Die gläserne Stadt

Ein bisschen hier und da geschummelt, nicht wirklich Gesetze gebrochen, aber schon auf kriminelle Weise eine Menge Geld erwirtschaftet – da ist es am besten, die Flucht zu ergreifen, ehe man erwischt wird. Meint zumindest Bankier Bernd Baktus. Blöd nur, dass sich eine verdeckte Prüfung angesagt hat. Ist der Revisor vielleicht der Penner, der auf einmal auftaucht? Zu Viktor Bodos furioser Uraufführung von Felicia Zellers „Die gläserne Stadt“ am Hamburger Schauspielhaus.

Ist das hier der Revisor? (vorne: Carlo Ljubek, dahinter v.li: Yorck Dippe, Michael Weber) – Foto: Thomas Aurin

Die Kritik

Die Treppe ist ein Problem. Wer sich nicht scharf konzentriert, rutscht auf den letzten Stufen aus. Unten angekommen, stellen Kartons und glatte Stellen weitere Fallen, so dass  rudernde Arme und andere Gleichgewichtsübungen nötig sind, um einen repräsentablen Stand hinzubekommen. Und den hätten die hier Versammelten gerne, handelt es sich doch um Honoratioren und ehrbare Kaufleute einer Stadt oder genauer: der Stadt Hamburg. 

Die jüngste Geschichte der Hansestadt rund um die Cum-Ex-Geschäfte muss für die Dramatikerin Felicia Zeller ein wahres Geschenk gewesen sein. Finden sich doch hier genügend absurd erscheinende Figuren und Handlungen, die man eher in der Fiktion als im wirklichen Leben verorten würde. „Die gläserne Stadt“ heißt das Stück, das sie für das Schauspielhaus verfasst hat. Aus Cum-Ex wird Mix-Max, aus Olaf Scholz wird Anton Schatz, aber die Elbphilharmonie bleibt Elbphilharmonie und auch andere Anspielungen machen keinen Hehl daraus, wer oder was hier eigentlich gemeint ist. Ihre Figuren verwenden die unvollständigen Sätze („Ich hab dann mal…“) gehetzter Wichtigtuer, die einander dennoch verstehen, sind also ganz und gar im Hier und Heute verankert. 

Viktor Bodo führt die Figuren mit Genuss, manchmal an der Grenze zum Flachwitz vor.

Grundlage des Stücks ist Nikolai Gogols Erzählung „Der Revisor“ aus dem Jahr 1835. Darin kündigt sich in einer von Korruption gezeichneten Stadt eine verdeckte Untersuchung an, doch wann und wo sie ansteht und wer sie durchführt, ist unbekannt.

Zeller lässt ihre Figuren ebenfalls im Unklaren, und Regisseur Viktor Bodo führt sie mit Genuss, aber auch manchmal hart an der Grenze zum Flachwitz vor: Er sprudelt vor Spielideen, verwendet Musik (Klaus von Heydenaber) zur Karikierung von Szenen oder Sounddesign (Gábor Keresztes) mit grellen Lichteffekten (Rebekka Danke) für Gedankenblitze. Zusammen mit dem großartigen Ensemble wird daraus ein wahnsinnig komischer, am Ende vielleicht etwas zu langer zweieinhalbstündiger Abend, der bei der Premiere mit stehenden Ovationen belohnt wurde.

Bankier Bernd Baktus (Lina Beckmann) hat sich mit seiner Frau Jelena (Jan-Peter Kampwirth), den befreundeten Reedern Dieter (Yorck Dippe) und Detlef Örting (Michael Weber), der Krankenhausmanagerin Susanne Kolb (Ute Hannig), dem Investor Paul Otto Piepes (Ja Thümer) und dem Rechtsanwalt Alois Reitwinkel (Christoph Jöde) auf ein leerstehendes Containerschiff zurückgezogen. Zita Schnábel hat dafür die Bühne in einen rostig-metallenen Schiffsbauch mit Brücke und Treppe verwandelt, die Bodo exzessiv als Steilvorlage für seinen Running Gag mit dem Herunterrutschen nutzt. Die Maskenabteilung des Schauspielhauses (Leitung: Susan Kutzner) hat ganze Arbeit geleistet: Lina Beckmann mit Glatze, Bart und Schmerbauch ist lediglich an ihrer Stimme zu erkennen, aus Jan-Peter Kampwirth ist mit weiß-blondem Pagenkopf und rotem Kußmund eine attraktive Bankiersgattin geworden. 

