Ein Mann kommt zurück aus dem Krieg. In Nahost, in Russland, in der Ukraine und damals in Deutschland. Was er sucht ist Wärme, was er findet ist Kälte. Höchste Zeit, sich wieder einmal mit Wolfgang Borchert zu beschäftigen. Zur preisgekrönten Wiederaufnahme „Buten vör de Döör – Draußen vor der Tür“ in der Inszenierung von Ingo Putz im Ohnsorg Studio.
Die Kritik
Beckmann ist wieder da. Sechs Jahre nach der Premiere hat das Ohnsorg Studio seine plattdeutsche Erstaufführung von Wolfgang Borcherts „Buten vör de Döör – Draußen vor der Tür“ wieder aufgenommen. Kriege rücken dichter heran, einer wie der 25jährige Beckmann steht in der Ukraine, in Russland oder im Nahen Osten jeden Tag wie jener vor verschlossenen Türen. Borchert, gerade mal 24 Jahre alt, war 1945 selbst chronisch krank aus dem Krieg ins zerstörte Hamburg zurückgekehrt und hatte seine Eindrücke und Empfindungen in Gedichte, Erzählungen und vor allem in das 1946 erstmalig gesendete „Draußen vor der Tür“ einfließen lassen. Sein Protagonist ist ein junger Kriegsheimkehrer Verletzt kommt er zurück in seine Vaterstadt und findet keine Aufnahme, nirgendwo. Seine Frau hat ihn durch einen anderen Mann ersetzt, seine Eltern haben sich umgebracht, in ihrer Wohnung leben jetzt neue Mieter, und selbst die Elbe spuckt ihn wieder aus, weil sie seinen Selbstmord nicht ernst nimmt. Begegnungen wie die mit dem „lieben“ Gott, dem Beckmann Untätigkeit während des Krieges vorwirft, oder dem Tod rücken die Handlung ins Alptraumhafte, Irreale.
Ein selbstgefälliger Gott, der Beckmanns Not nicht erkennt.
Borchert hat das Stück als Hörspiel konzipiert, die Inszenierung von Ingo Putz (auch verantwortlich für die Regiefassung) greift diesen Aspekt mit auf. Auf der langgezogenen schmalen Bühne des Ohnsorg Studios hat Ausstatterin Marie Labsch links ein Podest mit Flaschen, Wassergläsern, Papier, Trillerpfeife und Loopstation aufgestellt. Bedient von den Schauspielern Birte Kretschmer und Oskar Ketelhut (beide übernehmen unterschiedliche Rollen im Verlauf des Stückes) nehmen so das Gluckern der Elbe, das Tuten der Schiffe, die „Beckmann!“- Rufe im Kopf des Kriegsheimkehrers Gestalt an. Auf der rechten Bühnenseite ist ein Matratzenhaufen aufgebaut, aus dem Beckmann (Holger Dexne) wie aus den Fluten des Flusses auftaucht, der aber auch als Straße zum Oberst, zum Kabarettdirektor oder zu Türen umgestaltet werden kann.
Holger Dexne zeigt einen bitteren Mann voller Selbstekel, Wut und Verzweiflung. Nur als ihn ein Mädchen am Elbstrand findet und umsorgt, geht es ihm kurzzeitig besser. Birte Kretschmer spielt dieses Mädchen als zärtlichen Moment der Hoffnung und Wärme. Wenig später sitzt Kretschmer als Frau des Oberst auf einem ganz hohen Ross und will mit einem zerlumpten Soldaten nichts zu tun haben. Oskar Ketelhuts Oberst scheint zunächst von dessen Auftritt betroffen zu sein. Der verzweifelte Beckmann, der ihm die Verantwortung für die Taten im Krieg zurückgeben will, trifft offenbar einen Nerv. Aber dann gewinnt beim Oberst die angelernte Haltung, er erklärt die Vorwürfe zu einer gelungenen Performance und schickt ihn weg. So selbstgefällig ist auch sein Gott, der Beckmanns Not gar nicht erkennt. Beckmann ist draußen vor der Tür, unterstrichen auch dadurch, dass er im Gegensatz zu den meisten anderen plattdeutsch spricht.
Ein intensiver, beeindruckender Abend, der 2018 mit dem Monica Bleibtreu Preis prämiert und jetzt zu Recht wieder ins Programm genommen worden ist.
Weitere Informationen unter: https://www.ohnsorg.de/events/buten-voer-de-doeoer-draussen-vor-der-tuer/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- innere Verfassung eines Kriegsheimkehrers
- Reaktionen einer vom Krieg gezeichneten Außenwelt
Formale Schwerpunkte
- Darstellung von Orten über sichtbare akustische Mittel
- Verwendung von plattdeutscher und hochdeutscher Sprache
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- ab 15/16 Jahre, ab Klasse 10
- empfohlen für den Deutsch-, Geschichts- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Hamburg 1945. Der 25jährige Unteroffizier Beckmann kommt aus dem verletzt und innerlich zerstört aus dem Krieg zurück. Nach dem erlebten Grauen sucht er Geborgenheit und Wärme, findet aber das genaue Gegenteil. Seine Frau hat ihn vergessen, in seinem Bett liegt jetzt ein anderer Mann. Seine Eltern haben sich mit Gas umgebracht, in ihrer Wohnung leben neue Mieter, die lediglich die große Mengen Gas beklagen, die der Selbstmord gekostet hat. Beckmann ist verzweifelt, will sich in der Elbe ertränken, aber es klappt nicht. Der Fluss spuckt ihn wieder aus. Am Strand findet ihn ein Mädchen, das ihn mit nach Hause nimmt. Aber sie hat einen Mann, und Beckmann will nicht in die Rolle desjenigen geraten, der seinen Platz bei seiner Frau eingenommen hat. Er verlässt das Mädchen, geht zu seinem Oberst, um ihm die Verantwortung für seine Kriegstaten zurückzugeben. Der schickt ihn mit der Empfehlung fort, es doch mal beim Kabarett zu versuchen. Doch auch da scheitert er. Niemand nimmt ihn auf, nicht einmal Gott. Beckmann bleibt zurück, seine Verzweiflung und seine Fragen finden nirgendwo Gehör.
Mögliche Vorbereitungen
Das Ohnsorg Studio bietet kostenfreies Vorbereitungsmaterial an unter: studio@ohnsorg.de.