Der Talisman

Tempo, Witz und Intelligenz – Herz, was begehrst du mehr in diesen Zeiten? Johann Nestroy hätte sicher auch Spaß an Bastian Krafts Inszenierung seiner Posse im Thalia in der Gaußstraße.

Salome (Julian Greis, li) und Titus (Lisa-Maria Sommerfeld) haben eine problematische Haarfarbe – Foto: Krafft Angerer

DIE KRITIK

Es sind die Haare. Sie verhindern eine Anstellung, von einer beruflichen Karriere ganz zu schweigen. Titus’ Haare sind rot – nicht umsonst lautet sein Nachname Feuerfuchs. Und rote Haare sind ein gesellschaftliches No-Go. So einen will man nicht beschäftigen, und mit so einem will man auch nicht gesehen werden.

In genau dieser fatalen Situation steckt Johann Nestroys Protagonist von „Der Talisman“. Der österreichische Dichter, Sänger und Schauspieler hatte ein feines Gespür für alles, was in der Gesellschaft schieflief. Darüber hätte er in tiefe Depressionen verfallen und finsterste Stücke schreiben können. Statt dessen überspitzte er seine Beobachtungen und gab sie der Lächerlichkeit preis. Wie bei allen guten Komödien wurde auch bei Nestroy das Tragische zu deren Basis. Jetzt hat sich Bastian Kraft die 1840 uraufgeführte „Posse in drei Akten“ für das Thalia in der Gaußstraße vorgenommen und man darf annehmen, dass Nestroy bei dieser temporeichen, intelligenten und witzigen Inszenierung allerhöchsten Spaß gehabt hätte. Und nicht nur er. 200 begeistert applaudierenden Premierengäste ging es offenbar genauso.

Ein greller Comic mit schnell wechselnden Videoprojektionen und mitreißenden Rap- und Popsongs.

Kraft, der u.a. mit „Der Tod in Venedig“ in der Gaußstraße regelmäßig für ausverkaufte Vorstellungen sorgt, gestaltet die Geschichte um Titus zu einem grellen Comic mit schnell wechselnden Videoprojektionen (Jonas Link), mitreißenden Rap- und Popsongs (Musik: Carolina Bigge) und einem gegen die Geschlechter besetzten Ensemble, das in Windeseile und später für das Publikum sichtbar die Rollen wechselt. Es geht ja schließlich um die Diskrepanz zwischen Schein und Sein und den Vorurteilen, die sich auf Äußerlichkeiten gründen. Denn Titus bekommt  erst eine Anstellung am Schloss, als er dort mit einer schwarzen Perücke auftaucht. Die hatte ihm zuvor der Friseur Monsieur Marquis als Talisman geschenkt, weil Titus ihm das Leben gerettet hatte. Plötzlich wird Titus von der Gärtnerin, der Kammerfrau und sogar von der Schlossherrin anerkannt. Allerdings trägt er da, einem Missgriff zufolge, bereits eine blonde Perücke, später, als der Erbonkel erscheint, muss er auf eine graue Perücke zurückgreifen, weil alle anderen nicht mehr in seinem Besitz sind. Am Ende bekennt sich Titus zu seinen roten Haaren und zeigt, wer er wirklich ist. 

Was steckt wirklich hinter dem Äußeren eines Menschen? Diese Frage stellt sich vielleicht heute mehr denn je.

Titus durchschaut die Gesellschaft und Krafts Inszenierung mit ihm. Dabei hilft die von  Nadin Schumacher geschaffene drehbare Bühnenwand. Deren eine Seite zeigt eine weiße Fläche mit geschlossenen Türen und Fenstern für comicartige Videoprojektionen. Wird sie gedreht, präsentiert die Rückwand unterschiedliche Masken und Kostüme (Kostüme: Inga Timm) und das Publikum kann zusehen, wie die Figuren von einer Rolle in die andere schlüpfen, wie Schauspielerinnen als Männern und Schauspieler als Frauen auftreten. Julian Greis ist die schüchterne und irgendwie anrührende Gänsehüterin Salome, die Titus liebt, wie er ist, weil sie auch rote Haare hat. Er spielt aber auch die aristokratische Schlossherrin. Pascal Houdus wechselt von der arroganten Gärtnerin, zur lispelnden Tochter Emma, zum tatterigen Notarius Falk. Sandra Flubacher ist breitbeiniger Gärtnergehilfe, aalglatter Friseur und Titus’ generöser Onkel, Oliver Mallison die verliebte Kammerfrau und der Diener Georg. Lisa-Maria Sommerfeld gibt durchgängig den quicklebendigen, sehr wachen Titus. 

Was steckt wirklich hinter dem Äußeren eines Menschen? Diese Frage stellt sich vielleicht heute mehr denn je. Insofern: Unbedingt hingehen und gute 100 Minuten allerbeste Komödie erleben! 

