Bye Bye Life

Das Leben feiern, weil jeder Tag dein letzter sein kann. Sterben müssen wir schließlich alle. Also dann: das Jetzt genießen und trotzdem dem finalen Abschluss aufrecht entgegensehen. Wie das geht, zeigt „Bye Bye Life“ in Sven Niemeyers unpathetischer, sensibler Inszenierung im Theater Das Zimmer.

Aline (Sabrina Ascacibar) gibt noch einmal richtig Gas. – Foto: Patrick Bieber

Die Kritik

„Wir sagen uns nicht Tschüß.“ Ein stilles Einverständnis, ein zärtlicher, warmer Blick zwischen Mutter und Tochter. Jetzt, wo es definitiv ans Ende geht, sind alle Streitereien, alle Verletzungen bereinigt und geklärt. Aline leidet an einer unheilbaren neurodegenerativen Krankheit, nach und nach wird sie Gehirn und Körper ausschalten. Aline wird sterben, deshalb hat sie ihre Tochter Nina gebeten, zu ihr zu kommen. 

Zugegeben, es gibt leichtere Themen für eine Sommerbespielung. Das Theater Das Zimmer hat jedoch Mut bewiesen und sich als letzte Premiere in dieser Spielzeit für „Bye Bye Life“ des französischen Autoren-Duos Andréa Bescond und Eric Métayer entschieden.  Für die deutschsprachige Erstaufführung konnte man Regisseur Sven Niemeyer gewinnen, der „Hamburgs kleinstem Theater“ schon Erfolge wie  „The 24th Day“ und „Trümmer“ beschert hat. Niemeyer nähert sich dem Stück sensibel und vermeidet jede Art von Weinerlichkeit, setzt statt dessen auf sprudelnde Lebensfreude einerseits und ehrliche Angst andererseits. So gelingt ihm mit seinen beiden überzeugenden Schauspielerinnen Sabrina Ascacibar (Aline) und Kim Bormann (Nina) sowie der Pianistin Ricarda Schmersahl (auch in der stummen Rolle der personifizierten Krankheit) die Balance zwischen komischen und nachdenklich-traurigen Situationen. Die bietet das Stück  zwar mit der ihm eigenen französischen Leichtigkeit an, aber dass die Umsetzung derart berührend und eindringlich gelingt, geht auf das Konto dieser Inszenierung. 

Sie singen lauthals mit zu Chers „Strong Enough“, fallen einander in die Arme, lachen, tanzen. So sieht Lebensfreude aus.

Von Vorteil ist diesmal mehr denn je die räumliche Nähe zwischen Publikum und Spiel. Nur ein schmaler Steg zwischen zwei einander gegenüberliegenden Zuschauerreihen dient als Bühne, rechts auf einem Podest steht das Klavier. Was hier verhandelt wird, ist unmittelbar, direkt, ein Ausweichen von Seiten des Publikums unmöglich. Wenn jede Gefühlsregung zu sehen ist, braucht es Schauspielerinnen wie Ascacibar und Bormann. Ascacibars Aline zeigt sich zu Beginn als streitbare, selbstbewusste Frau. Eigentlich hat sie schon alles erledigt: die Wohnung leer geräumt, Gas und Elektrizität gekündigt, fehlt nur noch der Handy-Vertrag. Das erfolglose Kündigungsgespräch am Telefon – Pin? Kundennummer? – inklusive Warteschleife ist der amüsante Beginn dieses gut 90-minütigen Abends (Inklusive Pause). Hinter der schnodderigen Fassade steckt jedoch ein zerbrechlicher, einsamer Mensch, der sich ehrlich freut, als Tochter Nina nach „21 Monaten und vier Tagen“ endlich zu ihr kommt. Bormanns Nina erstürmt obergenervt die Bühne. Sie arbeitet für eine Hilfsorganisation am anderen Ende der Welt, der Jetlag steckt ihr noch in den Knochen und sie hat keine Ahnung, warum sie bei ihrer Mutter anzutanzen hat. Sie hatte eine „Scheiß-Kindheit“ und noch eine Rechnung offen mit einer Mutter, „die so ganz anders ist als alle anderen Mütter.“  Erst als Aline ihr von der Krankheit erzählt und ihre Angst vor einem würdelosen Tod zugibt, wird sie weicher und beginnt die Mutter zu verstehen. Sie erzählt von Erinnerungen (die sie vielleicht in diesem Moment erfindet, die aber Aline freuen). Sie überwindet sich sogar, mit ihr in die „abgeranzte“ Karaoke-Kneipe zu gehen, obwohl ihr das irgendwie peinlich ist. Aber dort haben beide früher einmal glückliche Abende verlebt, und das zählt jetzt. Unter der glitzernden Disco-Kugel  singen sie lauthals mit zu Chers 90er-Jahre-Kracher „Strong Enough“, fallen einander in die Arme, tanzen, strahlen. So sieht Lebensfreude aus. Es wird einer von Alines letzten Abenden sein. „Ich habe die Hand auf die Stirn meiner Mutter gelegt, die friedlich stirbt“, sagt Nina am Schluss und „Du hast mich gelehrt, das Leben zu lieben.“ Ein großartiger, anrührender, unbedingt sehenswerter Abend, der uns alle angeht.

Weitere Informationen unter: www.theater-das-zimmer.de

Ein Kommentar

  1. so schön & gut beschrieben, liebe sitznachbarin – ich werde das stück nochmal mit meinem jüngsten sohn -best buddy von sabrinas sohn-
    anschauen…
    danke und ich werde jetzt des öfteren deinen blog lesen
    sei gegrüsst aus rahlstedt von

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