Berührungen – das ist schon ein sehr sensibles Thema. Was wünscht man sich? Was lässt man zu? Wo sind die Grenzen? Diese Fragen haben drei Choreografinnen mit 26 Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren in „Fühler“ am Jungen Schauspielhaus erprobt. Entstanden ist eine beeindruckende, sehenswerte SchauSpielRaum-Produktion.

Die Kritik
Ein schwarzer Tanzboden, darüber in der linken Ecke eine dicke weiße Wolke. Eine weitere liegt auf einer Bank im Publikum (Bühne: Yvonne Marcour, Irene Pätzug). Mehr braucht es nicht für die Tanzproduktion „Fühler“ im Großen Saal des Jungen Schauspielhauses. Unter der Leitung der drei professionellen Choreografinnen Jenny Beyer, Antje Pfundtner und URSina Tossi (Shared Leadership in Dance) haben 26 Jugendliche das Thema Berührung erprobt. Noch vor dem eigentlichen Beginn der Vorstellung sind sie paarweise, als Knäuel oder einzeln auf der Bühne zu sehen. In ihren pastellfarbenen Hosen und Oberteilen (Kostüme: Yvonne Marcour) ergeben sie eine bunte, bewegte Masse, aus der ab und an einzelne ans Mikrofon treten, um sich mit Namen und einer kurzen Beschreibung vorzustellen.
Dann geht es los mit einem gemeinsamen Raumlauf. Jede:r achtet auf Abstand, auch wenn rückwärts gegangen wird. Berührungen sind nicht erwünscht, jede:r bleibt für sich. Die Vereinzelung und das Gefühl von Einsamkeit ist auch Thema des ersten Teils dieses 80minütigen Abends. Musikalisch wird er mit dezent pulsierenden Rhythmen, manchmal auch durch Pop-Songs wie R.E.M.’s „Losing My Religion“ oder Gloria Gaynor’s „I Will Survive“ begleitet (Musik und Komposition: Jetzmann, Nikolaus Woernle, Johannes Miethke). Zehn Performer:innen treten aus einer Reihe, vollführen individuelle Bewegungen, berühren sich selbst. „Ich umarme mich, da ich mich nach Berührung sehne“, sagen sie und singen im Chor „Reach out and touch/somebody’s hand“. Hintereinander aufgereiht ballen sie sich, die Kapuzen ihrer Hoodies über dem Kopf, zu einem Knäuel zusammen, fallen auseinander, ballen sich wieder zusammen.
„Wenn du mich wirklich kennen würdest, dann wüsstest du…“
„Wenn du mich wirklich kennen würdest, dann wüsstest du…“, mit diesem Satz beginnen die Performer:innen im zweiten Teil körperliche Gewalt, die Grenzen von Berührung sowie die Sehnsucht nach körperlichem Kontakt zu erproben. Sie halten einander am Nacken fest, ziehen sich an den Haaren, tragen dann aber wieder als Gruppe jemanden auf ausgestreckten Armen durch den Raum – ein Bild für Schutz und Solidarität. Das gilt auch für den Umgang mit dem „Stachelwesen“, einer Figur in schwarzem Stachelkostüm, das alle Berührungen als schrecklich empfindet. Behutsame Annäherungen helfen ihm, Berührungen zu ertragen. Denn darum geht es ja: das Respektieren des Gegenüber, um das, was es zulassen will und was nicht. „Darf ich dich berühren?“ – Mit dieser Frage gehen die Performer:innen durch das Publikum, testen auch hier die Momente der Berührung aus.
Was geschieht einvernehmlich? Wie grenze ich mich ab? Wie unterstütze ich jemanden? Damit beschäftigen sich sechs Tänzer:innen im letzten Teil: Sie fallen, werden kurz vor der Bodenberührung aufgefangen, tragen sich auf den Schultern, klettern übereinander, schrauben sich sich hoch, heben wie ein Wesen synchron die Arme und Finger und gleichen damit Fühlern eines Tieres. Es ist der Abschluss einer bewegenden, unbedingt sehenswerten Vorstellung.
Weitere Informationen unter: https://junges.schauspielhaus.de/stuecke/fuehler
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Sehnsucht nach Berührung
- Zulassen von Berührung
- Grenzen von Berührung
Formale SchwerpunKte
Tanz-Performance
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
Ab 12 Jahre, ab Klasse 6/7
Empfohlen für Ethik- und Theaterunterricht
Zum Inhalt
Es gibt keine nachzuerzählende Handlung. Die drei Teile der Performance beschäftigen sich mit dem Thema Berührung in seinen unterschiedlichen Formen und mit den jeweiligen Reaktionen.
Mögliche Vorbereitungen
- Welche Bedeutung haben Berührungen? (Recherche und Auswertung im Unterrichtsgespräch)
- Sammeln von Assoziationen zum Thema „Berührung“ (anonym). Ergebnisse als Gesamtheit präsentieren und als Diskussionsgrundlage nehmen.
Speziell für den Theaterunterricht
Abstand wahren
Die Gruppe geht in Tempo 3 durch den Raum. Jede:r sucht sich einen eigenen Weg (nicht im Kreis gehen!) und achtet auf einen gleichmäßigen Abstand zu den anderen, behält aber mit peripherem Blick die Gruppe im Auge. Auf einen Impuls aus der Gruppe ändert sich das Tempo für alle, bis ein neuer Impuls kommt (z.B. rückwärts oder seitwärts gehen, Zeitlupe o.ä.).
Glaskugel/ Aura
Die Gruppe steht verteilt im Raum. Jede:r wird von einer imaginären Glaskugel umgeben, die er/sie mit einem imaginären Tuch ausführlich putzt. Auf ein Zeichen der Spielleitung geht jede:r – möglichst zu einer ruhigen Musik – durch den Raum, indem er/sie die imaginäre Glaskugel an den unteren seitlichen Griffen festhält und aufpasst, dass niemand die Kugel berührt. Dabei achten alle auf einen stolzen, aufrechten Gang.
Nähe erproben
Die Gruppe stellt sich auf zwei gegenüberliegenden Seiten so auf, dass jede:r ein Gegenüber hat. Gruppe A lockt das Gegenüber mit einer Geste zu sich, erprobt, wie nahe er,/sie kommen darf. Mit einer Geste kann ein „Stop“ oder auch ein Zurückweichen signalisiert werden.
Mehrmals probieren. Danach Wechsel.
Pendeln
Jeweils 6 – 8 Spielerinnen bilden einen möglichst engen Kreis. Eine Person steht in der Mitte und lässt sich mit geradem Körper zu einer Seiten fallen, wird von den anderen aufgefangen und wie ein Pendel in die nächste Richtung geschubst usw.
Mehrmals durchwechseln.
Fallen und Auffangen
Die Spieler:innen stellen sich paarweise und zunächst mit sehr geringem Abstand hintereinander auf. A steht mit dem Rücken zu B, lässt sich mit geradem Körper nach hinten fallen, wird von B aufgefangen und wieder in die alte Position gebracht. Allmählich (in Absprache!) den Abstand vergrößern.
Wechsel