Steter Tropfen höhlt den Stein. Das gilt auch für Psychoterror. Wem oft genug gesagt wird, dass seine Vergesslichkeit und Orientierungslosigkeit zunimmt, der glaubt irgendwann selbst an einen schleichenden Wahnsinn. Wie das abläuft, zeigt Patrick Hamiltons Thriller „Gaslight“, der jetzt in Paul Glasers überzeugender Inszenierung am Hamburger English Theatre zu sehen ist.

Die Kritik
Es sieht nach einem gemütlichen Abend aus im Hause Manningham. Im Wohnzimmer mit den schweren Mahagoni-Möbeln glüht ein Kaminfeuer (Bühne: Mathias Wardeck) der Hausherr Jack (Kevin Johnson) liegt im eleganten Hausmantel auf einer Ottomane und liest Zeitung, seine Frau Bella (Marie Wilson) im bodenlangen Spitzenkleid des Viktorianischen Zeitalters (Kostüme: Jutta Kreischer) arbeitet hingebungsvoll an einer Stickerei. Wir befinden uns in London am Ende des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der Frauen wenig zu sagen hatten und von Männern, vor allem auch von ihren Ehemännern gerne herumkommandiert wurden. Es wundert also nicht, dass Jack Bella befiehlt, dem Dienstmädchen zu läuten, um Holz für den Kamin nachzulegen. Eigentlich würde Bella das lieber selbst tun, aber Jack verbietet es und sie muckt nicht auf. Das „Dear“, mit dem sie und er ihre Sätze beenden, ist eine reine Floskel. Die schwelende Disharmonie zwischen den Eheleuten wird nur mühsam verdeckt.
1938 schrieb Patrick Hamilton sein Psychodrama „Gaslight“. Noch im selben Jahr hatte es Premiere im Londoner Richmond Theatre und lief dort wie auch später im Apollo Theatre mit großem Erfolg. Klar, dass auch der Broadway an dem Stück interessiert war und es unter dem Titel „Angel Street“ auf 1.295 Vorstellungen brachte. Berühmt wurde „Gaslight“ (in Deutschland „Das Haus der Lady Alquist“) vor allem 1944 durch den Film von George Cukor mit Ingrid Bergmann, Charles Boyer und Joseph Conrad. Die sukzessive Manipulation, mit der Jack seine Frau in den Wahnsinn zu treiben versucht, faszinierte damals genauso wie heute.
Ein bis in die Nebenrollen hervorragend besetztes Ensemble
Am English Theatre gelingt es Paul Glaser, den Suspense unaufdringlich und mit feinem Gespür herauszuarbeiten. Dafür nimmt er sich Zeit (der Abend dauert inklusive Pause drei Stunden), nutzt verzögernde Momente und treibt gerade am Schluss noch einmal die Spannung voran. Ihm zur Seite steht ein bis in die Nebenrollen hervorragend besetztes Ensemble. Eine Bemerkung, die übrigens bei den Produktionen des English Theatres fast überflüssig ist. Das Theater konnte bislang durchgehend großartige Darsteller:innen verpflichten. Kevin Johnson spielt als Jack dessen ganze Aasigkeit aus. Er ist ein Tyrann, der seine deutlich jüngere Frau wie ein Kleinkind behandelt. Scheinbar liebevoll besorgt streicht er ihr über das Gesicht, wenn sie wieder einmal etwas vergessen oder verlegt zu haben scheint. Sein Ton wird jedoch scharf, sobald sie behauptet, nichts davon zu wissen. Sein Ziel ist es, sie wahnsinnig zu machen und in eine Anstalt zu bringen, damit er an die im Haus versteckten Juwelen herankommt. Die hatte er vor zwanzig Jahren schon gesucht und dafür die Hausbesitzerin getötet, musste dann aber unverrichteter Dinge vor der Polizei fliehen. Marie Wilson hat die an sich undankbare Aufgabe des Opfers, aber sie differenziert in ihren Reaktionen und beschränkt sich nicht aufs Jammern. Manchmal ist sie nur ein vor Angst zitterndes Häufchen Elend, wenn wieder das Gaslicht schwächer wird und sie Schritte auf dem Dachboden hört. Manchmal zeigt sie aber auch so etwas wie Hoffnung, die dann sofort wieder enttäuscht wird und einer tiefen Verzweiflung Platz macht. Zunächst zweifelt sie an dem plötzlich auftauchenden Inspektor Rough. Forsch und mit ausladenden Gesten stürmt Ian Bailey ins Haus, als Jack gerade unterwegs ist. Mit ausgestrecktem rechten Finger und einem die Gedanken strukturierenden „Now!“ unterstreicht er seine Ideen, wie er Jack auf die Schliche und Bella retten kann. Diesem Kauz, der haufenweise Zucker in seinen Tee fallen lässt und Whiskey als allerbeste Medizin anpreist, misstraut die völlig verunsicherte Bella zunächst, lässt sich aber dann von seinen Absichten überzeugen. Auf ihrer Seite weiß sie nur das Hausmädchen Elisabeth (feinnervig gespielt von Claire Morrissey). Niamh Deasys Nancy, die andere Angestellte, flirtet dagegen unverhohlen mit Jack. Ihr gefällt seine Macht und sein Auftreten, Bella ist für sie nur ein zu vernachlässigendes Opfer. Zu früh gefreut. Denn irgendwann läuft nichts mehr nach Jacks Plänen, und der Abend bleibt spannend und sehenswert bis zum Schluss.
Weitere Informationen unter: https://eth-hamburg.de/2020/12/08/gaslight-by-patrick-hamilton/
INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
Psychische Manipulation
Formale SchwerpunKte
- Realistische Spielweise in realistischem Bühnenbild
- Dialoge im Zentrum
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- Ab 16 Jahre, ab Klasse 10/11
- Empfohlen für den Englischunterricht
Zum Inhalt
Jack Manningham und seine deutlich jüngere Frau Bella leben seit einigen Monaten in einer Londoner Villa. Bella wundert sich, dass sie angeblich dauernd Dinge verlegt oder vergisst, die ihr Mann ihr gegeben oder genannt hat. Sie glaubt tatsächlich, was Jack ihr sagt, nämlich, dass sie wie ihre Mutter allmählich wahnsinnig wird. Ihre Angst wächst, wenn das Gaslicht schwächer wird und oben auf dem Boden (dessen Türen verriegelt sind) Schritte zu hören sind. Erst als Inspektor Rough auftritt und ihr klarmacht, was es mit ihrem Mann auf sich hat und dass sie keineswegs geisteskrank ist, fasst sie Mut und verbündet sich mit Rough.
Eine sehr detaillierte Inhaltsangabe findet sich im Study Guide (s.u.)
Mögliche Vorbereitungen
Das English Theatre gibt zur Vor- und Nachbereitung einen Study Guide zu „Gaslight“ heraus unter https://eth-hamburg.de/wp-content/uploads/2025/10/Study-Guide_Gaslight.pdf