Näheres unter:https://www.thalia-theater.de/stueck/der-talisman-2022

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Diskrepanz zwischen Schein und Sein
  • Macht der Vorurteile
  • Umgang mit Ausgrenzung
  • Entwicklung von Selbstbewusstsein
Formale Schwerpunkte
  • Einsatz von Videoprojektionen
  • Comichafte Überzeichnung
  • Einsatz von Songs
  • Öffentliche Präsentation des Rollenwechsels
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufen
  • ab 15 Jahre, ab Klasse 9
  • empfohlen für Deutsch- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Titus vagabundiert durch die Welt und sucht irgendwo eine feste Arbeit. Sein Problem ist seine Haarfarbe. Die ist rot und damit wird man in der Gesellschaft geächtet. Vor allem in der besseren, denn die Gänsehirtin Salome hat auch rote Haare und findet sie schön. Aber sie hat ja auch keine größeren Ambitionen. Als Titus durch Zufall dem Friseur Monsieur Marquis das Leben rettet, schenkt dieser ihm zum Dank eine schwarze Perücke als Talisman. Tatsächlich hilft der Titus bei seiner Jobsuche. Mit einem dunklen Lockenkopf gewinnt er am Hof des Schlosses das Herz der Gärtnerin Flora und sogar das  der Kammerfrau Constanzia. Als der Friseur, der sich eigentlich Hoffnung auf die Kammerfrau gemacht hat, diese zusammen mit Titus erwischt, stiehlt er ihm die schwarze Perücke wieder. Titus in seiner Not bricht heimlich in das Friseurgeschäft ein und nimmt aus Versehen eine blonde Perücke mit. Mit dieser Frisur erscheint er bei der Schlossherrin Frau von Cypressenburg, der er allerdings von Kammerfrau und Gärtnerin als Schwarzhaariger angekündigt worden war. Die findet aber gerade das Blonde so schön und entlässt sogar Kammerfrau und Gärtnerin wegen ihrer vermeintlichen Falschaussage. Titus scheint es geschafft zu haben. Doch da erscheint noch einmal der Friseur und entlarvt ihn als Betrüger. Titus setzt die blonde Perücke ab und verlässt mit roten Haaren das Schloss.

Aber dann trifft sein reicher Onkel ein, der ihm, dem Außenseiter, helfen will. Titus leiht sich eine graue Perücke von der Gärtnerin  und erklärt dem Onkel, dass ihn der Kummer hat ergrauen lassen. Gerührt will dieser ihn zu seinem Universalerben machen. Salome aber deckt Titus’ Geheimnis auf und auch Titus möchte sein Glück nicht auf Betrug aufbauen. Er bekennt sich öffentlich zu seinen roten Haaren und bittet den Onkel lediglich, ihm ein Geschäft einzurichten. Salome will er heiraten und mit ihr viele rothaarige Kinder zeugen – damit die Rothaarigen irgendwann nichts Besonderes mehr sind.

Mögliche VorbereitungeN

Über Referate, als vorbereitende Hausaufgabe oder in Gruppenarbeit:

  • Johann Nestroy: Leben und Wirken
  • Inhaltsangabe von der „Der Talisman“

Im Unterrichtsgespräch

  • Wann und wie entscheidet das Äußere über einen Menschen?
  • Wo geschieht Ausgrenzung öffentlich/ verdeckt?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, das Äußere auszublenden (z.B. bei Einstellungsgespräche)?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, Ausgrenzung zu vermeiden?
Speziell für den Theaterunterricht: 
90 – 60 – 30 (Kinotrailer): 

In Kleingruppen wird die Inhaltsangabe noch einmal vorgelesen; dann werden die wichtigsten Inhalte von jeweils einer Person der Gruppe zuerst in 90, dann in 60, zuletzt  in 30 Sekunden wiedergegeben. Auf Grundlage der so ermittelten Schwerpunkte soll ein kurzer Kinotrailer konzipiert werden, bei dem auch Sprache verwendet werden darf. Am Ende spielen alle Kleingruppen ihre Trailer vor. 

Reflexion nach jeder Präsentation zu den jeweils gesetzten Schwerpunkten.

Mickey Mousing

Der Begriff stammt aus dem Film und bezeichnet eine Technik, bei der Musik/Sound mit der im Film gezeigten Handlung koordiniert wird. Im Theater wird der Begriff ähnlich verwendet. Er bezeichnet die Koordination von Sound/Geräuschen und Handlungen und wird meist verwendet, um bestimmte Handlungen zu überspitzen und ins Lächerliche zu ziehen.

Aufgabe für jede Gruppe.

Entwickelt auf der Grundlage eures Trailers eine kurze Szene.

Verwendet dazu das Mickey Mousing, indem ihr jede Geste, jede Bewegung mit einem Geräusch untermalt.

Präsentation und Besprechung der Wirkung