Prinzen sind alle als Tiere verkleidet, meist als solche, die vom Aussterben bedroht sind. Ein Frosch, der bereits in das Stück eingeführt hat, zählt die Arten auf. Nach und nach verschwinden die Gäste von der Party. Zurück bleibt der Frosch.

Mögliche VorbereitungeN

Über Referate oder Gruppenarbeit Vorbereitungen zum Thema Operette:

  • Was ist eine Operette?
  • Wie ist sie aufgebaut?
  • Was will sie erreichen?
  • Wann hatte sie ihre Blütezeit?
  • Welche Bedeutung hat sie heute?

Inhaltsangabe zur „Fledermaus“ von Johann Strauß vorbereiten lassen (https://www.operetten-lexikon.info/?menu=55&lang=1)

Speziell für den Theaterunterricht

Übungen zur Bewegung

Raumlauf, dann Bewegungen ausprobieren. Spielleitung gibt vor:

  • Hüpft wie ein Frosch.
  • Stolziert wie eine Giraffe.
  • Bewegt euch wie ein Vogel.
  • u.ä.
Einfache Masken (Köpfe) aus Papiertüten bauen:
  • Löcher für Augen und Mund schneiden
  • Papiertüten aufsetzen und über nur Bewegungen und Gesten Gefühle wie Freude, Trauer, Wut o.ä. ausdrücken. Dabei die Bewegungen klar und eindeutig zeigen.