Im Jungen Schauspielhaus untersucht Regisseur Moritz Franz Beichl die Rolle der Geschlechter
Die Kritik
Das Glück des Mannes heißt: Ich will“, lacht der Tambourmajor und setzt noch einen drauf, denn: „Das Glück der Frau heißt: Er will.“ Wieherndes Gelächter zwischen ihm und dem Doktor. Da haben sich zwei Machos gefunden, einer weiß einen immer noch frauenfeindlicheren Spruch. Klar, dass auch Thema ist, wer von ihnen beiden das schärfere, das längere „Schwert“ hat. Georg Büchner mag diese Gedanken im Hinterkopf gehabt haben, als er die Figuren Doktor und Tambourmajor erdachte. In seinem „Woyzeck“, der aufgrund seines frühen Todes nur Fragment geblieben ist, stehen sie allerdings nicht. Die hat Moritz Franz Beichl in „Subjekt Woyzeck (Into The Void)“ den beiden in den Mund gelegt. Damit und durch zusätzliche Texte und Songs (Komposition: Fabian Kuss) wird die Richtung seiner einfühlsamen Inszenierung am Jungen Schauspielhaus unterstrichen. Hier haben Männer das Sagen, die sich Dank ihrer sozialen Stellung alles erlauben können. Wer wenig hat, den nutzen sie aus, schließlich braucht der ja ihr Geld, um durchzukommen. Und Frauen? Die kann man sich sowieso einfach nehmen. Weil sie begehrt werden und Geschenke bekommen wollen.
„Here comes your man“
Woyzecks Freundin Marie (Alicja Rosinski) fällt tatsächlich auf das „Here comes your man“ – Gebaren des Tambourmajors (Sara Bihler) herein und nimmt die Ohrringe. Trotzdem hat die Szene mit dem Geflüstere und Gekichert etwas Ebenbürtiges, was sicher der Fantasie des Tambourmajors widerspricht. Marie ist kein Huschchen, das sich schnell verführen lässt. Sie sprüht vor Lebenslust, wenn sie erzählt, was sie alles liebt: Kirschen, ihr Kind, Sex, graue Häuser, ja sogar Hass. Es ist das Leben in all seiner Fülle. Für eine mögliche Tochter ihres Sohnes wünscht sie sich eine Welt ohne Herrscher, in der Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben.
Beichl hat ihre Rolle durch zusätzliche Texte zu einer starken Frau gemacht. Sie und der ständig präsente Sohn Christian (Severin Mauchle) geben Woyzeck (Nico-Alexander Wilhelm) Stabilität. So kann er die Demütigungen durch Doktor (Christine Ochsenhofer) und Hauptmann (Hermann Bock) mit einer gewissen Gelassenheit ertragen. Deren höhere soziale Stellung wird einerseits durch glitzernde Paillette (Kostüme: Christina Geiger) und durch die für sie vorgesehenen Orte unterstrichen: Rechts auf einem Gerüst steht der Hauptmann, links auf einen hoch gelegenen Labor der Doktor, darunter das Karussell mit Woyzecks Wohnung (Bühne: Ute Radler).
„Into The Void“
Die auch heute wieder deutliche Spaltung in Arm und Reich und die ungerechte Verteilung der Güter brachte schon vor knapp 200 Jahren den 23jährigen Büchner auf die Palme. Er erkannte: Gewalt durch Armut und Unterdrückung erzeugt bei den Unterdrückten Gegengewalt. Als der Tambourmajor Marie verführt, dreht Woyzeck durch. Beichl verzichtet auf die realistische Darstellung eines Mordes. In einer stillen Szene stehen sich Marie und Woyzeck gegenüber. Er streicht zärtlich über ihr Gesicht und hinterlässt jedesmal rote Spuren, bis ihr Gesicht vor Blut trieft. Dann verschwindet sie „Into The Void“ , ins Leere
https://junges.schauspielhaus.de/de_DE/stuecke-jsh/subjekt-woyzeck-into-the-void-14.1327655
INFO
RMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Inhaltliche Schwerpunkte
- Gewaltausübung durch Macht, Stellung und Geld;
- Chancenlosigkeit der Armen bei Bildung und gesellschaftlichem Fortkommen
- Gewalt als Mittel der Schwächeren, um Veränderungen herbeizuführen
- Femizid als gesellschaftlich kaum sanktionierte Tat;
Formale Schwerpunkte
Maskenspiel
- Simultanbühne
- Einsatz und Funktion von Songs
- Ausgestaltung von Figuren über Fremdtexte
- Besetzung von Doppelrollen: Wer spielt welche zweite/ dritte Rolle? Gibt es Verbindungen?
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
- ab 14/15 Jahre; Klasse 9/10
- geeignet für Deutsch-, Theater- und Geschichtsunterricht
Zum Inhalt
Franz Woyzeck gehört unteren Teil der Gesellschaft. Er ist Soldat, muss aber zusätzlich seinen Hauptmann rasieren und sich dem Doktor für Experimente zur Verfügung stellen, um mit seiner Freundin Marie und dem gemeinsamen Kind über die Runden zu kommen. Hauptmann und Doktor nutzen ihre höhere gesellschaftliche Stellung aus, machen sich über Woyzeck lustig und schikanieren ihn, wo sie nur können. Marie verlangt vom Leben mehr, als ihr Woyzeck bieten kann. Sie ist schön und der Tambourmajor hat Lust auf sie. Er kann es sich leisten, ihr Ohrringe zu schenken und sich Marie zu nehmen. Als Woyzeck von der Affäre erfährt, ist ihm der einzige Halt genommen. Er besorgt sich ein Messer, tötet Marie und geht danach selbst ins Wasser.
Mögliche Vorbereitung
- Referate/ Präsentationen zu den gesellschaftspolitischen Verhältnissen zu Beginn de 19. Jahrhunderts; zu Büchners Biografie
- Auszüge aus Büchners „Der hessische Landbote“; Lektüre ausgewählter Briefe
- Sammeln von Informationen zu Bildungschancen heute; zur Gesellschaftsstruktur heute
- Aufteilung des Textes in seine einzelnen Szenen(ausschneiden), die Schüler:innen setzen in Gruppenarbeit die Teile zu einem Text wieder zusammen (Vorteil: der gesamte Text wird gelesen!). Dadurch entstehen unterschiedliche Szenenfolgen, die im Unterrichtsgespräch begründet werden können.
Speziell Für den Theaterunterricht
- Einführung von Bühnenformen, speziell: Simultanbühne
- Erstellen eines Bühnenbildes, das durchgängig (ohne Black oder Vorhang) bespielt werden kann
- Erstellen von Rollenbiografien zu Woyzeck, Marie, Hauptmann, Doktor und Tambourmajor