Von der Politik droht keine Gefahr.

Baktus ist bemüht, seine nicht ganz sauberen Geschäfte „normal“ wirken zu lassen. Mit dem erwirtschafteten Geld will er gemeinsam mit den Anwesenden eine Stiftung zum Wohle der Allgemeinheit gründen. Ihre Gemeinschaft betont die Gruppe, indem sie ab und an kleine Choreografien (Valenti Rocamora i Torà) vorführt oder ein Lied, zum Beispiel die Ballade von Mackie Messer, anstimmt. Von der Politik droht keine Gefahr, der Bürgermeister (Samuel Weiss) ist ein ziemlicher Trottel, der sich nicht einmal erinnern kann, zu welchem Anlass er gerade spricht. Ungemütlich wird es durch den plötzlich auftauchenden Chlestakow (Carlo Ljubek), einem Penner, den keiner richtig einzuordnen weiß. Möglich, dass er der verdeckte Steuerfahnder ist. Um gut Wetter zu machen, wird er als „erster Stipendiat“ der Stiftung angemessen begrüßt. Chlestakov genießt die Aufmerksamkeit und sein Inkognito, lässt die ehrenwerte Gesellschaft mit einem großzügig über den Boden verteilten Beutel Koks vollends durchdrehen. In diesem Chaos blickt niemand mehr durch, weder die sonst so taffe Reinigungskraft Michaela (Henni Jörissen) noch die mit einer beeindruckenden Mischung aus Koloratur und Rap wie ein Racheengel auftretende Finanzbeamtin Dr. Ute Meier (Eva Maria Nikolaus). 

Ist aber alles nur Theater. Hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun, beteuert Christoph Jödes Rechtsanwalt und kriecht dafür extra unter dem schon gefallenen Vorhang hervor. Ein unnötiger Satz am Ende eines sehr lustigen, unterhaltsamen Abends. Es tut gut, einmal auch über flache Witze abzulachen, wenn die Welt gerade aus den Fugen ist.

Weitere Informationen unter: https://schauspielhaus.de/stuecke/die-glaeserne-stadt

INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE

Inhaltliche Schwerpunkte
  • Unsaubere Geschäftspraktiken
  • Verbindung von Bankwesen und Politik
  • Steuerprüfung als Bedrohung
Formale SchwerpunKte

Verwendung von Mitteln der Komik wie

  • Running Gags
  • Übertreibungen
  • Musik zur Überzeichnung
  • Choreografien
Vorschlag für Altersgruppe/Jahrgangsstufe
  • für Neueinsteiger (und theaterversierte) ab 15/16 Jahre, Klasse 9/10 
  • empfohlen für Politik-, Wirtschafts- und Theaterunterricht
Zum Inhalt

Bankier Bernd Baktus hat auf nicht ganz saubere Weise eine Menge Geld erwirtschaftet und fürchtet eine anstehende Steuerprüfung. Zusammen mit seiner Frau, seinem Rechtsanwalt und einigen Geschäftsfreunden, beschließt er, die Stadt auf einem alten Containerschiff zu verlassen. Andererseits beteuert er, dass alles, was er getan hat, vollkommen normal und rechtlich abgesichert ist. Auch der Bürgermeister erhebt keinen Einspruch. Gemeinsam gründet man eine Stiftung, um sich als Wohltäter auszuweisen. Kurz vor dem Ablegen des Schiffes taucht ein Penner, Chlestakow mit Namen, auf, den man zunächst als blinden Passagier einordnet. Da dieser sich jedoch sehr selbstsicher benimmt, kommen der Gruppe Zweifel. Sie vermutet, dass es sich bei ihm um einen verdeckten Steuerprüfer handelt und versucht deshalb, ihn positiv zu stimmen, indem sie ihn zu ihrem ersten Stipendiaten ernennt. Chlestakow nutzt alle angebotenen Annehmlichkeiten aus und als er bei dem Rechtsanwalt eine Pfund-Tüte Kokain entdeckt, schüttet er großzügig dicke Linien über den Boden, die die Gruppe um Baktus gierig schnüffelt. Die Gesellschaft gerät außer Rand und Band, das Chaos ist perfekt und die Geschäftspraktiken bleiben unentdeckt. Aber das Schiff fährt mit Karacho in die Elbphilharmonie.

   

Mögliche VorbereitungeN
Als Hausaufgabe oder über Referate
  • Recherche zum Cum-Ex-Skandal
  • Inhalt zu Nikolai Gogols Erzählung „Der Revisor“
  • Recherche zu Viktor Bodo
Speziell für den Theaterunterricht
Vorübungen zu Komik

Nachahmen:

Die Spielleitung teilt zwei Gruppen ein. Die erste Person der jeweiligen Gruppe gibt Gangart vor, die anderen imitieren. Die erste Person wechselt ans Ende, die zweite Person gibt die Gangart vor usw.

Vergrößern 

Die Spielleitung teilt Dreiergruppen ein. Jede Gruppe bildet eine Reihe, die erste Person (A) beginnt mit kleiner Bewegung, die zum Ende hin immer größer wird.

Variation: mit Mimik

Variation: mit Geräusch 

Viewpoint Tempo 

Verabredung: Äußeres Tempo 0 -5 (Freeze – Schnell), inneres Tempo 0-5 (neutral – expressiv)

  • Die Spielleitung gibt äußeres Tempo vor, Gruppe geht entsprechend
  • Die Spieler*innen steigern bzw verlangsamen das Tempo auf Impuls aus der Gruppe, inkl. Freeze
  • Jeder/Jede Spieler*in variiert für sich das Tempo inkl. Freeze

Zweiteilung der Gruppe

Inneres Tempo über Gefühle/Zustände plus äußeres Tempo

Spieler*innen bekommen Karten mit Gefühlen (Mimik)

  • Wählt ein äußeres Tempo, das zu eurem inneren Tempo passt
  • Wählt das entgegengesetzte äußere Tempo

Wechsel

Reflexion

Übertreiben/Vergrößern

Die Spielleitung teilt zwei Gruppen ein. Gruppe A stellt sich mit dem Rücken zum Publikum. Die Spielleitung gibt Gefühl vor, das von innerem Tempo 1 bis Tempo 5+ ins Extreme gesteigert werden soll. Gruppe A dreht sich um, geht auf Gruppe B zu und steigert das innere Tempo. 

Wechsel.

Die Spielleitung verteilt den Arbeitszettel „Elemente der Komik im Theater“ 

Elemente der Komik im Theater

Partielle Wahrnehmung 

Definition:  Die Zuschauer nehmen etwas wahr, was die betreffende Figur im Spiel nicht oder nur teilweise wahrnehmen kann.

Beispiele: 

Der letzte in der Reihe der Spieler verpasst regelmäßig den Stopp und läuft auf die Truppe auf, weil er seine Aufmerksamkeit aufs Publikum, den Fußboden,… gelenkt hat und dadurch das Stopp-Signal „verpennt“.

Eine Gruppe ist intensiv im Gespräch, ein Spieler kommt zu spät und versucht unbemerkt durch den Raum zu schleichen und sich unter die Gruppe zu mischen.

„Running Gag“

Definition: Eine Fehlleistung einer Figur wird durch mehrfache Wiederholung zum „Running Gag“, der bei den Zuschauern die Erwartung erzeugt, dass ein bestimmtes Ereignis immer wieder an dieser Stelle eintritt. Dadurch wird Vorfreude erzeugt und es gibt Lacher insbesondere auch dann, wenn das Ereignis einmal nicht eintritt.

Beispiel: Der Stolperer über den Tigerkopf in „Dinner for One“.

Vergrößerung/Überzeichnung/Übersteigerung

Definition: Durch vergrößerte Gesten, Wiederholung, Übersteigerung oder emotionale Geräusche wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf bestimmte Details geführt.

Beispiele: Ein Spieler/eine Spielerin versucht mehrfach seine/ihre Jacke anzuziehen, dabei werden seine/ihre Bewegungen von zunächst klein zu übertrieben groß gesteigert, bis es ihm/ihr schließlich gelingt.

Verzögerte Wahrnehmung 

Definition: Eine Figur nimmt eine sie betreffende Aktion oder ein Ereignis zunächst nicht wahr, erst nach einer Weile erfolgt eine durch (vielleicht überzeichnete!) Reaktion erkennbare Wahrnehmung.

Beispiele: Ein Warnruf oder eine Anweisung („Hilfe!“, „Feuer!“) werden erst nach mehrfacher Wiederholung gehört, vorher durchgeführte Handlung wird „ungerührt“ weitergeführt.

Eine Erzählung wird – trotz angestrengten Zuhörens – nicht verstanden.

Mechanisches Handeln 

Definition: Figuren handeln mechanisch, getaktet, mit gleichförmigen Bewegungen. Das kann den Eindruck von Selbstvergessenheit oder Zerstreutheit, ja Dummheit, hervorrufen.

Beispiel: Eine Gruppe geht im Gleichschritt, eine weitere Gruppe spricht dazu in monotonem Gleichklang, ein Trommler trommelt selbstvergessen einen Rhythmus – und hört auch dann nicht damit auf, wenn alle anderen längst still oder stehen geblieben sind. Er merkt nicht, dass auch er hätte aufhören müssen.

Eskalation 

Definition: Eskalationen steigern sich durch sich steigerndes Tempo, strikte Abfolge von Aktion und Reaktion und zum Teil zunehmendes Einbeziehen von immer mehr Spielern aus, z. B. kommt es zum Kampf „Alle gegen Alle“.

Beispiel: Eine Situation (z.B. ein Streit) entsteht zwischen zwei Personen, eine dritte mischt sich ein, eine vierte usw. Dabei erhöht sich das Tempo.

Kostüm und Requisit 

Definition: Kostüm und Requisite können dann komisch wirken, wenn sie eine Art Eigenleben entfalten und somit als Gegenspieler der Figur wirken.

Beispiele: Zu großer Mantel, rutschende Hose, zu große Schuhe… Klappstuhl, der sich nicht aufbauen lassen will, renitenter Schirm…

Aufgabe:
  • Lest euch den Text  (s.u.) durch.
  • Überlegt, wo eure Szene stattfindet, worum es geht. 
  • Verwendet mindestens drei Gestaltungsmittel (z.B. Formationen; unterschiedliche Tempi,  Synchronität, Parallelität o.ä.).
  • Experimentiert mit den Elementen der Komik  und verwendet ein bis zwei in eurer Szene.

Die Aufgabe ist gelungen, wenn

  • die Situation (Ort, Thema, Figuren) deutlich wird
  • mindestens drei Gestaltungsmittel klar ausgeführt werden und zur Verdeutlichung beitragen
  • ein bis zwei Elemente der Komik verwendet werden
  • alle Spieler*innen konzentriert sind.
Text

Perlemann kommt nicht!

Was, Perlemann kommt nicht?

Hat er denn gesagt, warum er nicht kommt.

Nein, nur dass er nicht kommt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert